SIGNOR FORMICA (E.T.A. Hoffmann)


ABSCHNITT I

Abendstimmung. Ein unordentliches Zimmer in der Schauspieler-Wohngemeinschaft mit Sofa und Sesseln auf der rechten Bühnenseite. Die Mimen – Caterina, Monica, Nicolo, Marcello, Leandro und der Gitarrespieler sitzen herum. Der Gitarrespieler spielt auf der Gitarre, die anderen singen dazu das LIED.

Es klopft. Jemand ruft: „Hereinspaziert! Es ist offen!“ Rosa, mit leichtem Reisegepäck, steht in der Tür. Alle sehen ungläubig zur Tür, dann stehen sie auf und begrüßen Rosa freudig mit Umarmungen und Ausrufen wie: Rosa! Du bist wieder da? usw.

Plötzlich bricht Rosa vor Ermattung und Fieber zusammen. Die anderen laufen besorgt zusammen und betten sie auf das Sofa.

Während der Gitarrespieler leise Klänge anstimmt, treten immer wieder welche aus der Clique in das Zimmer und kümmern sich um Rosa: Zudecken, Stirn kühlen, Suppe einflößen usw. Dann Musik aus und Black.

Licht. Morgenstimmung. Rosa allein auf dem Sofa. Die Frau Doktor, eine auffällige Erscheinung, kommt herein, begleitet von Caterina.

FRAU DOKTOR Da liegt nun die berühmte Künstlerin Rosa Salvatore todkrank bei euch Schauspielern, und sie ist verloren, wenn sie nicht meine Kunst rettet! Seit wann ist sie bei euch eingekehrt? Hat sie viele schöne große Werke mitgebracht?

CATERINA Ach, liebe Frau Doktor, erst letzte Nacht kehrte unsere arme Freundin bei uns ein, und was die Werke betrifft, so weiß ich noch nichts davon; aber unten steht eine große Kiste, die bat mich Rosa, ehe sie so besinnungslos wurde, wie Sie sie jetzt sehen, sorgfältig zu bewahren. Es ist wohl eine sehr schöne Skulptur darin verpackt, die sie während ihrer Reise gefertigt hat.

FRAU DOKTOR So so.

Sie untersucht Rosa mit übertrieben dramatischen Gesten, wirft mitlateinischen (Pseudo?)Namenum sich, in dem Sinne: „Das und das hat sie nicht, das hätte sie haben können“ usw.

FRAU DOKTOR Ich weiß die Krankheit Rosa Salvatores zwar nicht ad hoc zu benennen, werde aber binnen einiger Zeit schon einen passenden Namen dafür und mit diesem auch die gehörigen Mittel dagegen finden.

Sie stolziert Richtung Tür und winkt dabei Caterina, ihr zu folgen. Dann geht sie hinaus. Caterina wirft einen besorgten Blick auf Rosa, dann folgt sie der Frau Doktor.

FRAU DOKTOR (im off) Die Kiste. Zeig mir die Kiste.

Man hört Schritte, dann die Frau Doktor erfreut aufjuchzen und Klopfen auf Holz.

FRAU DOKTOR (im off) Wir werden sehen, wir werden sehen!

Während der Gitarrespieler leise Klänge anstimmt, treten immer wieder welche aus der Clique in das Zimmer und kümmern sich um Rosa: Zudecken, Stirn kühlen, Suppe einflößen usw. Dann Musik aus und allmählich Abendstimmung.

Rosa allein auf dem Sofa. Man hört die Frau Doktor im off.

FRAU DOKTOR (im off) Xyz – (nennt einen pseudolateinischen Namen für eine Krankheit)Sie hat Xyz.

Caterina tritt auf. Sie hat eine große Flasche mit einer ekelhaft aussehenden Flüssigkeit in der Hand, die sie skeptisch mustert. Sie geht zum Sofa und flößt Rosa etwas davon ein. Rosa zeigt großen Widerwillen gegen die Medizin.

Während der Gitarrespieler leise Klänge anstimmt, treten immer wieder welche aus der Clique in das Zimmer und kümmern sich um Rosa: diesmal besteht die Fürsorge ausschließlich aus dem Einflößen der Medizin.

Von der Abendstimmung geht es währenddessen allmählich in die Morgenstimmung über. Irgendwann geht die Musik aus und Rosa ist allein. Überall stehen leere Medizinflaschen.

Plötzlich bäumt sich Rosa auf, beugt sich hinter das Sofa und macht Geräusche des Erbrechens. Dann fällt sie erschöpft auf das Sofa zurück und bleibt wie tot liegen.

Caterina tritt auf, mit neuen Flaschen. Als sie Rosa die Medizin einflößen will, packt Rosa sie und würgt sie im Fieberwahn. Dann nimmt sie die Flaschen und wankt hinaus.

Im off hört man, wie Flaschen zerbrechen. Mit jedem Geräusch zuckt Caterina zusammen.

Rosa wankt wieder zurück und will weitere Flaschen nehmen. Caterina versucht sie zu beruhigen. Die Frau Doktor tritt auf und geht auf Rosa zu. Diese schüttet den Inhalt der Flasche in ihrer Hand in das Gesicht der Frau Doktor. Die Frau Doktor packt Rosa und sorgt mit einem bestimmten Griff dafür, dass diese bewusstlos aufs Sofa sinkt.

FRAU DOKTOR Signora Salvatore ist toll geworden, in Raserei gefallen, keine Kunst kann sie retten, sie ist tot in zehn Minuten. Her mit der Skulptur, Caterina, her mit dem Kunstwerk, es ist mein, der geringe Lohn meiner Mühe! Her mit dem Kunstwerk, sag‘ ich.

Caterina überreicht ängstlich der Frau Doktor einen Schlüssel. Die Frau Doktor stürzt hinaus. Caterina untersucht besorgt die bewusstlose Rosa. Man hört im off, wie eine Kiste mit dem Schlüssel geöffnet wird. Stille, dann ein wütender Aufschrei.

Die Frau Doktor stürmt wütend herein, alte Theaterkostüme in der Hand. Diese wirft sie Caterina vor die Füße.

FRAU DOKTOR Die Kiste der Rosa Salvatore, ja? Ein neues Kunstwerk der Rosa Salvatore, ja? Ich werde-

Sie kann vor Wut nicht weitersprechen, fuchtelt mit den Armen herum und verlässt wütend das Zimmer. Black.

ABSCHNITT II

Licht. Morgenstimmung. Rosa liegt schlafend auf dem Sofa, neben ihr sitzt Antonia und beobachtet sie.

Rosa wacht auf. Sie sieht gesünder aus. Sie blickt sich verwundert um.

ROSA Wo bin ich?

Antonia springt auf, kniet vor ihr, nimmt Rosas Hand und küsst sie.

ANTONIA O– nun ist alles gut – Sie sind gerettet, Sie werden gesund werden!

ROSA Aber sagen Sie mir nur-

ANTONIA Pscht! – Sehen Sie, Sie waren sehr krank, als Sie von ihrer Reise hier ankamen; aber so tödlich schien doch Ihr Zustand nicht zu sein, und geringe Mittel angewandt, hätte Ihnen Ihre starke Natur in kurzer Zeit wieder auf die Beine geholfen, wären Sie nicht durch Caterinas gutgemeintes Ungeschick, die gleich nach dem nächsten Arzt rannte, der berüchtigten Frau Doktor in die Hände geraten, die alle Anstalten machte, Sie unter die Erde zu bringen.

ROSA Was? D e r Frau Doktor?

ANTONIA Die Frau Doktor ist eine große Liebhaberin von Kunstwerken und besitzt auch in der Tat eine ganz auserlesene Sammlung, die sie sich durch eine besondere Praktik erworben hat. Sie stellt nämlich den Künstlern und ihren Krankheiten mit Schlauheit und Eifer nach. Vorzüglich berühmte zeitgenössische Künstler weiß sie in ihr Garn zu locken und hängt ihnen bald diese, bald jene Krankheit an, die sie mit einem unmöglichen Namen tauft und darauf los kuriert. Für die Kur lässt sie sich ein Gemälde oder eine Skulptur oder ein anderes Kunstwerk versprechen, das sie, da nur besonders hartnäckige Naturen ihren kräftigen Mitteln widerstehen, gewöhnlich aus dem Nachlass des armen Künstlers holt. Dass die Frau Doktor dann immer das Beste wählt, was der Künstler gefertigt hat, und dann noch manches andere Werk mitgehen lässt, versteht sich von selbst. Zum Überfluss hatte Caterina, freilich in guter Absicht, der Frau Doktor eingeredet, Sie hätten eine schöne Skulptur mitgebracht, und nun können Sie sich denken, mit welchem Eifer die Dame für Sie ihre Tränke kochte. – Ihr Glück, dass Sie im Fieberwahn der Frau Doktor ihre Flaschen an den Kopf warfen, ein Glück, dass sie Sie zornig verließ, ein Glück, dass Caterina mich holte–

ROSA Also sind Sie auch eine Ärztin?

ANTONIA Nein, ich bin keineswegs eine Ärztin. Ich bin lediglich Studentin der Medizin. Ich dachte, ich müsse in die Erde versinken vor Schreck – vor Freude, als Caterina mir sagte, Rosa Salvatore liege todkrank bei ihr auf dem Sofa und bedürfe meiner Hilfe. Ich eilte her, ich gab Ihnen eine Spritze, Sie waren gerettet! Ihre Krankheit ist gebrochen; einfache Mittel, die ich Ihnen bereiten werde, und gute Pflege werden Sie bald ganz kräftigen. – Und nun erlauben Sie, dass ich noch einmal diese Hand küsse, diese schöpferische Hand, die die verborgensten Geheimnisse der Natur ins rege Leben zaubert! – Erlauben Sie, dass die arme Antonia Scacciati ihr ganzes Herz ausströmen lasse in Entzücken und feurigen Dank, dass der Himmel es ihr verstattete, der großen, herrlichen Künstlerin Rosa Salvatore das Leben zu retten.

Sie stürzt wieder zum Sofa und bedeckt Rosas Hand mit Küssen, was Rosa sichtlich unangenehm ist.

ROSA Ich weiß nicht, liebe Frau Scacciati, welcher besondere Geist Sie treibt, dass Sie mir so große Verehrung beweisen. Sie sind, wie Sie sagen, eine Medizinstudentin, und dies Fachgebiet pflegt sich doch sonst mit der Kunst schwer zu paaren?

ANTONIA Wenn Sie, mein liebe Frau Salvatore, wieder mehr bei Kräften sind, so werde ich Ihnen manches sagen, was mir jetzt schwer auf dem Herzen liegt.

ROSA Tun Sie das. Fassen Sie volles Vertrauen zu mir. Sie können das; denn ich wüsste nicht, welches Menschen Anwesenheit mir besser täte als die Ihrige.

Rosa drückt dankbar Antonias Hand. Dann Black. Musik.

Musik aus. Licht. Morgenstimmung. Das Zimmer aus dem ersten Akt ist jetzt Rosas Atelier. Ein Vorhang, dahinter der Darsteller des Mario als Skulptur, nur teilweise sichtbar. Wir hören hinter dem Vorhang Klopfgeräusche wie bei einer Bildhauerarbeit. Auf einem Sessel oder auf dem Sofa sitzt Antonia.
Die Klopfgeräusche hören auf. Rosa, mit einem staubigen Kittel angetan, kommt hinter dem Vorhang hervor und geht zur Tür hinaus.
Antonia starrt eine Weile zum Vorhang, dann blickt sie verstohlen zur Tür. Sie steht auf und geht hinter den Vorhang. Man hört zaghafte Klopfgeräusche.
Rosa kommt zurück. Sie bleibt verwundert in der Tür stehen, dann schleicht sie hinter den Vorhang. Ein „Au!“ von Antonia ist zu hören, dann tritt sie am Daumen lutschend in das Zimmer und setzt sich wieder.

ROSA (hinter dem Vorhang) Antonia, du verstehst dich so gut auf die Kunst, dass ich glaube, dass du nicht nur das, was ich mache, mit dem richtigen Kennerblick anschaust, sondern auch schon selbst Hammer und Meißel in der Hand gehabt hast.

ANTONIA Erinnere dich, meine liebe Rosa, dass ich schon damals, als du aus tiefer Ohnmacht zur Genesung erwachtest, dir sagte, schwer läge manches auf meinem Herzen. Nun ist es wohl an der Zeit, dass ich mein Inneres dir ganz und gar offenbare!- Sieh, so wie ich die Medizinstudentin Antonia Scacciati bin, die dich gesund machte, so gehöre ich doch ganz und gar der Kunst an, der ich mich nun auch ganz ergeben will, die verhasste Studiererei beiseite werfend!

ROSA Antonia, bedenke, was du tust. Du bist jetzt schon eine geschickte angehende Ärztin und wirst vielleicht eine stümperhafte Bildhauerin werden und bleiben; denn verzeih, so jung du noch an Jahren sein magst, so bist du doch schon zu alt, um jetzt noch Hammer und Meißel zur Hand zu nehmen. Reicht doch kaum ein Menschenalter hin, um nur zu einiger Erkenntnis des Wahrhaftigen – und noch mehr zur praktischen Fähigkeit, es darzustellen, zu gelangen!

ANTONIA Meine liebe Rosa, wie sollte mir der wahnsinnige Gedanke kommen, jetzt mich zur schweren Bildhauerkunst zu wenden, hätt‘ ich nicht, wie ich nur konnte, schon von Kindesbeinen an die Kunst getrieben.

ROSA Nun, nun, beste Antonia, so kann es gar nicht fehlen, dass du, deiner Studiererei unbeschadet, auch eine große Schülerin der bildenden Kunst sein musst.

