William Blake – Selected Poems


Übersetzungen von Janna S. Kagerer, unter Mithilfe von Prof. Dr. Elmar Schenkel

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A Divine Image

Cruelty has a human heart,
And Jealousy a human face;
Terror the human form divine,
And secrecy the human dress.

The human dress is forged iron,
The human form a fiery forge,
The human face a furnace seal’d,
The human heart its hungry gorge.

*

Ein Heiligenbild

Grausamkeit hat ein Menschenherz
Und Eifersucht ein Menschgesicht;
Schrecken heilige Menschgestalt,
Und Heimlichkeit trägt Menschenkleid.

Menschenkleid ist Schmiedeeisen,
Menschgestalt eine Schmiede heiß.
Menschgesicht ein verschlossner Ofen,
Menschenherz sein hungriger Schlund.

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AH! SUN-FLOWER

Ah, Sun-flower! weary of time,
Who countest the steps of the Sun,
Seeking after that sweet golden clime
Where the traveller’s journey is done:

Where the Youth pined away with desire
And the pale Virgin shrouded in snow
Arise from their graves, and aspire
Where my Sun-flower wishes to go.

*

ACH! SONNENBLUM´!

Ach, Sonnenblum´! Erschöpft von den Zeiten,
Du, die der Sonne Schritte ausmisst,
Suchst jene lieblichen goldenen Weiten
Wo des Wanderers Reise zuende ist :

Wo der Jüngling, vor Sehnsucht vergangen,
Und das blasse Mädchen, bedeckt von Schnee,
Ihren Gräbern entsteigen, um zu gelangen,
Wohin meine Sonnenblume will geh´n.

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A Poison Tree

I was angry with my friend:
I told my wrath, my wrath did end.
I was angry with my foe;
I told it not, my wrath did grow.

And I water’d it in fears,
Night & morning with my tears;
And I sunned it with my smiles
And with soft deceitful wiles.

And it grew both day and night,
Till it bore an apple bright;
And my foe beheld it shine,
And he knew that it was mine,

And into my garden stole
When the night had veil’d the pole:
In the morning glad I see
My foe outstretch’d beneath the tree.

*

Ein Gift-Baum

Auf meinen Freund war wütend ich:
Ich zeigt´ den Zorn, mein Zorn verblich.
Auf meinen Feind war wütend ich;
Den Zorn nicht zeigend, mehrt´ er sich.

Und ich wässert´ ihn in Sorgen
tränenreich nachts und am Morgen;
Besonnte ihn mit Lächeln mein
Und mit schönem falschem Schein.

Tag und Nacht wuchs er heran
Bis ein Glanzapfel hing dran.
Und mein Feind ihn glänzen sah,
Wissend, dass es meiner war,

Sich in meinen Garten stahl,
Wenn die Nacht verbarg den Pfahl:
Froh hab ich früh den Feind entdeckt
Unterm Baume, ausgestreckt.

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Day

The Sun arises in the East,
Cloth’d in robes of blood and gold;
Swords and spears and wrath increast
All around his bosom roll’d
Crown’d with warlike fires and raging desires.

*

Tag

Die Sonne auf im Osten geht,
Trägt ein Kleid von Blut und Gold;
Schwert und Speer und Zorn, erhöht,
Rundherum im Busen grollt,
Gekrönt mit Krieges Feuer und Sehnsucht ungeheuer.

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Laughing Song

When the green woods laugh with the voice of joy,
And the dimpling stream runs laughing by;
When the air does laugh with our merry wit,
And the green hill laughs with the noise of it;

When the meadows laugh with lively green,
And the grasshopper laughs in the merry scene,
When Mary and Susan and Emily
With their sweet round mouths sing „Ha, ha he!“

When the painted birds laugh in the shade,
Where our table with cherries and nuts is spread:
Come live, and be merry, and join with me,
To sing the sweet chorus of „Ha, ha, he!“

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Lied vom Lachen

Wenn der grüne Wald lacht mit Jubelstimm´,
Und der kräuselnde Fluss fließt lachend dahin;
Wenn die Luft lacht mit unserem geistreichen Spaß,
Und lärmend lacht mit der Hügel voll Gras;

Wenn die Wiesen lachen mit lebhaftem Grün,
Und der Heuschreck lacht lustig auf blühender Bühn´,
Wenn Mary und Susan und Emily
Mit Schmollmund so süß singen „Ha, ha hi!“

Wenn bunt´ Vögel lachen im Schatten versteckt,
Wo mit Kirsche und Nuß unser Tisch ist gedeckt.
Komm, lebe, sei heiter, und stimm mit mir fein,
Mit „Ha, ha, hi!“ in den Chorgesang ein.