ANTONIA Lass mich jetzt alle Scheu, die sonst mir den Mund verschließt, beiseite setzen, lass mich alles frei heraussagen, wie ich es in mir trage. – Sieh, Rosa, niemals habe ich eine Küstlerin so aus dem tiefsten Grunde meiner Seele verehrt, als eben dich. Es ist die oft übermenschliche Größe der Gedanken, die ich in deinen Werken bewundere. Du erfasst die tiefsten Geheimnisse der Natur-

ROSA All das tolle Nachreden –

ANTONIA Ich rede niemanden etwas blindlings nach, und am wenigsten darf ich jetzt dem Urteil unserer hiesigen Kunstexperten trauen! – Wer wird die kühne Zeichnung, den wunderbaren Ausdruck, vorzüglich aber die lebendige Bewegung deiner Figuren nicht hoch bewundern! – Man merkt es, dass du nicht nach dem steifen, ungelenken Modell oder gar nach der toten Gliederpuppe arbeitest; man merkt es, dass du selbst dein reges lebendiges Modell bist, indem du, wenn du arbeitest, vor einem großen Spiegel die Figur darstellst, die du aus dem Stein zu schlagen im Sinne hast!

ROSA Antonia! ich glaube, du hast schon früher, ohne dass ich es bemerkt habe, in meine Werkstatt geguckt, da du so genau weißt, wie es darin hergeht!

ANTONIA Könnte das nicht sein?

Rosa schüttelt amüsiert den Kopf. Dann macht sie eine einladende Geste zum Vorhang hin. Antonia ist überrascht, dann geht sie freudig erregt hinter den Vorhang. Man hört immer mal das Klopfen, während Rosa, die sich auf das Sofa ausgestreckt hat, spricht.

ROSA Und doch, Antonia, und doch würde ich mich, wär‘ ich an deiner Stelle, mich besinnen, ob ich die Medizin ganz und gar aufgeben und die Kunst allein betreiben solle! – Es ist jetzt in der Kunst eine böse Zeit eingetreten– Bist du nicht darauf gefasst, Kränkungen jeder Art zu erfahren, je höher du in der Kunst steigst, desto mehr Hohn und Verachtung zu leiden, überall, sowie dein Ruhm sich verbreitet, auf hämische Bösewichter zu stoßen, die mit freundlicher Miene sich an dich drängen, um dich desto sicherer zu verderben, bist du, sage ich, auf alles das nicht gefasst, so bleib weg von der Bildhauerei! Denkt an das und prüfe dich wohl, ob dein Gemüt stark genug ist, dergleichen zu ertragen, denn sonst wird deine Kraft gebrochen, und mit dem festen Mut, zu schaffen, geht auch die Fähigkeit dazu verloren!

ANTONIA Ach, Rosa, es ist wohl kaum möglich, dass ich, habe ich mich dann ganz und gar zu den Künstlern geschlagen, mehr Hohn und Verachtung erdulden kann, als es jetzt schon geschehen ist, da ich noch Medizinstudentin bin. Du hast Wohlgefallen gefunden an meiner Kunst, ja, du hast es indirekt, und doch wohl aus innerer Überzeugung ausgesprochen, dass ich Tüchtigeres zu schaffen vermag, als manche von unsern Kunstakademikern. Und doch sind es eben diese, die über alles, was ich mit großem Fleiß hervorgebracht habe, die Nase rümpfen und verächtlich sprechen: ›Seht doch, die Medizinstudentin macht in Kunst! – Eben darum steht aber mein Entschluss fest, mich von einem Berufszweig ganz zu trennen, der mir mit jedem Tag verhasster wird! – Auf dich habe ich aber nun meine ganze Hoffnung gestellt! Dein Wort gilt viel, du kannst, willst du für mich sprechen, mit einemmal meine neidischen Verfolger zu Boden schlagen, du kannst mich hinstellen an den Platz, wo ich hingehöre!

ROSA Du hast viel Vertrauen zu mir-

Rosa steht auf, tritt zum Vorhang und zieht ihn beiseite; ihr entfährt einen Ausruf des Erstaunens. Vor ihr steht die Skulptur des Mario.

ROSA Aber jetzt, nachdem ich dein Werk kennengelernt habe, wüsste ich in der Tat nicht, für wen ich lieber mit aller meiner Kraft in den Kampf gehen sollte, als eben für dich! – Es liegt ein besonderer Zauber in der holden Gestalt; du hast mit Begeisterung gearbeitet, und irr‘ ich nicht, so lebt das Original dieses Jünglings und ist hier in unserem Städtchen zu finden. – Gesteh es, Antonia! – Du bist verliebt!

ANTONIA Deinem Scharfblick entgeht nichts, es mag wohl so sein, wie du sagst.

ROSA Nun, Antonia, sei gewiss, dass ich deine neidischen, hochmütigen Verfolger zu Boden schlage und dich zu verdienten Ehren bringe. Vertrau mir deine Skulptur an, lasse sie hier in meinem Atelier, und für das übrige lass mich dann sorgen. – Willst du das tun?

ANTONIA Mit tausend Freuden! Ach, ich möchte nun auch gleich von dem Ungemach meiner Liebe zu dir reden; aber es ist mir so, als wenn ich das nun gerade heute, da in der Kunst unser Inneres sich gegenseitig erschlossen hat, nicht dürfe. Künftig flehe ich dich wohl an, auch was meine Liebe betrifft, mir beizustehen mit Rat und Tat-

ROSA Mit beidem stehe ich dir zu Diensten, wo und wenn es not tut!

Black. Gitarrenmusik. Der Vorhang wird zugezogen.

ABSCHNITT III

Licht. Abendstimmung. Das Chaos des Zimmers wird von den Schauspielern, Rosa und Antonia aufgeräumt, die Möbel umgestellt. Der Gitarrespieler spielt dabei weiter.

An die Zuschauer wird Sekt verteilt, aber so, dass sie aufstehen müssen und auf diese Weise zu Gästen einer Vernissage mutieren. Die Schauspieler mischen sich unter sie und beginnen an verschiedenen Ecken mit improvisiertem Small Talk, indem sie Zuschauer ansprechen. Die Frau Doktor und ein paar Zuschauer nehmen auf dem Sofa Platz, wo JURY DER KUNSTAKADEMIE oder ähnliches steht.

Tusch, dann weiter beschwingte Gitarrenmusik. Der Vorhang wird feierlich zur Seite geschoben, die „Skulptur“Marios wird sichtbar. Rufe des Erstaunens und der Begeisterung. Die Frau Doktor steht auf, drückt Rosa feierlich die Hand und beginnt dann eine pantomimische Lobrede. Dann Musik aus.

ROSA Danke, danke. Aber diese Ehre gebührt mir nicht. Die Skulptur ist nicht von mir. Ich habe sie während meiner Reise entdeckt, im Nachlass eines jungen, früh verstorbenen Künstlers, und hierher mitgebracht.

Wieder Musik. Lockere Unterhaltung, Lob des unbekannten Künstlers in den improvisierten Gesprächen. Plötzlich stürzt Signora Capuzzi zu der Skulptur und kniet vor ihr nieder. Rosa beobachtet die Szene verwundert.

CAPUZZI Ah, mein Teuerster, mein Angebeteter! Oh, Mario, mein Allerschönster! – Verflucht sei meine Armut, die mir nicht erlaubt, dein Bildnis für eine Million zu erstehen und zu verschließen, damit nur kein anderer seine satanischen Blicke darauf richte-

Rosa geht auf Signora Capuzzi zu und will sie ansprechen. Diese steht aber plötzlich auf und gerät in Wut.

CAPUZZI Ich danke der Jungfrau und allen Heiligen, dass der verruchte Maler tot ist, der das himmlische Bildnis geschaffen hat, das mich in Verzweiflung und Raserei stürzt!

Sie geht wutentbrannt ab. Rosa schlägt gegen ein Glas. Musik und Gespräche verstummen.

ROSA Werte Damen und Herren der Kunstakademie. Sagen Sie mir bitte aufrichtig, ob nicht der Schöpfer dieser Skulptur würdig gewesen wäre, in die Akademie aufgenommen zu werden.

FRAU DOKTOR O ja. Ich versichere Ihnen – und ich denke, das ist die Ansicht des gesamten Kollegiums – , dass solch ein hoher Meister eine Zierde der Akademie gewesen sein würde, und wir bedauern seinen Tod. Ja, ich würde sogar so weit gehen – und meine Damen und Herren Kollegen werden gewiss meinen Entschluss mit Freuden teilen – den vortrefflichen Jüngling, den der Tod zu früh der Kunst entrissen, noch im Grabe zum Akademiker zu ernennen. Wir erbitten uns daher von Ihnen, teure Signorina Salvatore, den vollständigen Namen des Verstorbenen, sein Geburtsjahr, den Ort seiner Herkunft und so weiter-

ROSA Nun, werte Damen und Herren der Akademie, die Ehre, die Sie einem Toten im Grabe erweisen wollen, können Sie besser einem Lebendigen zuwenden, der unter uns wandelt. – das Kunstwerk, das Sie mit Recht so hoch, so über alle anderen Werke dieser Art stellen, die die neueste Zeit hervorgebracht hat, ist nicht das Werk eines schon verstorbenen Künstlers, wie ich vorgab, damit Ihr Urteil unbefangen sein möchte – jene Skulptur, das Meisterwerk, welches hier alle bewundern, ist von Antonia Scacciati, der Medizinstudentin!

Betretene Stille. Die Frau Doktor ringt um Fassung.

Nun, ihr habt die talentierte Antonia nicht unter euch dulden wollen, weil Sie eine Medizinstudentin ist, nun mein‘ ich aber, eine angehende Ärztin täte der erhabenen Akademie eben recht not, um den kranken Kitsch-Figuren, wie sie aus der Werkstatt von manchen eurer Künstlerkollegen hervorgehen, zu mehr Gesundheit zu verhelfen! – Jetzt werdet ihr aber wohl nicht länger aufschieben zu tun, was ihr längst hättet tun sollen, nämlich die tüchtige Bildhauerin Antonia Scacciati aufnehmen in die Akademie!

Antonia tritt vor. Applaus. Musik. Die Frau Doktor nötigt die anderen Akademiekollegen, Antonia die Hand zu schütteln, und tut es dann zähneknirschend selber.

Black. Das Publikum nimmt wieder Platz, die Schauspieler räumen auf und gehen dann ab.

ABSCHNITT IV

Musik aus. Licht, Morgenstimmung. Rosa hinter dem Vorhang, arbeitet. Man hört Klopfgeräusche.

Antonia tritt auf und wirft sich niedergeschlagen aufs Sofa. Nach einer Weile spricht sie in Rosas Klopfen hinein.

ANTONIA Ach, Rosa, was hilft es mir nun, dass du mich emporgebracht hast, wie ich es gar nicht ahnen konnte, dass ich überhäuft werde mit Lob und Ehre, dass die Aussicht des herrlichsten Künstlerlebens sich mir geöffnet hat, da ich doch grenzenlos elend bin, da eben das Bildnis, dem ich nächst dir, meine liebe Meisterin, meinen Sieg verdanke, mein Unglück rettungslos entschieden hat!

Rosa schaut hinter dem Vorhang hervor und setzt sich im folgenden in einen Sessel.

ROSA Still, versündige dich nicht an der Kunst und an deinem Werk! An das entsetzliche Unglück, das dich betroffen haben soll, glaube ich ganz und gar nicht. Du bist verliebt, und da mag sich denn nicht gleich alles deinen Wünschen fügen wollen: das wird alles sein. Verliebte sind wie die Kinder, die gleich weinen und schreien, wenn man nur ihr Püppchen berührt. Lass, ich bitt‘ dich, lass das Lamentieren, ich kann es durchaus nicht leiden. Setz dich ordentlich hin und erzähle mir ruhig, wie es sich verhält mit deinem holden Mario, mit deiner Liebesgeschichte überhaupt, und wo die Steine des Anstoßes liegen, die wir wegräumen müssen, denn ich sage dir im voraus meine Hilfe zu. Je abenteuerlicher die Dinge sind, die wir unternehmen müssen, desto lieber ist es mir.

ANTONIA In dem Haus gleich gegenüber wohnt die närrischste Trulla, die es vielleicht in unserem Städtchen gibt. Eine alte Schachtel, geizig, eitel, das Girlie spielend, verliebt und peinlich! – Sie ist-

ROSA Halt, halt. Warte einen Augenblick–

Rosa steht auf und zieht den Vorhang beiseite. Man sieht neben der Skulptur des Mario die Skulptur der Signora Capuzzi in einer knienden Haltung. Antonia lacht auf.

ANTONIA Das ist sie, das ist Signora Capuzzi, von der ich eben spreche, wie sie leibt und lebt!

ROSA Nun siehst du, ich kenne schon die Patronin, die höchstwahrscheinlich deine ärgste Widersacherin ist; doch erzähl nur weiter.

Rosa setzt sich wieder. Während Antonia weitererzählt, wird das Erzählte von den Skulpturen „mitgespielt“; Antonia geht auch zu ihnen und interagiert. Es könnten auch die anderen erwähnten Figuren auftreten. Am Ende der Replik sitzt Antonia wieder auf dem Sofa und die Skulpturen stehen in der Ausgangsposition.