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Love’s Secret

Never seek to tell thy love,
Love that never told can be;
For the gentle wind does move
Silently, invisibly.

I told my love, I told my love,
I told her all my heart;
Trembling, cold, in ghastly fears,
Ah! she did depart!

Soon as she was gone from me,
A traveler came by,
Silently, invisibly
He took her with a sigh.

*

Der Liebe Geheimnis

Deine Lieb´ sprich niemals aus,
Ungesprochen kann sie sein;
Denn der sanfte Wind bewegt
Sich in Stille, unsichtbar.

Ich sprach sie aus, ich sprach sie aus,
Sprach zu ihr all mein Herz;
Voll von Ängsten, zitternd, kalt,
Ach! Sie ging von mir!

Kaum dass sie gegangen war,
Des Wegs ein Wandrer kam,
Der in Stille, unsichtbar
sie seufzend mit sich nahm.

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Sleep! sleep! beauty bright,
Dreaming o’er the joys of night;
Sleep! sleep! in thy sleep
Little sorrows sit and weep.

Sweet Babe, in thy face
Soft desires I can trace,
Secret joys and secret smiles,
Little pretty infant wiles.

As thy softest limbs I feel,
Smiles as of the morning steal
O’er thy cheek, and o’er thy breast
Where thy little heart does rest.

O! the cunning wiles that creep
In thy little heart asleep.
When thy little heart does wake
Then the dreadful lightnings break,

From thy cheek and from thy eye,
O’er the youthful harvests nigh.
Infant wiles and infant smiles
Heaven and Earth of peace beguiles.

*

Schönheit strahlend, schlaf! schlaf sacht,
Träumend von dem Glück der Nacht
Schlafe! Schlaf! In deinem Schlummer
Sitzt und weint ein kleiner Kummer.

Ich kann seh´n auf deinen Wangen
Süßes Kind, sanftes Verlangen,
Heimlich Lächeln, heimlich Freu´n,
Hübsche kleine Kinderei´n.

Berühr ich deine Glieder weich
Sich ein Morgenlächeln schleicht
Auf deine Wangen, deine Brust,
Wo dein Herzelein du ruhst.

Schlaue List schleicht sich hinein
In dein schlafend Herzelein.
Wenn erwacht dein Herzelein
Schlagen schrecklich Blitze ein,

Von der Wang´, vom Augenpaar,
Über Ernten, jung und nah.
Kinderlächeln, Kinderei´n
Nehmen Erd´ und Himmel friedlich ein.

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The Blossom

Merry, merry sparrow!
Under leaves so green
A happy blossom
Sees you, swift as arrow,
Seek your cradle narrow,
Near my bosom.
Pretty, pretty robin!
Under leaves so green
A happy blossom
Hears you sobbing, sobbing,
Pretty, pretty robin,
Near my bosom.

*

Die Blüte

Sperling heiter vergnügt!
Unter Blättern so grün
Eine glückliche Blüte dich schaut
Will schnell, wie ein Pfeil fliegt,
In deine schmale Wieg´,
Meinem Busen vertraut.
Rotkehlchen, hübsch und fein!
Unter Blättern so grün
Eine glückliche Blüte dich laut
schluchzen hört, weinen,
Rotkehlchen, hübsch und fein!
Meinem Busen vertraut.

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The Echoing Green

The sun does arise,
And make happy the skies.
The merry bells ring
To welcome the spring.
The skylark and thrush,
The birds of the bush,
Sing louder around,
To the bells’ cheerful sound,
While our sports shall be seen
On the echoing green.

Old John with white hair
Does laugh away care,
Sitting under the oak,
Among the old folk.
They laugh at our play,
And soon they all say:
‘Such, such were the joys
When we all, girls and boys,
In our youth-time were seen
On the echoing green.’

Till the little ones weary
No more can be merry;
The sun does descend,
And our sports have an end.
Round the laps of their mother
Many sisters and brothers,
Like birds in their nest,
Are ready for rest;
And sport no more seen
On the darkening green.

*

Die klingenden Auen

Die Sonne geht auf,
Was den Himmel erfreut,
Den Frühling begrüßt
Heitres Glockengeläut.
Wenn im Busch tönt der Lerche
Und der Drossel Gesang
Laut zu der Glocken
Fröhlichem Klang,
Unser Spiel ist zu schauen
In den klingenden Auen.

Die Sorgen lacht fort
Old John weißgelockt,
Der unter der Eiche
Beim Greisenvolk hockt.
Man belacht unser Spiel
Und sagt bald allgemein:
So war´n unsre Freuden
Als wir alle noch klein,
In der Jugend zu schauen
In den klingenden Auen.