ANTONIA Signora Capuzzi ist steinreich, dabei, wie ich schon sagte, extrem knausrig. Das Beste an ihr ist noch, dass sie die Künste liebt, vorzüglich Musik und Malerei; aber es läuft dabei so viel Narrheit mit unter, dass auch in dieser Hinsicht mit ihr gar nicht auszukommen ist. Sie hält sich für die größte Komponistin der Welt und für eine Sängerin, und sie glaubt, sie, die Capuzzi, wisse wohl, wie man die Leute zu bezaubern wisse. In früheren Jahren brachte sie eine Oper aufs Theater, die jämmerlich ausgepfiffen wurde, das hat sie aber nicht geheilt von ihrer Sucht, abscheuliche Musik zu machen. Sie ist wie besessen darauf, Arien zu singen und dazu eine arme schwindsüchtige Gitarre abmartern zu lassen, die zu ihrem abscheulichen Gequarre stöhnen und ächzen muss. Ihr treuer Begleiter an dem bedauernswerten Instrument ist ein machomäßiger Muskelprotz, der sich Michele nennt. Zu den beiden gesellt sich – denk dir wer! – Nun! keine andere als die omnipräsente Frau Doktor, die Töne von sich gibt wie ein melancholischer Esel und dennoch meint, sie sänge einen vortrefflichen Alt. Die drei würdigen Leute kommen nun abends zusammen und stellen sich hin auf den Balkon und singen und spielen, dass alle Hunde und Katzen in der ganzen Nachbarschaft in ein lautes Jammergeschrei ausbrechen, und die Menschen das höllische Trio zu allen tausend Teufeln wünschen. Eines Tages gehe ich ganz ruhig an dem Haus vorbei, schaue zum Balkon hinauf – da steht ein junger Mann – ein Engel des Lichts! – Du kennst ja meine Skulptur! – Er war es! – Erstarrt, fest in den Boden gewurzelt, bleibe ich stehen. – Genug, sowie ich den wunderlieblichsten der Jünglinge schaute, ergriff mich die heißeste, glühendste Liebe. Ich brachte in Erfahrung, dass er der die Sohn des verstorbenen Bruders der Signora Capuzzi ist, Mario heißt und mutter- und geschwisterlos ist; als Tante und Vormund hat die Capuzzi ihn zu sich ins Haus genommen. Du kannst dir denken, dass ich von nun an Capuzzis Haus als mein Paradies betrachtete. Ich freundete mich mit der Alten an und gewann ihr Vertrauen, indem ich jedes Mal, wenn sie ihre Arien vom Balkon herunterkrähte, sie mit Beifall und Lobesworten überschüttete. Schließlich gewährte sie mir Einlass in ihre heiligen Hallen. Aber ich mocht‘ es anstellen, wie ich wollte, nie glückte es mir, mit Mario auch nur einen Augenblick allein zu sein. Doch seine Blicke, mancher verstohlene Seufzer, ja mancher Händedruck ließen mich mein Glück nicht bezweifeln. – Die Alte erriet schließlich meine Absichten.

CAPUZZI Ihr Betragen gegen meinen Neffen gefällt mir ganz und gar nicht. Was wollen Sie denn eigentlich ? –

Offen gestand ich ihr, dass ich Mario mit voller Seele liebe und kein höheres Glück auf Erden kenne, als mich mit ihm zu verbinden. Da musterte mich die Capuzzi von oben bis unten und brach dann in ein höhnisches Gelächter aus.

CAPUZZI Ich habe gar nicht geglaubt, dass in dem Kopf einer armseligen Studentin solche hohe Ideen spuken könnten.

Der Zorn packte mich, ich sagte, sie wisse wohl, dass ich keine armselige Studentin, vielmehr eine tüchtige angehende Ärztin sei. Noch in ein stärkeres Gelächter brach nun die niederträchtige Capuzzi aus und quiekte in ihrem scheußlichen Falsett:

CAPUZZI Ei, meine süße Signorina Quacksalber, scher dich zum Teufel und lass dich hier nicht mehr sehen, wenn du mit gesunden Beinen davonkommen willst!

Damit packte mich die alte wahnsinnige Hexe und hatte nichts Geringeres im Sinn, als mich zur Türe hinaus die Treppe hinabzuwerfen. – Nein! das war nicht zu dulden! – Wütend fasste ich die Alte, stieß sie zu Boden, dass sie, laut aufkreischend, die Beine in die Höhe streckte, rannte die Treppe hinab, zur Türe hinaus, die nun freilich für mich verschlossen blieb. – Nun da durch deine Geschicklichkeit das gelungen ist, wonach ich vergebens getrachtet hatte, als die Akademie mich aufgenommen hatte, ging ich geradewegs zur Alten und stand plötzlich vor ihr wie ein bedrohliches Gespenst. – So musste ich ihr nämlich vorkommen, denn sie wurde leichenblass und zog sich zurück, an allen Gliedern zitternd. Mit ernstem, festen Ton hielt ich ihr nun vor, dass es jetzt keine armselige Medizinstudentin, wohl aber eine berühmte Künstlerin und Akademikerin Antonia Scacciati gebe, der sie die Hand ihres Neffen Mario nicht verweigern werde. Da hättest du die Wut sehen sollen, in die die Alte geriet. Sie heulte, sie schlug mit den Armen um sich, wie vom Teufel besessen; sie schrie –

CAPUZZI Du ruchlose Mörderin, du trachtest nach meinem Leben, du hast mir meinen Mario gestohlen, da du ihn mit dem Bildnis kopiert hast. Das stürzt mich in Raserei und Verzweiflung, da nun alle Welt – alle Welt meinen Mario – mein Leben – meine Hoffnung – mein Alles mit gierigen, lüsternen Blicken anschaut; – aber du sollst dich hüten, das Haus über den Kopf will ich dir anzünden, damit du verbrennst samt deinem Machwerk. –

Und damit fing sie so übermäßig an zu schreien, –

CAPUZZI Feuer – Mörder – Diebe – Hilfe!

– daß ich, ganz bestürzt, nur eilte, um aus dem Hause zu kommen. –Die alte, wahnsinnige Capuzzi ist bis über beide Ohren verliebt in ihren Neffen, sie schließt ihn ein. – Alle Hoffnung ist verloren.

ROSA Warum das? Ich meine vielmehr, dass deine Sachen gar nicht besser stehen können! – Mario liebt dich, davon bist du überzeugt, und es kommt nur darauf an, sie der alten, tollen Signora Capuzzi zu entreißen. Nun wüßt‘ ich aber in der Tat nicht, warum ein paar clevere Leute wie wir das nicht bewerkstelligen sollten! – Fass Mut, Antonia! statt zu klagen, statt liebeskrank zu seufzen und zu ohnmächteln, ist es besser, fleißig auf Marios Rettung hinzuarbeiten. – Gib acht, Antonia, wie wir die alte Trulla bei der Nase herumführen wollen: das Tollste ist mir kaum toll genug bei derlei Unternehmungen! – Gleich auf der Stelle will ich sehen, wie ich mehr über die Alte und über ihre ganze Lebensweise erfahre. Du darfst dich dabei nicht blicken lassen, Antonia; geh nur fein nach Hause und komm morgen in aller Frühe zu mir, damit wir den Plan zum ersten Angriff überlegen.

Sie verabschieden sich innig voneinander. Black. Musik.

Musik aus. Licht. Morgenstimmung. Das Atelier. Rosa und Antonia sitzen im Sessel oder Sofa und unterhalten sich.

ROSA Der arme Mario wird von der wahnsinnigen Alten auf höllische Weise gequält. Sie seufzt und liebelt den ganzen Tag, und was das ärgste ist, sie singt, um sein Herz zu rühren, ihm alle möglichen Liebeslieder vor, die sie jemals komponiert hat. Dabei ist sie so bis zur Tollheit eifersüchtig, dass sie den bedauernswerten Jungen nicht einmal aus dem Haus lässt, aus Furcht vor Liebesintrigen, zu denen er vielleicht verleitet werden könnte. Ist die Capuzzi abwesend, so verschließt und verriegelt sie sorgfältig alle Türen, und außerdem hält ein verfluchter Kerl Wache, der nach deiner Beschreibung jener Michele sein dürfte, und der unten im Haus der Capuzzi wohnt. In ihre Wohnung einzudringen scheint daher unmöglich, und doch verspreche ich dir, Antonia, dass du schon in der nächsten Nacht bei der Capuzzi im Zimmer sein und deinen Mario schauen sollst, wiewohl fürs erste nur in Signora Capuzzis Gegenwart –

ANTONIA Was sagst du, Rosa, in der nächsten Nacht sollte geschehen, was mir unmöglich erscheint?

ROSA Schon gut. Setz dich wieder hin, lass uns ruhig überlegen, wie wir den Plan mit Sicherheit ausführen, den ich entworfen habe! – Zunächst muss ich dir sagen, dass ich mit der Signora Capuzzi in Verbindung stehe, ohne dass ich es wusste. Jene erbärmliche Ukulele, die dort im Winkel steht, gehört der Alten, und ich soll ihr den ungeheuren Preis von zehn Euro dafür bezahlen. – Als ich krank war, aber schon auf dem Weg der Besserung, sehnte ich mich nach Musik. ich bat Caterina, mir solch ein Instrument, wie die Ukulele dort, zu besorgen. Caterina erzählte, dass gegenüber eine alte Dame wohne, die ein solches Instrument verkaufen wolle. Das Instrument wurde hergeschafft. Ich kümmerte mich weder um den Preis noch um die Besitzerin. Erst gestern Abend erfuhr ich ganz zufällig, dass es die saubere Signora Capuzzi sei, die mich mit ihrer alten, gebrechlichen Spielzeug-Ukulele hereinlegen will. Caterina hatte sich an eine Bekannte gewendet, die im Hause der Capuzzi, und noch dazu in demselben Stockwerk wohnt, und nun kannst du dir wohl denken, wo ich alle meine schönen Informationen her habe!

ANTONIA Ha! so ist der Zugang gefunden. Caterina –.

ROSA Ich weiß, was du sagen willst; durch Caterina meinst du den Weg zu deinem Mario zu finden. Daraus wird aber nichts; Caterina ist viel zu geschwätzig, sie bewahrt nicht das kleinste Geheimnis und ist daher für unsere Angelegenheiten ganz und gar nicht zu gebrauchen.

Es klopft. Kurz darauf tritt Signora Capuzzi in das Zimmer. Sowie sie Antonia erblickt, bleibt sie, wie an allen Gliedern gelähmt, stehen, reißt die Augen weit auf und schnappt nach Luft, als wollte ihr der Atem vergehen. Rosa springt hastig auf sie zu und fasst sie bei beiden Händen.

ROSA Meine beste Signora Capuzzi, wie fühle ich mich geehrt durch Ihre Gegenwart in meiner schlechten Wohnung! – Gewiss ist es die Liebe zur Kunst, die Sie zu mir führt – Sie wollen sehen, was ich Neues geschaffen habe, vielleicht gar eine Arbeit in Auftrag geben? – Sprechen Sie, meine beste Signora Capuzzi, worin kann ich Ihnen gefällig sein –

CAPUZZI Ich habe- ich habe mit Ihnen zu reden, beste Signorina Salvatore! aber – allein – wenn Sie allein sind. Erlauben Sie, dass ich mich jetzt entferne und zu gelegenerer Zeit wiederkomme –

ROSA Mitnichten, mitnichten, meine beste Signora! Sie sollen nicht von der Stelle; Sie konnten zu keiner gelegeneren Stunde kommen, denn da Sie eine große Verehrerin der edlen Bildhauerkunst, die Freundin aller tüchtigen Bildhauer sind, so wird es Ihnen nicht wenig Freude machen, wenn ich Ihnen hier die Antonia Scacciati vorstelle, die erste Bildhauerin unserer Zeit, deren herrliche Skulptur des Mari- des Jünglings das ganze Städtchen mit dem glühendsten Enthusiasmus bewundert. Gewiss sind auch Sie ganz und gar von dem Bildnis erfüllt und habt wohl eifrig gewünscht, die wackere Meisterin selbst zu kennen!

Die Capuzzi überfällt ein heftiges Zittern, sie schüttelte sich wie im Fieberfrost, während sie glühende, wütende Blicke auf Antonia schießt. Die tritt auf die Alte zu und verbeugt sich.

ANTONIA Ich darf mich glücklich schätzen, die Signora Capuzzi, deren tiefe Kenntnisse in der Musik sowohl, als in der bildenden Kunst nicht allein unser Städtchen, sondern ganz Italien bewundert, so unvermuteterweise anzutreffen-

Die Capuzzi zwingt sich zu einem Lächeln, stottert einige unverständliche Worte und wendet sich dann abrupt an Rosa.

CAPUZZI Signorina Salvatore, ich komme, Sie um die Zahlung der zehn Euro für die verkaufte Ukulele zu ersuchen.

ROSA Wir wollen die lumpige Kleinigkeit nachher abmachen, beste Signora! Erst lassen Sie es sich gefallen, mein neuestes Werk zu betrachten, und dabei ein Glas edlen Weines zu trinken.

Rosa drückt die Capuzzi in einen Sessel mit Blick zum Vorhang. Während sie einen ungenießbaren Wein einschenkt und ihr einen Pappbecher in die Hand drückt, macht sie Antonia ein Zeichen, die daraufhin den Vorhang zur Seite schiebt. Man sieht eine neue Mario-Skulptur, in einer anderen Haltung. Der Capuzzi bleibt wieder fast die Luft weg. Sie trinkt hastig, verzieht das Gesicht wegen dem Geschmack des Weines und bekommt einen Hustenanfall.

CAPUZZI Herrlich, köstlich!

ROSA Meinen Sie das Kunstwerk oder den Wein?

CAPUZZI Beides! beides!

Rosa schenkt nach und nötigt die Capuzzi mit aufmunternden Blicken, den Becher zu leeren.

ROSA Sagen Sie mir doch, meine beste Signora, Sie sollen ja einen wunderschönen, wunderlieblichen Neffen haben, namens Mario – Alle unsere jungen Damen rennen, vom verliebten Wahnsinn getrieben, unaufhörlich durch diese Straße und renken sich, nach Ihrem Balkon hinaufschauend, beinahe die Hälse aus, nur, um Ihren holden Mario zu sehen, um einen einzigen Blick seiner Himmelsaugen zu erhaschen.

CAPUZZI Da sieht man das tiefe Verderbnis unserer sündigen Jugend. Auf Kinder richten sie ihre satanischen Blicke, die abscheulichen Verführerinnen! – Denn ich sage Ihnen, meine beste Signorina, ein pures Kind ist mein Neffe Mario, ein pures Kind, kaum der unschuldigen Kindheit entwachsen.