Bis die Kleinsten, erschöpft,
Nicht mehr sein können munter;
Unser Spiel geht zuende,
Die Sonne geht unter.
Auf dem Schoß ihrer Mütter,
Wie Vögel in Nestern,
Bereit nun zu ruh´n
Viele Brüder und Schwestern;
Und kein Spiel mehr zu schauen
In den dunkelnden Auen.

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The FlY

Little Fly,
Thy summer’s play
My thoughtless hand
Has brushed away.

Am not I
A fly like thee?
Or art not thou
A man like me?

For I dance
And drink, and sing,
Till some blind hand
Shall brush my wing.

If thought is life
And strength and breath
And the want
Of thought is death;

Then am I
A happy fly,
If I live,
Or if I die.

*

Die Fliege

Kleine Fliege,
Deines Sommers Spiel
Hat unüberlegt
Meine Hand weggefegt.

Bin ich nicht
Eine Fliege wie du?
Oder bist du nicht
Ein Mensch wie ich?

Denn ich tanze
Und trinke und singe,
Bis blinde Hand greift,
Meine Flügel streift.

Wäre Denken Leben
Und Atem und Kraft
Und des Denkens Not
Wäre Tod;

Dann bin ich
Eine Fliege froh –
Ob lebend, ob sterbend –
So oder so.

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THE LAND OF DREAMS

Awake, awake, my little boy!
Thou wast thy mother’s only joy;
Why dost thou weep in thy gentle sleep?
Awake! thy father does thee keep.

O, what land is the Land of Dreams?
What are its mountains, and what are its streams?
O father! I saw my mother there,
Among the lilies by waters fair.

Among the lambs, cloth´d in white,
She walk’d with her Thomas in sweet delight.
I wept for joy, like a dove I mourn;
O! when shall I again return?

Dear child, I also by pleasant streams
Have wander’d all night in the Land of Dreams;
But tho‘ calm and warm the waters wide,
I could not get to the other side.

Father, O father! what do we here
In this land of unbelief and fear?
The Land of Dreams is better far
Above the light of the morning star.

*

DAS LAND DER TRÄUME

Wach auf, wach auf, mein Knabe klein!
Warst deiner Mutter Glück allein;
Was weinst du in deinem Schlummer sacht?
Dein Vater beschützt dich: Aufgewacht!

O, welch Land ist das Land der Träume,
Was seine Berge, seine Flusssäume?
O Vater! Ich sah meine Mutter da
Zwischen den Lilien am Wasser klar.

Unter den Lämmern, im weißen Kleid
Ging mit ihrem Thomas sie voll süßer Freud´.
Wie eine Taube weint´ ich – vor Glück;
O, wann kehre ich wieder zurück?

Mein Kind, auch ich beim lieblichen Bach
Bin gewandert im Traumland Nacht für Nacht;
Wenn auch ruhig und warm das Wasser weit,
Konnt´ ich nicht erreichen die andere Seit´.

Vater, o Vater, was tun wir hier bloß
In diesem Land so furchtbar, gottlos?
Das Land der Träume ist besser fern
Hoch über dem Licht vom Morgenstern.

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The Lily

The modest Rose puts forth a thorn,
The humble sheep a threat’ning horn:
While the Lily white shall in love delight,
Nor a thorn nor a threat stain her beauty bright.

*

Die Lilie

Die schlichte Rose bringt hervor einen Dorn,
Das bescheidene Schaf ein bedrohliches Horn:
Doch die Lilie weiß schwelg´ in Liebe, es sei
Ihre strahlende Schönheit von Dornen stets frei.

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The Sick Rose

O Rose, thou art sick!
The invisible worm
That flies in the night,
In the howling storm,

Has found out thy bed
Of crimson joy:
And his dark secret love
Does thy life destroy.

*

Die kranke Rose

O Rose, bist du krank!
Der unsichtbare Wurm
Der fliegt in der Nacht,
Im heulenden Sturm,

Hat dein Bett entdeckt
von Freude blutrot:
Und seine Liebe, versteckt
Gibt deinem Leben den Tod.

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THE TYGER

Tyger! Tyger! burning bright
In the forests of the night
What immortal hand or eye
Could frame thy fearful symmetry?

In what distant deeps or skies
Burnt the fire of thine eyes?
On what wings dare he aspire?
What the hand dare seize the fire?

And What shoulder, and what art,
Could twist the sinews of thy heart?
And when thy heart began to beat,
What dread hand? and what dread feet?