Rosa schenkt nach und nötigt die Capuzzi mit aufmunternden Blicken, den Becher zu leeren.

ROSA Sagen mir doch, meine beste Signora, hat Ihr siebzehnjähriger Neffe, der holde Mario, wirklich ein solch wunderschönes ebenmäßiges Antlitz und solche Augen voll Wonne und Seligkeit des Himmels, wie Antonias „Jüngling“? – Man will das allgemein behaupten!

CAPUZZI Ich weiß das nicht, ich weiß das nicht, doch lassen Sie uns von meinem Neffen schweigen; wir können ja bedeutendere Worte wechseln über die edle Kunst, wozu mich Ihr schönes Bildnis von selbst auffordert!

Sie schaut zu der Skulptur und wird sich erneut deren Ähnlichkeit mit Mario bewusst. Erneuter Anfall. Rosa nimmt den Becher, schenkt wieder nach und flößt der Capuzzi mit Gewalt den Wein ein, so als wäre es die notwendige Medizin gegen den Anfall. Darauf springt die Capuzzi auf und rastet aus.

CAPUZZI Bei allen Furien! ich merk‘ es, Sie und die saubere Signorina Antonia mit Ihnen, Sie wollen mich foppen! – Das soll Ihnen aber schlecht gelingen. Zahlen Sie mir sogleich die zehn Euro, die Sie mir schuldig sind, und dann überlasse ich Sie samt Ihrer Busenfreundin, der Studentin Antonia, allen Teufeln!

ROSA Was? – Sie unterstehen sich, mir hier in meiner Wohnung so zu begegnen? – Zehn Euro soll ich Ihnen zahlen für jenes morsche Teil, aus dem die Holzwürmer schon längst alles Mark, allen Ton, weggefressen haben? – Nicht zehn – nicht fünf – nicht drei – nicht einen Euro sollen Sie für die Ukulele erhalten, das kaum einen Cent wert ist; –

CAPUZZI Ha! noch gibt es Gesetze – verhaften – verhaften lass ich Sie, ins Gefängnis werfen!

Sie will zur Tür hinaus, Rosa hält sie zurück und drückt sie erneut in den Sessel.

ROSA Meine beste Signora Capuzzi, merken Sie denn nicht, dass ich nur Scherz treibe? – Nicht zehn, ganze dreißig Euro sollen Sie für Ihre Ukulele haben!

CAPUZZI Was sagen Sie, beste Signorina? – Dreißig Euro für die Ukulele?

ROSA Ich setze meine Ehre zum Pfande, dass die Ukulele binnen einer Minute dreißig – vielleicht gar dreihundert Euro wert sein wird, und dass Sie so viel dafür erhalten sollen.

CAPUZZI Drei – dreihundert Euro? – Aber Sie haben mich schwer geärgert, Signorina Salvatore! –

ROSA Dreihundert Euro.

CAPUZZI Sie haben mir ins Herz gegriffen, Signorina Salvatore!

ROSA Dreihundert Euro. D r e i h u n d e r t Euro!

CAPUZZI Kann ich für meine Ukulele dreißig – dreihundert Euro erhalten, so sei alles vergeben und vergessen, beste Signorina!

ROSA Doch- doch habe ich, ehe ich mein Versprechen erfülle, noch eine kleine Bedingung zu machen, die Sie, meine würdigste Signora Capuzzi, sehr leicht erfüllen können. Sie sind die erste Komponistin in ganz Italien und dabei die vortrefflichste Sängerin, die es geben mag. Wollten Sie mir Ihre neueste Arie vorsingen, ich wüsste in der Tat nicht, was mir Angenehmeres erzeigt werden könnte.

CAPUZZI Man merkt es, dass Sie eine Musikexpertin sind, beste Signorina; denn Sie haben Geschmack und wissen würdige Leute besser zu schätzen, als die undankbaren– anderen- Hören Sie! – Hören Sie! die Arie aller Arien!

ABSCHNITT V

Die Alte steht auf, erhebt sich auf den Fußspitzen, breitet die Arme aus, drückt beide Augen zu, dass sie ganz einem Hahn zu vergleichen ist, der sich zum Krähen rüstet, und fängt sogleich an, dermaßen zu kreischen, dass die Wände klingen, und Caterina mit den anderen Schauspielern hereinstürzt, nicht anders meinend, als dass das entsetzliche Jammergeschrei irgendein geschehenes Unheil verkünde. – Ganz erstaunt bleiben sie in der Türe stehen, als sie die krähende Alten erblicken. Zudem könnten schimpfende Stimmen von Nachbarn aus dem Off zu hören sein.

Schließlich bekommt die Capuzzi Atemnot, und setzt sich erschöpft in den Sessel. Erleichterung des Publikums. Rosa beginnt zu applaudieren, die anderen setzen mit ein. Rosa nimmt die Ukulele, signiert sie und übergibt sie der Capuzzi..

ROSA Ich habe Wort gehalten wegen des Instruments, beste Signora Capuzzi!

Die Capuzzi sieht die Signatur, reißt die Augen weit auf, als sähe sie ein Wunder, springt auf und rennt wie besessen zur Tür hinaus. Die anderen lachen.

ROSA Die alte Geizgarke weiß, dass sie das signierte Teil nur zum nächsten Kunsthändler tragen braucht, um dreißig Euro, bei geschicktem Verhandeln auch dreihundert für dieses Readymade der berühmten Rosa Salvatore zu erhalten.

Black. Musik.

Licht. Abendstimmung. Musik weiter. Ein Platz, bestehend aus der linken Bühnenseite. In einer Ecke versteckt Rosa, Antonia und Nicolo.

Signora Capuzzi geht an ihnen vorbei. Nicolo, betrunken spielend, torkelt auf sie zu, reißt sie zu Boden und bleibt auf ihr liegen. Sie kann sich nicht befreien und schreit um Hilfe. Rosa und Antonia kommen aus ihrem Versteck und helfen ihr. Der Schauspieler sucht das Weite. Während der Hilfsaktion hat Antonia der Capuzzi heimlich eine muskellähmende Injektion ins Bein gegeben. Die Capuzzi versucht vergeblich aufzustehen. Musik aus.

CAPUZZI Das ist mein Ende. Alle meine Glieder hat mir der Höllenhund zerschmettert, ich kann mich nicht bewegen.

ANTONIA Lassen Sie mal sehen-

Sie zwickt die Capuzzi überall, so dass diese immer wieder aufschreit. Schließlich untersucht sie das gelähmte Bein.

ANTONIA Du meine Güte! beste Signora Capuzzi, Sie haben sich das rechte Bein gebrochen, an der gefährlichsten Stelle. Wird Ihnen nicht schleunigst Hilfe geleistet, so sind Sie binnen weniger Zeit tot oder bleiben doch wenigstens auf immer lahm.

Die Capuzzi stößt ein fürchterliches Geheul aus.

ANTONIA Beruhigen Sie sich nur, beste Signora, ungeachtet dessen ich jetzt Künstlerin bin, so habe ich doch das im Studium Gelernte noch nicht vergessen. Wir tragen Sie nach Signorina Salvatores Wohnung, und ich verbinde Sie augenblicklich.

CAPUZZI Meine beste Signorina Antonia, Sie sind mir feindlich gesinnt, ich weiß es-

ROSA Ach, hier kann von keiner Feindschaft die Rede sein; Sie sind in Gefahr, und das ist der ehrlichen Antonia genug, all ihre Kunst aufzubieten, um Ihnen zu helfen– Fass an, Freundin Antonia!

Sie heben die Capuzzi hoch, stellen sich aber absichtlich dumm an, so dass sie wieder hinfällt und sich wehtut, oder sie zwicken sie „aus Versehen“ usw.

Black und Musik, dann wieder Licht. Abendstimmung. Die Capuzzi liegt auf dem Sofa. Rosa und Antonia wickeln in Eiswasser getränkte Tücher um die Beine der Alten und umwickeln sie dann mit Mullbinden, so dass die Capuzzi sich nicht bewegen kann. Sie zittert im folgenden vor Kälte. Musik aus.

CAPUZZI Meine gute Signorina Antonia, sagen Sie mir, ist es um mich geschehen? – muss ich sterben?

ANTONIA Beruhigen Sie sich nur, beruhigen Sie sich, Signora Capuzzi, da Sie den ersten Verband mit so viel Standhaftigkeit und ohne in Ohnmacht zu fallen ausgehalten haben, so scheint die Gefahr vorüber; doch ist die sorgsamste Pflege nötig. Sie dürfen fürs erste nicht aus den Augen des Arztes kommen.

CAPUZZI Ach Antonia, du weißt, wie ich dich lieb habe! – wie ich deine Talente schätze! – Verlass mich nicht! – reich mir deine liebe Hand! – so! – Nicht wahr, meine gute, liebe Tochter, du verlässt mich nicht?

ANTONIA Bin ich auch nicht mehr Medizinstudentin, hab‘ ich auch das mir verhasste Studium ganz aufgegeben, so will ich doch bei Ihnen, Signora Capuzzi, eine Ausnahme machen und mich Ihrer Genesung widmen, wofür ich nichts verlange, als dass Sie mir wieder Ihre Freundschaft, Ihr Zutrauen schenken, – Ihr wart ein wenig barsch gegen mich –

CAPUZZI Schweig- schweig davon, beste Antonia!

ANTONIA Ihr Neffe wird sich, da Sie nicht nach Hause zurückgekehrt sind, halbtot ängstigen! – Sie sind für Ihren Zustand munter und stark genug, wir wollen Sie daher, sowie der Tag anbricht, in Ihre Wohnung tragen. Dort sehe ich noch einmal nach dem Verband, bereite Ihnen das Lager, wie es sein muss, und sage Ihrer Nichte alles, was sie für Sie zu tun hat, damit Sie recht bald gesund werden.

Die Alte seufzt recht tief auf, schließt die Augen und bleibt einige Augenblicke stumm. Dann streckt sie die Hand aus nach Antonia, zieht ihn dicht an sich und spricht ganz leise.

CAPUZZI Nicht wahr, beste Antonia, das mit Mario, das war nur ein Scherz, solch ein lustiger Einfall, wie ihn junge Leute haben –

ANTONIA Denkt doch jetzt nicht an so etwas, Signora Capuzzi! Es ist wahr, Ihr Neffe stach mir in die Augen; aber jetzt habe ich ganz andere Dinge im Kopf und bin – ich muss es Ihnen aufrichtig gestehen – recht sehr damit zufrieden, dass Sie mich mit meinem törichten Antrag so kurz abgefertigt haben. Ich dachte in Ihren Mario verliebt zu sein und erblickte in ihm doch nur ein schönes Modell zu meinem „Jüngling“. Daher mag es wohl kommen, dass Mario mir, nachdem ich das Werk vollendet hatte, ganz gleichgültig geworden ist!

CAPUZZI Antonia, Antonia, Gesegnete des Himmels! Du bist mein Trost – meine Hilfe, mein Labsal! Da du Mario nicht liebst, ist mir aller Schmerz genommen!

ROSA In der Tat, Signora Capuzzi, kennte man Sie nicht als eine seriöse verständige Frau, welche wohl weiß, was ihrem reifen Alter ziemt, man sollte glauben, Sie wären wahnsinnigerweise selbst in Ihren siebzehnjährigen Neffen verliebt.

Die Alte schließt aufs neue die Augen und ächzt und lamentiert über die angeblich grässlichen Schmerzen.

Black. Musik. Umbau, der mit wenig Handgriffen den Raum in ein Zimmer im Hause der Capuzzi verwandelt.

Licht. Morgenstimmung. Choreografie: während die Capuzzi weiter hilflos zusammengeschnürt auf dem Sofa liegt, beginnen Mario und Antonia zur Musik zu tanzen. Wechsel in Abendstimmung.

Die Choreografie wiederholt sich mehrmals, jeweils eingeleitet durch einen Lichtwechsel zurück in die Morgenstimmung, wobei die Tanzenden sich aber jedes Mal näher kommen. Die letzte Runde endet damit, dass sich Antonia und Mario küssen wollen; kurz vor dem Kuss aber Black. Musik.

Licht. Morgenstimmung. Rosas Atelier. Rosa steht am Fenster. Antonia tritt auf. Musik aus.

ROSA Nun, wie geht es, warum lässt du so den Kopf hängen? – was ist dir Überglücklichen, die du nun jeden Tag deinen Liebsten sehen, küssen und herzen kannst, denn widerfahren?

ANTONIA Ach, Rosa, mit meinem Glück ist es aus. Gescheitert ist unsere List, und wir stehen nun mit der verdammten Capuzzi in offenem Streit!

ROSA Desto besser, desto besser! Aber sprich, Antonia, was hat sich denn begeben?

Die folgende Replik wird wieder mit Parallel-Spiel unterstrichen.

ANTONIA Stell dir vor, als ich gestern nach einer Abwesenheit von höchstens zwei Stunden mit allerlei Essenzen nach der Wohnung zurückkehre, erblicke ich die Alte ganz angekleidet in der Türe. Hinter ihr stehen die Frau Doktor und der verfluchte Kraftmeier Michele. Sowie die Alte mich sah, drohte sie mit der Faust und stieß mit kreischender Stimme die grimmigsten Flüche und Verwünschungen aus.

CAPUZZI Ich schwöre, dass ich dir alle Glieder zerbrechen lassen werde, sowie du nur vor meiner Tür erscheinst. Scher dich zu allen Teufeln, verruchte Giftmischerin – mit Lug und Trug gedenkst du mich zu überlisten; wie der leidige Satan selbst stellst du meinem armen frommen Mario nach und gedenkst ihn in deine höllischen Schlingen zu locken – aber warte! – meinen letzten Cent wende ich dran, dich, ehe du dichs versiehst, das Lebenslicht ausblasen zu lassen! – Und deine saubere Patronin, die Signorina Salvatore, lasse ich fortschaffen aus unserem Städtchen, das ist mir leichte Mühe!

So tobte die Alte, und da der verfluchte Michele, von der Frau Doktor angeheizt, Anstalt machte, auf mich loszugehen, da das neugierige Volk sich zu sammeln begann, was blieb mir übrig als in aller Schnelligkeit das Feld zu räumen? Ich mochte in meiner Verzweiflung gar nicht zu dir gehen; denn ich weiß schon, du hättest mich nur mit meinen trostlosen Klagen ausgelacht. Kannst du doch jetzt kaum das Lachen unterdrücken!

ROSA Jetzt wird die Sache erst recht ergötzlich! Nun will ich aber dir, meine wackere Antonia, auch genau erzählen, wie sich alles begab in Capuzzis Haus, als du fortgegangen bist. Kaum warst du nämlich aus dem Haus, als die Frau Doktor – Gott weiß, auf welche Weise – erfahren hat, dass ihre Busenfreundin Capuzzi sich das rechte Bein „gebrochen“ hat, feierlichst heranrückte. Dein Verband, die ganze Art, wie Signora Capuzzi behandelt worden war, musste Verdacht erregen. Frau Doktor nahm die Bandagen ab, und man fand, was wir beide wissen, dass nämlich an dem rechten Fuß der würdigen Capuzzi auch nicht ein Knöchelchen verrenkt, viel weniger gebrochen war! – Das übrige lässt sich nun ohne sonderlichen Scharfsinn erklären.

ANTONIA Aber- aber meine beste Rosa, wie konntest du das alles erfahren?

Rosa zeigt Antonia eine versteckte Ecke am Fenster. Dort befinden sich ein Fernglas und ein Apparat mit Richtmikrofon. Rosa spielt einen Teil der Aufnahme ab. Man hört Signora Capuzzis Stimme.

ROSA Und wenn ich vorhin über deinen Schmerz, über deine Verzweiflung lachte, so geschah es, weil ich dich zu trösten, dir zu beweisen vermag, dass deine Angelegenheiten jetzt erst in einen Gang kommen, der recht ersprießlich ist. – Morgen ist Marios achtzehnter Geburtstag, und zur Feier des Tages geht Signora Capuzzi mit ihm ins Teatro Musso-

Black. Musik.

Licht. Abendstimmung. Musik weiter. Ein Platz, bestehend aus der linken Bühnenseite. Rosa und Antonia singen das LIED zu den Klängen der Gitarre.

Man sieht Mario auf einem Balkon der Musik träumerisch lauschend. Die Capuzzi erscheint auf einem anderen Balkon und beginnt loszuschimpfen. Man hört aber kurz darauf Stimmen von Nachbarn, die auf die Capuzzi schimpfen:

EINE STIMME Weil Sie mit ihren Gefährten so heulen und schreien wie alle höllischen Geister zusammen, wollen Sie wohl keine gute Musik in der Straße leiden?

EINE ANDERE STIMME Scheren Sie sich hinein und verstopfen Sie sich die Ohren, wenn Sie den schönen Gesang nicht hören wollen.

Die Capuzzi entfernt sich beschämt und wütend. Gegen Ende des Liedes taucht sie auf Marios Balkon auf und zieht ihn wütend hinein.

Black. Verwandlung des Schauplatzes.

ABSCHNITT VI

Theaterbeleuchtung. Die Bühne ist nun die Bühne des Teatro Musso, der Zuschauerraum der Zuschauerraum desselben. Im Publikum sitzen die Frau Doktor, Signora Capuzzi und Mario. Auf der Bühne stehen Rosa und Antonia, beide als Männer verkleidet und mit Halbmasken, und singen das LIED nahtlos weiter. Der Gitarrespieler begleitet sie weiterhin.

Das LIED ist zu Ende. Applaus, Rosa und Antomia verbeugen sich. Signora Capuzzi tut sich beim Applaus besonders hervor, steht auf, klatscht besonders laut und frenetisch, ruft „Bravo, Signor Formica, Bravo!“ u.ä. Dann setzt sie sich kurzatmig.

Rosa und Antonia verlassen die Bühne. Nicolo tritt auf.

NICOLO Das war der berühmte und allseits beliebte Signor Formica mit seinem berühmten Canzone nach einem Sonnett von Francesco Petrarca. Und nun, Signore e Signori, sehen Sie „Prinzessin Blandina“, ein romantisches Spiel in drei Aufzügen des deutschen Dichters Ernst Theodor Amadeus Hoffmann. Viel Vergnügen!

Es folgt die erste Szene der „Prinzessin Blandina“ mit Marcello und Leandro in den Rollen des Adolar und des Sempiternus. Den Direktor spielt Nicolo, den Regisseur Rosa als Signor Formica. Den Souffleur spielt der Gitarrespieler, und den Maschinisten die Person an der Lichttechnik.

Während des Spiels bricht Signora Capuzzi immer wieder in unmäßiges Gelächter aus, was die Frau Doktor mit wütenden Blicken und mit Räuspern kommentiert.

+++ Spiel auf der Bühne:

Vorzimmer der Prinzessin Blandina.

Sempiternus und Adolar treten von verschiedenen Seiten auf. Adolar wundert sich, Sempiternus wundert sich ebenfalls. Sie gehen beide wieder ab, woher sie gekommen sind.

Pause.

Adolar tritt von neuem auf und wundert sich noch mehr. Sempiternus tritt gleichfalls wieder auf und gerät in außerordentliche Verwunderung.

Ausdrucksvolle Pause gegenseitigen Erstaunens.

A Kann ich meinen Augen trauen? Ist es ein Spiel aufgeregter Fantasie? Ist es Täuschung? Ist es Trug? Götter!

S Himmel und Hölle! Bin ich ein fantastischer Narr geworden? Soll ich an den Teufel glauben und so in Ungeschicklichkeiten geraten, die mir fremd worden, nachdem ich was weniges starke Bildung erhalten?

A Nein, nein! Die Stimme, die Sentiments, die diese Stimme vernehmen lässt – Sempiternus!

S Adolar!

A Du bists!

S Du bists

BEIDE stark schreiend Seliger Augenblick des Wiedersehens!

Sie stürzen sich in die Arme, lassen endlich voneinander ab und weinen sehr.

S schluchzend Das ist zu rührend!

A ebenfalls heftig schluchzend Mich- stößt- der- Bock- dass- mir- das Herz- zer- sprin- gen- möchte- au- au- au- au-

S au— au- au au.

A plötzlich ernst und mit gravitätischem Ton Jetzt ist es aber nach gerade Zeit, einigermaßen vernünftig zu sein. Blind und toll rennt man hinein in die Sentimentalität und vergisst was man sich selbst und dem Stande schuldig, in dem man nun, Gott sei gedankt, manchen Scheffel Salz gegessen. Ich muss Ihnen aufrichtig bekennen, werter Monsieur, dass es mir sehr auffallend ist, wie sie hier so mit einemmal ins Vorzimmer der Prinzessin hineinplumpen, da man sie in fernen Landen mit dem Wohl des Staats okkupiert glaubt. Wenn Sie meinem Rate folgen wollten, so gingen Sie gleich wieder zur Hintertüre heraus und ließen sich gar nicht sehen.

S ebenfalls ernst und mit gravitätischem Ton Verehrter Kammerherr – denn das sind Sie doch wohl, wie ichs an den goldbesponnenen Knöpfen vermerke, die Sie dem Hinterteil Ihres Schlafrocks appliziert – Also! – Verehrter Kammerherr! – Sie – Sie sollten nun gar nicht mehr leben. Schon vor zwei Monaten wollten Sie ins Wasser springen. Sie liefen wie toll und rasend vor Liebe zur Prinzessin Blandina bis dicht an den Rand des Flusses, riefen mit schrecklicher Stimme: adieu pour jamais, princesse barbare! und kehrten, nachdem Sie die Verzweiflung, nehmlich Ihre eigne werte Person im Wasser geschaut, wieder zurück! Aber ein ehrlicher Mann hält Wort. Sie können gar nicht mehr prätendieren zu leben. Alle Menschen, die Ihnen begegnen, fragen ganz unmutig: Mein Gott, leben Sie noch? Darum Bester, je eher je lieber Kopf über ins Wasser, das rät Ihnen der wohlwollende Freund!

A sich dem S. vertraulich nähernd Aber nicht wahr, Herr Bruder? – der Punsch war gestern Abend herzlich miserabel?

S Mordmäßig.

A Sempiternus! Um des Himmels willen! Sempiternus!

S Was ist dir, Herr Bruder? Du siehst blass und erschrocken aus.

A Still! Still – leise Wir sprechen vom gestrigen Punsch und verraten uns auf schmählige Weise! Haben wir nicht eben eine herrliche Szene des Wiedersehens nach langer Trennung gegeben? Wozu stehen wir denn hier auf dem Theater? Vielleicht um von schlechtem Punsch zu schwatzen und sogleich alles von Grund aus zu verderben? Wozu stehen wir hier, frage ich nochmals?

S Du hast recht, lieber Adolar, wir befanden uns auf dem Wege aus dem Geleise zu kommen, oder vielmehr, wir verließen den Weg und hüpften in den Dornbusch – links – rechts – außerhalb dem Geleise in den Acker, wo uns jeder Schuft pfändet und uns die Mütze nimmt, dass wir kahlköpfig da stehen, wie der Prophet Elisa und verspottet werden, ohne dass die Bären uns rächen sollten, die es mit der Natur halten und selbst barköpfig einhergehen, nicht einmal den Chapeaubas zierlich unter der Pfote tragend.

A Ja liebster Sempiternus, lass uns froh dem Verhängnis folgen, das uns in höhere Regionen schiebt, wo kein unedler Punsch von schnödem Fusel eitle Kräfte borgend, trügerischen Geist durch Nerv und Adern gießt. Ich fühle mich in seltner Begeisterung meine Rolle fortzusetzen. Also! Ach- Ach- Ach- Ach! Sempiternus! Ach!

Aufs neue blutet diese Herzenswunde,

Die kaum verharscht des Blitzes glühnde Pfeile

Hineingestrahlt von ihrem Auge trafen.

Und –

S Still, Adolar! Es sind mir allerlei Gedanken gekommen, nehmlich von vielem Denken und du weißt, wenn man etwas bedenkt, so finden sich die Bedenken von selbst – Steine des Anstoßes, die von des Regen Befruchtung aus der Erde wachsen. Also! Sagen Sie mir fürs erste, verehrter Monsieur- wozu sind wir hier?

A Mein Gott, zu nichts anderm, als das Stück, das nun eben aufgeführt wird, vorzubereiten. Es ist uns die sogenannte Exposition des Ganzen in den Mund gelegt. Wir sollen durch einige schlaue Andeutungen den Zuschauer gleich medias in res führen, wir sollen ihm unter den Fuß geben, dass wir Höflinge der Prinzessin Blandina sind, die nächst außerordentlicher sinnverwirrender Schönheit nicht sowohl einen entschiedenen Abscheu gegen das männliche Geschlecht in sich trägt, als dass sie von einiger Narrheit ergriffen, sich höheren überirdischen Ursprungs hält und daher ihr Herz jedem Erdensohn verschließt – dass sie von Verbindungen mit den Geistern der Luft faselt und nichts geringeres erwartet, als so ein Ariel werde sich sterblich in sie verlieben, seine Unsterblichkeit um ihretwillen aufopfern und die Gestalt des schönsten Jünglings auf Nichtwiedergeben borgend, um sie buhlen. Es liegt uns ferner ob, schrecklich zu lamentieren über diesen tollen Wahnsinn, der das Land schon in Not und Elend gebracht hat, da glatte lilienweiße Fürstlein mit roten Backen, sowie Mohrenkönige entsetzlich anzuschauen, wahre Fierabrasse, von der Prinzessin schnöde und höhnisch abgewiesen, hunderttausend Freiwerber mit blanken Säbeln und geladenen Kugelbüchsen abschickten, die mit den Liebesflammen ihrer Gebieter Dörfer und Städte anzündeten, so aber auf recht sinnige Weise das Volk zu unwillkürlichen Trauerkantaten zwangen, die an Blandinens Ohr mahnend schlagen und den Schmerz verschmähter Liebe verkünden sollten. Ich selbst soll dir geliebter Sempiternus erzählen, wie meine Gesandtschaft zu dem Mohrenkönig Kilian und die Überreichung des zierlichen Körbchens, den mir die Prinzessin mitgab, höchst miserabel abgelaufen, indem die schwarze Majestät sich nicht entblödete, mit höchst eigner schwerer Hand mich auf eine Art zu züchtigen, die mich, wiewohl schmerzhafter Weise in die goldene Tage unbefangner Kindheit zurückführte und dann durchs Fenster zu werfen, wobei ich unfehlbar den Hals gebrochen, wenn das Glück nicht einen Wagen mit Wollsäcken vorbeigeführt hätte, in die ich sanft und weich hineinplumpte. Ich soll mit Schauer und Entsetzen verkünden, dass Kilian in voller Wut seinen Hirschfänger und seine Hetzpeitsche ergriffen, womit er die Armee von hunderttausend Mohren kommandiert und bereits im Lager vor der Hauptstadt steht. Das alles, lieber Sempiternus, soll ich dir jetzt erzählen, so wie du auch recht viel von der Prinzessin zu schwatzen hast, damit der Zuschauer gleich wisse, was er an ihr hat – Länge – Breite – Farbe und dergleichen betreffend.

S Ganz recht, Wertester! Zu dem allen sind wir hier, aber ob wir uns dem was uns zugemutet fügen können, das ist die Frage! Fürs erste, empfinden Sie, lieber Monsieur, einige Verehrung für sich selbst?