What the hammer? what the chain?
In what furnace was thy brain?
What the anvil? what dread grasp
Dare its deadly terrors clasp?

When the stars threw down their spears,
And watered heaven with their tears,
Did he smile his work to see?
Did he who made the lamb make thee?

Tyger! Tyger! burning bright
In the forests of the night,
What immortal hand or eye
Dare frame thy fearful symmetry?

*

Der Tiger

Tiger! Tiger! Feuerlicht
In der Nächte Walddickicht
Welch unsterblich Aug´, welch Hand
Dein schrecklich Ebenmaß erfand?

Welche fernen Tiefen, Höh´n
Hat dein Feuerblick geseh´n?
Was beflügelte den Mut,
Welche Hand griff in die Glut?

Welche Schulter konnte dreh´n
So kunstvoll deines Herzens Sehn´?
Und als dein Herzschlag kaum erwacht,
Welch Schreckgestalt ward dir gemacht!

Welch Hammer schmiedete die Stirn?
In welchem Ofen war dein Hirn?
Auf welchem Amboss gab dir Schliff
Der Todesfurcht trotzende Griff?

Als Sterne warfen noch mit Speeren,
Den Himmel wässerten mit Zähren,
Musst´ lächeln ER, sein Werk zu seh´n?
Schuf, wer das Lamm erschuf, auch den?

Tiger! Tiger! Feuerlicht
In der Nächte Walddickicht
Welch Hand, welch Auge unsterblich
Traut deinen Bau zu bilden sich?

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THE VOICE OF THE ANCIENT BARD

Youth of delight, come hither,
And see the opening morn,
Image of truth new born.
Doubt is fled, and clouds of reason,
Dark disputes and artful teazing.
Folly is an endless maze,
Tangled roots perplex her ways.
How many have fallen there!
They stumble all night over bones of the dead,
And feel – they know not what but care,
And wish to lead others, when they should be led.

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DIE REDE DES ALTEN BARDEN

Freudvolle Jugend, komm hierher,
Des Morgens Erwachen zu sehn,
Der Wahrheit Abbild Aufersteh´n.
Fort sind Zweifel, trübes Denken,
Dunkler Streit und listig Heucheln.
Torheit! endlos Labyrinth! –
Wurzeln wirr im Wege sind.
So viele gestrauchelt schon waren!
Die ganze Nacht stolpernd über Totengebein,
In Sorge – doch ihres Gefühls nicht im Klaren
Woll´n sie andere führ´n – sollten selbst geführt sein!

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THREE THINGS TO REMEMBER

A Robin Redbreast in a cage,
Puts all Heaven in a rage.

A skylark wounded on the wing
Doth make a cherub cease to sing.

He who shall hurt the little wren
Shall never be beloved by men.

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DREI DINGE ZUR ERINNERUNG

Ein Rotkehlchen im Käfig macht,
dass sich im Himmel Wut entfacht.

Die Lerche wund an ihren Schwingen
Hält einen Cherub ab vom Singen.

Wer wehtut dem Zaunkönig klein
Von Menschen nie geliebt wird sein

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To the Evening Star

Thou fair-haired angel of the evening,
Now, whilst the sun rests on the mountains, light
Thy bright torch of love; thy radiant crown
Put on, and smile upon our evening bed!
Smile on our loves, and while thou drawest the
Blue curtains of the sky, scatter thy silver dew
On every flower that shuts its sweet eyes
In timely sleep. Let thy west wind sleep on
The lake; speak silence with thy glimmering eyes,
And wash the dusk with silver. Soon, full soon,
Dost thou withdraw; then the wolf rages wide,
And the lion glares through the dun forest.
The fleeces of our flocks are covered with
Thy sacred dew; protect them with thine influence.

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An den Abendstern

Der Abendstunden Goldhaar-Engel, du,
Jetzt, da die Sonne auf den Bergen ruht, entzünd
Die helle Liebesfackel; deinen Strahlenkranz
Leg an, und lächle über unsrem Abendbett!
Unseren Lieben lache, und wenn du ziehst zu
Die blauen Himmelsvorhänge, streu deinen Silbertau
Auf jede Blum´, die ihre süßen Äuglein schließt
In frühzeitigem Schlaf. Laß deinen Westwind schlummern auf
Dem See; mit deinen Schimmeraugen stille sprich,
Und tünch die Dämmerung mit Silber. Früh, ganz zeitig früh,
Tritt deinen Rückzug an; es wütet dann der Wolf weitab,
Der Löwe starrt durch den graubraunen Wald.
Die Felle unserer Herden sind bedeckt
Mit deinem heil´gen Tau; behüte sie mit deiner Macht.

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