A O Gott! Unsäglich verehre ich mich, denn aufrichtig gestanden und Ihre werten Vollkommenheiten, Ihre angenehmen Talente in allen Ehren, würdigster Kollege, gefällt mir keiner doch so ganz durchgängig als eben ich mir selbst!

S Ja sehen Sie, Verehrter, ein Jeder weiß selbst am besten was er an sich hat. Aber kurz von der Sache zu reden- Niemand wird zweifeln, dass wir beide ehrenwerte Männer sind und Uns! Uns! hat man das untergeordnete gemeine Geschäft übertragen, was in jedem guten Schauspiel leicht und bequem von dem Gesinde – von den Bedienten besorgt wird. Diese Leute verraten ganz schlau oft nur durch einen bedeutenden Fingerzeig ein Charakterchen nach dem andern, ja, indem sie uns die wichtigsten Familiengeheimnisse der Herrschaft, welcher sie dienen, verraten, geben sie uns mit der Belehrung über das folgende Stück noch die Lehre, dass man im Leben solchen Menschen nicht über den Weg trauen darf. So aber wird das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden. Sie sahen, mein teurer Adolar, wie uns bei diesen Umständen es gar nichts hilft, dass ich als Hofmarschall, Sie aber als Gesandter an Kilians Hofe auf dem Komödienzettel stehen. Denn außerdem, dass Sie als geprügelter und in Wollsäcke geschleuderter Gesandter ohnehin keine sonderliche Rolle spielen, so sinken wir auch durch das niedrige Geschäft des Exponierens zu gemeinen Handlangern des Dichters herab. Haben wir denn Aussicht zu irgend einem tief ergreifenden Charakter? Zu einem brillianten Abgang, der die Hände in Bewegung setzt?

A Sie haben Recht, lieber Sempiternus! Was indessen die Aussichten für die künftige Existenz im Stücke betrifft, so werden Sie gefälligst bemerken, dass ich mich zu Blandinens unglücklichen Liebhabern zähle und schon deshalb weit über Ihnen mein Wertester stehe. Unbezweifelt fällt mir viel Pathos zu und ich hoffe einigen Rumor zu erregen.

S lächelnd die Hand auf Adolars Schulter legend Lieber – Guter – eitler Mann, welche Wünsche, welche Hoffnungen! Muss ich Sie denn erst darauf aufmerksam machen, dass das ganze Stück höchst erbärmlich ist! Elende Nachahmerei, nichts weiter! Die Prinzessin Blandina ist eine modifizierte Turandot, der Mohrenkönig Kilian ein zweiter Fierabras. Kurz, man müsste nicht soviel gelesen haben, man müsste nicht in der Bildung so weit fortgeschritten sein, wenn man nicht augenblicklich alle Muster, die der Dichter vor Augen gehabt, wieder erkennen sollte. Überhaupt bin ich der Meinung, dass mir dem vielseitig Gebildeten gar nichts mehr auf der Welt neu und anziehend sein wird.

A Gerade auch mein Casus, unerachtet ich dem Werk des Dichters, das wir jetzt unter den Fäusten haben, um es gehörig zu walken und zu verarbeiten, mehr zugetraut, denn, aufrichtig gesagt, meine Rolle ist nicht übel, und wie ich sie dann gegriffen, wie ich den Charakter erst geschaffen durch meine Darstellung.

S Eitle Mühe – eitle Mühe! Glauben Sie denn, dass das hilft, und was das Ärgste ist, der Dichter wird behaupten, nur er sei der Deus, der zum Schaffen befugt und das Nach- und Hineinarbeiten tauge den Teufel nichts.

DER SOUFFLEUR Nein, nun wird mir das Ding zu arg, kein Wort von dem tollen Geschwätz steht im Buch – ich eile zum Direktor! Er verschwindet.

A Undank ist der Welt Lohn, die Dichter bedenken niemals, dass sie eigentlich bloß der Schauspieler wegen da sind. Indessen wollen wir, bester Kollege, dem Dinge gleich von Anfang den Todesstoß geben, der auf diese Weise ein rechter Gnadenstoß ist. Kurz, wir exponieren nichts.

S Hand her, bekräftge es mit deutschem Faustschlag –

Vernichtet sei das Werk des schnöden Truges.

Weg mit dem Memorieren böser Jamben,

Die nur des Dichters Eigensinn geformt!

Weg mit dem tollen Stück fantastscher Narrheit!

Wir exponieren nicht!

A Es sei geschworen!

Geschworen Tod sei allem Rhythmischen,

Das uns die Zunge teufelmäßig martert.

S Doch dünkt es mich, du sprächest auch in Jamben?

A Fingst du nicht ebenmäßig an Herr Bruder?

S O Gott, so wurden wir vom Wahn befangen

DIE STIMME DES DIREKTORS hinter der Szene Zum Teufel, was ist denn das? Die Kerls schwatzen ins Blaue hinein – wo bleibt die Exposition? Sollte nicht auch ein Blitz vorkommen? Herr Regisseur, wo sind Sie? Bändigen Sie die Rasenden!

S & A Wir exponieren durchaus nicht – uns ist alles Exponieren fatal. Cornelius Nepos und Ciceronis epistolae haben uns in der Schule Faustschläge hinter die Ohren genug gekostet, dem können wir uns, da wir ehrenwerte Männer geworden, nicht mehr exponieren und da wir uns nicht exponieren wollen, kann von irgendeiner Exposition gar keine Rede sein.

DER REGISSEUR hinter der Szene Fünf Taler Abzug in die Strafkasse.

S O Schreckenswort! Tyrannisches Geschick!

So zehrt an unserm Lebensmark die Sünde,

Dass eitler Gaukelei wir sklavisch dienen.

Sind wir denn jemals wohl wir selbst?

So wie es Fantasie und Laune will

Des Dichters, der sich Welten baut im Zimmer,

Sind wir bald Fürsten – Bettler – Weise – Narren.

Mit falschem Prunk beladen oder bald

Gehüllt in ekelhafte schmutzge Lumpen,

Sehr miserabel anzuschaun, entstellt

Durch schwarze Striche, rote, gelbe Flecke,

So dass der Spiegel untreu aller Wahrheit

Uns nur mit falschen tollen Truggestalten,

Die wir nicht sind, wie Fasnachtsnarren neckt.

Und nun im Augenblick, da unser Recht

Auch selbst zu existieren als wir selbst,

Da dieses ewge Recht wir üben wollen –

Da schreit die unheimliche Höllenmacht,

Die wir Direktor nennen, hämisch klirrend

Mit schnöder Kette, die an ihn uns band.

STIMME DES DIREKTORS Herr! Sie fallen aus der Rolle!

S Nein, Herr! Ich bin aus der Rolle gestiegen.

A Schon seh ich des Direktors rote Nase,

Er schreitet vor, gigantisch bärenartig –

Karfunkeln schießend aus der Augen Glas.

Uns rettet Bruder nur die eilge Flucht

Und Vorschuss dem Kassierer abgetrotzt,

Von böser Unbill, die der garstge Dämon,

Der lange Regisseur, uns zugedacht.

Sie fliehen eilig von der Bühne.

DER REGISSEUR hinter der Szene Auf und davon sind sie – die Exposition ist hin – das Stück muss fallen – ich bedauere nur den armen Dichter.

STIMME DES DIREKTORS im fürchterlichen Ton Herr Maschinist – Ins Teufels Namen, so klingeln Sie doch!

Der Maschinist klingelt und das Theater wird verwandelt. +++

FRAU DOKTOR Ich muss Sie ermahnen, Signora, nicht so übermäßig zu lachen. Eine zu große Erschütterung des Zwerchfells kann die Krankheiten (nennt 20 Stück)herbeiführen.

Black. Die Bühne wird in die Garderobe der Schauspielerin Monica verwandelt. Die im Publikum befindlichen Spieler gehen ins off.

ABSCHNITT VII

Garderoben-Licht. Monica und Caterina – bereits zur Hälfte in ihren Kostümen steckend – im Streit begriffen.

CATERINA Warum ich beim Sommertheater die Ophelia spielen darf und nicht du, das liegt doch auf der Hand. Du passt einfach nicht auf die Rolle. Schau dich doch mal an!

MONICA Du, Caterina, eine Ophelia. Dass ich nicht lache! Ich möchte die Ophelia spielen! Wenn Nicolo im Hamlet nicht umbesetzt, kann er den blöden Roderich heute selber geben!

Caterina geht ab. Monica reißt sich ein Kostümteil herunter, pfeffert es in die Ecke und wirft sich aufs Sofa. Nicolo tritt auf.

NICOLO Monica, was gibt’s?

MONICA Ich bin krank!

NICOLO Ach, Monica! – wie muss ich dich finden – zerstört sind meine schönen Hoffnungen – zerstört dem Publikum ein hoher Kunstgenuss! – Ach, du weißt nicht, dass ich in vierzehn Tagen ›Maria Stuart‹ geben wollte, dass die Rolle für dich bestimmt war! – Ach, aber jetzt!

MONICA Bis dahin, bester Nicolo, kann ich ja wohl hergestellt sein. Schick mir die Rolle nur zum Nachstudieren, gespielt habe ich die Rolle schon viermal – mit einigem Beifall – denn ich wurde als Maria Stuart hervorgerufen – fünfmal!

NICOLO Ach, Monica, teures Kind, du weißt es ja, wie ich mit meiner Austeilung, wie ich mit dem Publikum stehe! – Ist denn, müssen wir die „Prinzessin Blandina“ heute vorzeitig abbrechen, nicht ›Maria Stuart‹ das einzige Stück, welches das gespannte und getäuschte Publikum zu beschwichtigen vermag? Nun muss freilich Caterina die Stuart spielen und unsere Neue, Antonia, die Königin.

MONICA Was? was? Caterina die zarte Stuart, Antonia die stolze Königin! – Gibt es denn durchaus kein anderes Stück?

NICOLO Nein, liebe Monica! – statt der Prinzessin Blandina wird nun ›Maria Stuart‹ gegeben, das Publikum wird sogleich davon unterrichtet.

MONICA Ich muss gestehen, dass ich mich doch schon viel besser befinde als eben gerade.

NICOLO Vielleicht nur Täuschung, liebes Mädchen, denn du siehst in der Tat außerordentlich blass und angegriffen aus – ich bin sehr besorgt!

MONICA Du guter, lieber, herzlicher Mann! – Aber weißt du, ich kann vielleicht doch heute den Roderich spielen. Sollt‘ ich auch nicht ganz hergestellt sein – dir zuliebe.

NICOLO Was sagst du, Monica! Hältst du mich für einen Unmenschen, für einen herzlosen Barbaren? Nein! – nie soll die Blandina auf meine Bühne kommen, wenn auch nur die leiseste Ahnung dein Leben, deine teure Gesundheit in der kleinsten Gefahr vermuten lässt!

Nicolo will abgehen. Monica springt vom Sofa auf, stößt Nicolo aufs Sofa und zieht sich hastig weiter das Kostüm an.

MONICA Ich mach dir den Roderich, verdammt noch mal, und in vierzehn Tagen stehe ich als die Stuart auf der Bühne – und nicht dieses Luder Caterina, kapiert?

Sie pfeffert wieder etwas in die Ecke. Black. Verwandlung der Bühne.

Musik. Theaterlicht. Im Publikum sitzen wieder Signora Capuzzi, Mario und die Frau Doktor auf ihren Plätzen. Monica spielt Roderich, Caterina Truffaldin. Mit Roderichs Auftritt endet die Musik.

+++ Spiel auf der Bühne:

Wildverwachsene Partie eines englischen Parks mit einem Einsiedlerhäuschen an der Seite, vor dem ein steinerner Tisch steht.

Roderich tritt auf.

R Ha! Bin ich? Leb ich? Atm ich noch? Wohin

trieb mich Verzweiflung, Wahnsinn, Raserei

verschmähter Liebe? Noch nicht abgeworfen

des Lebens Bürde? noch des Schmerzes Stachel

tief in der Brust das Herzblut ihr entquillt?

Doch hier soll Liebesqual so laut sich künden,

dass von dem Ton die zarte Luft verwundet,

sich krampfhaft kräuseln soll in Sonnenstäubchen;

dass selbst der Quellen, duftger Büsche Flüstern

verstummen soll! In furchtbar toter Öde

darf nichts mehr leben als der Liebe Schmerz!

Blandina will ich rufen, schreien, brüllen.

Und wie des Donnrers Hammer schlägt der Name

an jene schwarzen Felsen! dann geweckt

aus tiefem Schlaf erwachen ihre Stimmen

und rufen dumpf Blandina! wie der Tod,

wie das Entsetzen selbst erklingt der Name

der Grausamen, der Feindin treuer Liebe.

Des Frühlings buntgefiedert luftges Heer,

der Liebe Sänger, Nachtigallen stürzen

verstummt im Tod von den laublosen Ästen,

denn wie des Winters eiger Todesstarrkrampf,

traf die Natur das Schreckenswort Blandina!

In wilde Einsamkeit

Weit weit

Bin ich getrieben

Von Liebesqual!

Doch überall,

Wo ich geblieben,

Nur sie! Nur sie!

Ach nie! Ach nie!

Kann ich sie vergessen,

Kann weder trinken noch essen,

Muss vergehn, verschmachten,

Muss beständig trachten

Nach ihr! nach ihr! – muss klagen,

Den Blumen, den Büschen sagen,

Was ich leide für Pein,

Bis vergangen wird sein

Mein Stimmlein,

Und mich decket ein Stein!

Nicht Speis und Trank soll diese Zunge letzen,

Nur Schmerz soll nähren meiner Liebe Schmerz;

Bis die Verzweiflung drängt den Stahl zu wetzen

Und zu durchbohrn dies hoffnungslose Herz.

Das Ächzen nur, das Klaggestöhn der Eulen

Beweint des Dichters Marter – seinen Tod,

Den Wandrer schreckt das ahnungsvolle Heulen,

Das brausend durch die Luft ihm Unglück droht.

Doch bald verkünden bange Traumgestalten

Ihr, der Tyrannin, selbst mein Missgeschick;

Des Treuen Seufzer, ach! die längstverhallten,

Sie kehren nun in ihre Brust zurück.

Dort mahnen sie all die verlorne Tage,

Der Lust, die ihr das frohe Leben bot,

Und trostlos an der Freuden Sarkophage

Klagt die Tyrannin dann in Liebesnot!

Ha schon durchbeben

die Schauer des Todes

den blutenden Busen.

Zerrissen von Qualen

von Wahnsinn, Verzweiflung!

Hinab in den Orkus –

Blandina! Blandina!

Ha Todeskampfs Röcheln!

Blandina! Blandina!

Ha, wütende Rache!

Ha, rächendes Wüten!

Ha –

Ich weiß aber auch gar nicht, wo heute der Truffaldin mit dem Frühstück bleibt. Der Atem geht mir in der Tat beinahe aus, wenn ich nicht gleich etwas Konsistentes, Stomachales zu mir nehme. ! Truffaldin – he! – Truffaldin!

Tuffaldin guckt furchtsam und verstohlen hinter den Büschen hervor.

Ich glaube gar, er vergisst mich heute ganz? Das fehlte noch! Nachdem ich mich auf höchst vortreffliche Weise der Verzweiflung überlassen, bin ich hungrig und durstig geworden. Truffaldin, he Truffaldin!

Truffaldin tritt mit einem Flaschenkorbe und einer zugedeckten Schüssel schüchtern aus dem Gebüsch.

T Darf ich denn, gnädiger Herr- Darf ich denn Dero verzweifelte Begeisterung unterbrechen?

R Du hörst ja, dass ich dich rufe, es ist ja die Frühstücksstunde.

T Aber nur noch gestern, als ich zur selbigen Zeit mitten in Dero Verse hineintrat, beliebten Sie mich für diesen Tritt mit mehreren Tritten zu regalieren, und so meint ich, dass vielleicht heute ebenmäßig-

R Narr! Du musst es dem Geist meiner Verse anmerken, wenn er sich nach des Leibes Nahrung und Notdurft sehnt. Setze das Frühstück auf.

Truffaldin deckt eine Serviette auf den steinernen Tisch und setzt die Schüssel , eine Flasche Wein, Glas usw. auf.

T Der Herr Mundkoch hat heute köstliche Koteletten mit einer angenehmen Sardellensauce bereitet, er meinte, das sei rechte Nahrung für einen einsiedlerischen Dichter – so wie auch der Drymadera-

R Er hat Recht! Vorzüglich nach der Verzweiflung magenstärkend.

Er isst und trinkt mit vielem Appetit.

T Wie lange denken Sie denn noch in dieser wilden schauerlichen Gegend sich der menschlichen Gesellschaft zu entziehen?

R So lange meine Verzweiflung und das gute Wetter anhält.

T Es ist aber auch in der Tat eine recht liebe Einsamkeit – so bequem gelegen, gleich hinter dem Schlosse der Prinzessin, und so allerliebst gemacht, man möchte gleich alles auf die Tafel stellen. Die Berge- das rauschende Wasser- Die Grotten- Aber, gnädiger Herr, Unrecht ist es doch, dass Sie sich der Welt so ganz entzogen.

R Die Dichter lieben die Einsamkeit, daher wählen sie im Sommer gern Landhäuser, Parks, Tiergärten und dergleichen zu ihrem Aufenthalt.

Der Dichter ist sich selbst die ganze Welt,

Er fasst sie auf im reinen Strahlenspiegel,

Den in dem Innern ihm sein Geist geschliffen.

In dieser wilden Einöde leb ich ganz der göttlichen Begeisterung meiner Liebe – meines Schmerzes – meines Wahnsinns und ich kann überzeugt sein, dass vor fünf Uhr Nachmittags, zu welcher Stunde die Spaziergänger sich einzufinden pflegen, mich niemand stört.

Blandina! göttlich Weib! welch himmlisch Sehnen

Durchbebt die Brust – ein qualvoll wonnig Wähnen

Reißt mich empor mit magischer Gewalt,

Sie ists – ich schau der Teuren Luftgestalt!

Er trinkt. Der Drymadera könnte besser sein, gar kein Feuer, matt! Die Koteletten waren ziemlich, aber in der Sauce zu wenig Moutarde, kein vinaigre a quatre voleurs. Du kannst es dem Mundkoch sagen, dass ich das liebe!

T bei Seite Ein lieber absonderlicher Herr, der Herr von Roderich. Da lamentiert er über verschmähte Liebe und Schmerz und Verzweiflung und Todesnot und hat dabei einen Appetit, dass mir das wasser im Munde zusammenläuft, wenn ich ihn essen sehe! Hat die Prinzessin Blandina auf der Zunge und will doch Senf und Diebsessig kosten.

R Was murmelst du Truffaldin?

T Ach, es war nichts- In der Tat gar nichts, das wert wäre, anders als in den Busch hineingesprochen zu werden, der sich das gefallen lassen muss.

R Ich will es aber wissen.

T Der Mund nahm sich gleichsam heraus zu betrachten, so dass das Auge notgedrungen in Worte ausbrach! Aber-

R Kein unsinniges Geschwätz! Was sagtest du hinter meinem Rücken?

T mit vielen Bücklingen Wenn Sie es denn gebieten, so will ich in tiefster Untertänigkeit – unmaßgeblich doch mit gehöriger Salvierung meiner Extremitäten – wenn – etwa – von wegen der Fußtritte, die Euer Gnaden Dero Versen entziehen könnten, wodurch diese denn nun offenbar einige Lahmheit-

R Wird es bald?

T bei Seite Wenn er mich prügelt, lauf ich aus der Einsamkeit, große Pakete vor meines Herrn Versen unter den Armen, die verkaufe ich den Käsekrämern, befördere so den guten Geschmack, indem ich gemeinen Käsen einen vornehmen Beischmack gebe, und schaffe mir einen Zehrpfennig. stark Atem holend, laut Nun will ich alles, alles sagen! Euer Gnaden, mein gnädiger Herr, haben solch ein grenzenlos amikables Air im Essen, dass ich es wagte, mich im Innersten darüber zu ergötzen und zu erfreuen! Ach gott, wenn Sie so ein Kotelettchen nach dem andern auf die angenehmste Weise verschwinden ließen, wenn Sie so ein Gläschen Madera nach dem andern hinabzuschlürfen geruhten – das Herz sprang mir vor Freuden hoch auf. Dero Appetit war so appetitlich, dass ich selbst- doch am mehrsten war ich höchlich darüber erfreut, dass Euer Gnaden meine untertänige Besorgnis so ganz zuschanden machten. Eben als ich mit dem Frühstück auf dem Wege war aus der Hofküche, hört ich Dieselben schon aus der Ferne erschrecklich lamentieren. Dergleichen bin ich nun zwar schon gewohnt, als ich aber näher kam, hört ich zwar in ganz angenehmen aber doch fürchterlichen Worten Dinge, die mir das Haar sträubten. Euer Gnaden wollten hinfür nichts weiter genießen, als einigen Schmerz – durchaus schnöde Kost, die der Mundkoch der Prinzessin niemals serviert, da er es höchstens zu Tränen bringt, die der Zucker über Backwerk gießt. Dann wollten Euer Gnaden endlich ein Klappmesser wetzen, und sich das Herz durchbohren. Sie röchelten schon im Todeskampfe und riefen ganz erbärmlich: Blandina! Blandina! Mein Jammer war unbeschreiblich, bis mich Ihre Sehnsucht nach dem Frühstück wieder aufrichtete. Nun komme ich hervor, finde Sie frisch und gesund – nun noch der erstaunliche Appetit dazu – kurz! – ich bin in heller, herrlicher Fröhlichkeit überzeugt, dass, so wie es mit der ganzen schauerlichen Einöde und Einsamkeit ein angenehmer Spaß ist, auch Dero Verzweiflung, Dero gnädiger Wahnsinn, Dero inbrünstige Liebe zur Prinzessin Blandina nur gleichsam ein angenehmer Schnörkel – so ein-

R springt entrüstet auf Was? Esel, du wagst es, an der Wahrheit meiner Gesinnungen zu zweifeln? An der Wahrheit zur Liebe zur göttlichen Blandina?

T Nicht im mindesten, nicht im mindesten, ich meinte nur-

R Wahr uns echt aus dem Innersten heraus kommen die Empfindungen für die Prinzessin, denn in ihnen ruht meine Poesie, und diesen poetischen Strom, der aus dem Innersten sprudelt, aufzufassen, ja ihn zu verdichten zum Krystall, in dem sich die glänzenden Gestalten meiner Fantasie hell und farbigt, abspiegeln, ja! dass ich mit kräftiger Faust den Bogen spanne wie der fernhintreffende Apollo und meine Verse wie des Blitzes Pfeile fortschleudere – dazu kräfige ich mich – deshalb esse ich Koteletten mit Sardellensause und trinke Drymadera!

T Also lieben Euer Gnaden die Prinzessin wirklich? Wünschen eine unmaßgebliche Verbindung?

R Die göttliche Blandina ist meine Muse, meine Liebe zu ihr eine poetische Idee, die in tausend Strahlenbrechungen in meinen Liedern den Glanz und Reichtum der Poesie verbreitet und die Gemüter entzündet. Unbezweifelt rührt am Ende mein Schmerz, meine Verzweiflung die Stolze und ich werde über kurz oder lang regierender Fürst von Ombrombrosa, wiewohl dann Blandina weder meine Muse noch meine poetische Idee bleiben kann, denn zu beiden ist eine Frau nicht tauglich.

T Roderich zu Füßen fallend Ach, gnädiger Herr! Unvergleichliche Durchlaucht in spe! Wenn Sie nun dasitzen auf dem roten Samtstuhl und mit dem Szepter in der Faust, Land und Leute regieren nach Herzenslust – Wollen Sie denn nicht dem treuesten Diener- So ein Ministerstellchen dächt ich und einen tüchtigen venetianischen Wurstkram dabei, das könnte schon den Mann nähren! Alle meine Würste wollt ich in Dero angenehme Sonettchen-

R entrüstet Kerl! Bist du rasend? gelassen Doch stehe auf und erzähle mir das Neueste, was du in der Hofküche vernommen. Was macht Blandina? Hat sich beim Dejeuner kein neuer Nebenbuhler eingefunden? Hat sie nicht diesem – jenem freundliche Blicke hingeworfen? So etwas wäre mir jetzt gerade recht, denn ich brauche vor Tische noch einige Verzweiflung, ja sogar einige Raserei könnte nicht schaden. Nach Tische kann dann mit Nutzen stiller hinbrütender Liebesschmerz sentimentale Schwärmerei eintreten.

T Ach, gnädiger Herr! Am Hofe sieht es gar bunt und gefährlich aus. Der Mohrenkönig Kilian hat einen plebejen Hofrat als Abgesandten zur Prinzessin geschickt, den hat der junge Monsieur Amandus zur Türe hinausgeworfen, darauf ist in der Person des Ministers und Ober-Zeremonien-Meisters Tartaglia eine fürchterliche Revolution ausgebrochen und hat die Prinzessin beim Ärmel erwischen und hinausführen wollen zum groben Mohrenkönig, das hat aber der Monsieur Amandus nicht gelitten, sondern versprochen, gleich nach dem Abendsegen ganz allein herauszuwandern und den hunderttausend Mohren, die vor Ombrombrosa im Lager stehen, mit seinem Couteau de chasse die Köpfe abzusäbeln, wie man ein Feld absichelt. Blandina zweifelt keinen Augenblick, dass dieser sinnreiche Anschlag durchaus gelingen werde und man spricht, dass sie dem lieben tapfern Monsieur gleich nach vollendeter Tat Herz und Hand geben wird, so dass in kühler Nacht zurückkehrend, er sich gleich, nachdem er nur das Mohrenblut abgewaschen, ins Ehebett legen kann und keinen Schnupfen befürchten darf.

R Was höre ich? Amandus, der Chittarrist? Der erbärmliche hochmütige prosaische Liederling, der zu meinen göttlichsten Gedichten nie eine Melodie finden konnte, der nie meine wohlklingendsten Verse singen wollte? Der verspricht Heldentaten? Der soll Blandinens Hand gewinnen – der göttlichen? Vor der Hand habe ich genug Stoff zur Verzweiflung und zum Wahnsinn! Doch da der Anschlag offenbar unsinnig ist, insofern dem hochmütigen Amandus nicht Geister helfen, die nur selten mit Wirkung zu brauchen, auch überhaupt teufelmäßig schwer zu behandeln sind und also es voraus zu sehen, dass der König Kilian die Prinzessin und den Amandus besiegen wird, so laufe schnell und erkundige dich, wo und wie weit der Mohrenkönig steht und anzutreffen ist, damit ich noch zu rechter Zeit zu ihm übergehen und meine Dienste als Hofpoet anbieten kann. Ich werde denn gleich die nötigen Siegeshymnen und den Einmarsch des Mohrenkönigs in Ombrombrosa anfertigen und den Kilian sehr loben, für jetzt will ich verzweifeln und mich deshalb tiefer in die Einöde, das heißt in die zwanzig Schritte von hier gelegene schauerliche Felsenpartie begeben. Dort will ich was weniges rhythmisch brüllen.

Er ist im Abgehen, Truffaldin will das voll eingeschenkte Glas ergreifen, Roderich kehrt schnell um.

R Ach! Bald vergessen!

Er leert das Glas und will von Neuem abgehen.

T ihm nachrufend Gnädiger Herr! Gnädiger Herr!

R umkehrend Was solls?

T Ach, gnädiger Herr, ich wollte bitten- wenn Sie meinen unsäglichen Eifer für Dero würdige Person, vorzüglich wegen des Samtstuhls- der Ministerschaft- des Wurstkrams nicht übel deuten wollten – Ich hätte so eine Idee- Einen unmaßgeblichen Vorschlag-

R Nun, was ist es, was ist es? Die Zeit vergeht, bald kommt die Mittagsstunde heran, und ich bin nicht bis zur Raserei gediehen-

T Sehn Sie, gnädiger Herr, ich habe von einem würdigen Manne guter Herkunft, nämlich vom seligen Don Quixote gelesen; der wollte es aus Liebe zu seiner Dulcinea von Toboso, die eigentlich auch nur eine poetische Idee war, dem Ritter Amadis von Gallia nachtun. So wie dieser auf dem Felsen Armut als Dunkelhübsch allerlei tolle Streiche verführte, so zog auch der Ritter Don Quixote in einer wilden wüsten Gegend vor den Augen seines treuen Sancho Pansa sich ganz fasernackt aus, und schoss einige Purzelbäume, welches Sancho Pansa nachher der Geliebten Prinzessin Dulcinea gehörig rühmen sollte. Wie wäre es, wenn Sie jetzt, gnädiger Herr, nach dem erhabenen Beispiel jener würdigen Männer so vor meinen Augen Ihren Schlafrock und Ihre liebe Höschen ablegten und einige anmutige Purzelbäumchen gnädigst versuchten. Ich würde das als Ihr treuer Sancho mit vieler Wirkung in der Hofküche erzählen. Was gilts, wir spielen dem Amandus einen Streich und das Fürstentümchen fällt, mir nichts dir nichts, in Ihre Tasche, noch ehe es der Mohrenkönig Kilian wegbrennt, denn der Hofmundkoch ist ganz vertraut mit der Oberhof-

R ihn entrüstet unterbrechend Du bist ein verdammter Hasenfuß!

Er eilt fort und man hört ihn gleich darauf brüllen.

T nach einer Pause Wären der Prinzessin Blandina nicht vielleicht seine Purzelbäume lieber gewesen als seine Verse? Stoff zur tiefsinnigsten Betrachtung. Ehe ich aber in die Tiefe dieser Betrachtung hinabsteige, will ich mich in jenes Einsiedlerhäuschen bis auf den Grund vertiefen und sogleich ein paar tüchtige Stöße von meines Herrn Versen zusammenbinden. Bis Mittag bin ich über die Grenze, weil ich nicht kilianisch werden will und mein Herr mir den Wein vor der Nase aussäuft.

Er geht in das Einsiedlerhäuschen. +++

ABSCHNITT VIII

Musik und Black. Dann Stille und Theaterlicht an. Applaus im Publikum. Man muss sich vorstellen, dass die Aufführung von „Prinzessin Blandina“ eben zuendegegangen ist. Entsprechend Applausordung mit allen Schauspielern einschließlich Signor Formica. Dieser gibt dem Menschen an der Lichttechnik ein Zeichen, daraufhin Black.

Stille, dann unheimliche Geräusche. Signora Capuzzi und die Frau Doktor geraten zunehmend in Panik. Schließlich stehen sie auf und wollen zum Eingang. Dort erschreckt Antonia sie mit einem plötzlichen Lichtblitz, so dass sie auf die Bühne flüchten.

Auf der Bühne haben sich die vier Schauspieler, in schwarze Tücher gehüllt und mit Lichtern vor dem Gesicht, auf der Bühne verteilt. Während sich die Capuzzi und die Frau Doktor ängstlich aneinander klammernd von einem zum anderen bewegen, hat sich Antonia neben Mario auf den Platz gesetzt und schmust mit ihm.

DIE SCHAUSPIELER :

»Wehe – wehe – wehe dir, Signora Dottore!«

»Kennst du mich, kennst du mich? – Ich bin Cordier, der französische Maler, der in voriger Woche begraben wurde, den du mit deiner Arznei unter die Erde brachtest!«

»Kennst du mich, kennst du mich? – Ich bin Küfner, der deutsche Maler, den du mit deinen höllischen Essenzen vergiftetest!«

»Kennst du mich, kennst du mich? – Ich bin Liers, der Holländer, den du mit deinen Pillen umbrachtest und seinen Bruder um die Gemälde betrogst.«

»Kennst du mich, kennst du mich? – Ich bin Ghigi, der neapolitanische Maler, den du mit deinen Pulvern tötetest!«

»Wehe, wehe, – wehe dir, Signora Dottore, verfluchte Frau Doktor! – Du musst hinab – hinab zu uns unter die Erde – Fort – fort – fort mit dir! – Ha-uuh – Ha-uuh!«

Sie stürzen sich auf die Frau Doktor, heben sie hoch und tragen sie von der Bühne. Inzwischen haben Nicolo, Antonia und Rosa sich als Teufel maskiert und an den Eingang gestellt. Die Capuzzi ruft panisch nach Mario und flüchtet zum Ausgang. Mario folgt ihr. Die Masken verstellen der Capuzzi den Weg. Sie versteckt sich hinter Mario.

DIE MASKEN :

»Hui, hui! – Signora Capuzzi, verfluchte Närrin! – Alte verliebte Teufelin! – Wir sind deine Kumpane, wir sind Liebesteufel, wir kommen dich zu holen in die Hölle, in die glühende Hölle, samt deinem Neffen Mario!«

Nicolo und Rosa fallen über die Alte her, die ein gellendes, durchdringendes Jammergeschrei erhebt, und schleppen sie zur Tür raus. Antonia packt Mario, der kurz erschrickt, aber sich dann beruhigt, als der feste Griff zu einer liebevollen Umarmung wird.

ANTONIA Ach, Mario! – mein Mario! – endlich ist’s gelungen! – Die Freunde tragen die Alte weit, weit fort, während wir eine sichere Zuflucht finden!

MARIO Antonia!

Plötzlich steht Michele vor Antonia und schlägt sie nieder. Mario fällt in Ohnmacht, wird aber von Michele aufgefangen und hinausgeschleift. Black.

Musik. Licht. Morgenstimmung. Links auf der Bühne der Platz. Die Frau Doktor und die Capuzzi hocken aneinandergefesselt und mit Knebel im Mund auf dem Boden. Michele steht da und kratzt sich am Kopf.

Parallel dazu auf der rechten Seite das Atelier. Antonia mit Kopfverband oder Eisbeutel liegt auf dem Sofa, Rosa sitzt auf einem Sessel daneben. Wenn sie zu sprechen anfangen, Musik aus, und das linke Bild friert ein.

ANTONIA Weißt du, Rosa, dass ich entschlossen bin, mit Gewalt einzudringen in der Capuzzi Haus? – Ich stoße die Alte nieder, wenn sie sich widersetzt, und entführe Mario!

ROSA Herrlicher Anschlag, herrlicher Anschlag! – Vortrefflich ausgedacht! – Nein, meine liebe Antonia! – mit Gewalt ist hier gar nichts auszurichten, und du kannst es dir wohl denken, dass Signora Capuzzi jetzt jedem öffentlichen Angriff auszuweichen wissen wird. Zudem hat unser Streich gar gewaltiges Aufsehen gemacht, und gerade das unmäßige Gelächter der Leute über die tolle Art, wie wir die Frau Doktor und die Capuzzi gehetzt haben, weckte die Polizei aus dem sanften Schlummer, die uns nun, soviel sie es mit ihren schwächlichen Mitteln vermag, nachstellen wird. – Nein, Antonia, lass uns zur List unsre Zuflucht nehmen. Antonia, du sollst in wenigen Tagen deinen Mario wirklich entführen. Ich werde gemeinschaftlich mit Signor Formica einen Streich ersinnen, der kaum fehlschlagen kann. Tröste dich nur, Antonia! – Signor Formica wird dir helfen!

Black. Musik.

ABSCHNITT IX

Licht, Morgenstimmung. Wohnung der Capuzzi. Mario liegt auf dem Sofa. An einem Bein hat er eine Kette, dessen anderes Ende am Sofa festgemacht ist. Signora Capuzzi sitzt auf einem Sessel neben ihm und versucht ihn zu trösten. Es klopft. Musik aus. Signora Capuzzi steht auf und öffnet die Tür. Michele tritt ein.

MICHELE Ein Herr ist unten, der durchaus verlangt, Sie, Signora Capuzzi, zu sprechen.

CAPUZZI O all ihr himmlischen Heerscharen, weiß der Schlingel nicht, dass ich in meiner Wohnung durchaus keinen Fremden sprechen mag!

MICHELE Der Herr ist aber von gar feinem Ansehen und führt eine hübsche Sprache und nennt sich Nicolo Musso!

CAPUZZI Nicolo Musso, Nicolo Musso, der Direktor des Teatro Musso, des Theaters, in dem wir erst vorgestern- Ich darf gar nicht daran denken! – Was mag der nur von mir wollen?

Inzwischen ist Nicolo eingetreten. Michele macht Anstalten, ihn rauszuwerfen, aber Signora Capuzzi gibt ihm zu verstehen, dass er sich entfernen soll. Michele geht ab.

NICOLO Meine beste Signora Capuzzi, wie hoch erfreut bin ich, dass Sie mich Ihrer Bekanntschaft würdigen! Wie vielen Dank bin ich Ihnen schuldig! – Seit die Bürgerinnen und Bürger unseres Städtchens Sie, die Dame von dem bewährtesten Geschmack, von der durchdringendsten Wissenschaft und Virtuosin in der Kunst, in meinem Theater gesehen haben, verdoppelte sich mein Ruf und meine Einnahme. Umso mehr schmerzt es mich tief, dass böse mutwillige Buben Sie und Ihre Gesellschaft auf mörderische Weise angefallen haben, während Sie noch in meinem Musentempel weilten! – Um aller Heiligen willen, Signora Capuzzi, werfen Sie dieses Streichs halber, der schwer geahndet werden wird, nicht einen Groll auf mich und mein Theater! – Entziehen Sie mir nicht Ihren Besuch!

CAPUZZI Bester Signor Nicolo, seien Sie versichert, dass ich noch nie mehr Vergnügen empfand, als in Ihrem Theater. Ihr Formica, und auch die anderen, das sind Schauspieler, wie ihresgleichen selten zu finden sind. Doch der Schreck, der meiner Freundin, der Frau Doktor, ja mir selbst beinahe den Tod gebracht hat, war zu groß; er hat mir nicht Ihr Theater, wohl aber den Gang dahin auf immer verleidet.

NICOLO Das trifft mich hart, härter, als Sie vielleicht glauben, Signora Capuzzi! – Ach! – auf Sie hatte ich alle meine Hoffnung gesetzt! – Um Ihren Beistand wollte ich flehen!

CAPUZZI Um meinen Beistand? um meinen Beistand, Signor Nicolo? Auf welche Weise hätte der Ihnen frommen können?

NICOLO Meine beste Signora Capuzzi, mein beste vortrefflichste Signora Capuzzi, Sie werden bemerkt haben, dass meine Schauspieler hin und wieder Arien einmischten. Das gedachte ich denn so ganz unvermerkt weiter und weiter hinaufzutreiben. Sie, Signora Capuzzi, sind die erste Komponistin in ganz Italien, und nur der unglaubliche Leichtsinn der Italiener, der hämische Neid der Maestri ist schuld daran, dass man auf den Theatern etwas anderes hört als Ihre Kompositionen. Signora Capuzzi, um Ihre unsterblichen Werke wollte ich Sie fußfällig bitten, um sie, wie es nur in meinen Kräften stand, auf mein geringes Theater zu bringen!

CAPUZZI Bester Signor Nicolo-

Signora Capuzzi verschlägt es vor Rührung einen Moment die Sprache, dann holt sie einen Stapel Notenblätter hervor, ordnet sie umständlich und beginnt dann mit kreischender Stimme zu singen.

NICOLO Bravo! – bravissimo! – begnadete Signora Capuzzi!

Begeisterung vortäuschend, stürzt Nicolo der Alten zu Füßen und umfasst ihre Knie, die er aber so heftig drückt, daß die Alte in die Höhe fährt, vor Schmerz aufjauchzt und laut aufschreit.

CAPUZZI Alle Heiligen! – Lasst ab von mir, Signor Nicolo, Ihr bringt mich um!

NICOLO Nein, nein, Signora Capuzzi, nicht eher stehe ich auf, bis Sie mir die göttlichen Arie versprechen, die Sie soeben vorgetragen, damit sie morgen Formica in meinem Theater singen kann!

CAPUZZI Sie sind ein Mann von Geschmack, ein Mann von tiefer Einsicht! – Wem könnte ich besser meine Kompositionen anvertrauen als Ihnen! – Sie sollen alle meine Arien mit Ihnen nehmen – lassen Sie mich nur los! – Aber, o Gott, ich werde sie nicht hören, meine göttliche Meisterwerke! – Lassen Sie mich nur los, Signor Nicolo!

NICOLO Nein, nein, Signora Capuzzi, ich lasse Sie nicht, bis Sie Ihr Wort geben, morgen in meinem Theater zu sein! – Befürchten Sie doch nur nicht einen neuen Überfall! Glauben Sie denn nicht, dass die Theaterbesucher, haben sie Ihre Arien gehört, Sie im Triumph geschlossen und behütend aus dem Hause bringen werden? – Aber sollte das auch nicht geschehen, ich selbst und meine getreuen Kameraden, wir geleiten Sie bis in Ihre Wohnung! – Entschließen Sie sich, erhören Sie mein Flehen!

CAPUZZI Formica hat eine schöne Stimme! – Wie er nur meine Arien vortragen wird!

NICOLO Entschließen Sie sich!

CAPUZZI Topp! ich bin morgen in Ihrem Theater!

Nicolo springt auf und drückt der Alten einen Kuss auf den Mund, was ihn selbst überrascht. Signora Capuzzi hüstelt verlegen, ist aber nicht nicht wenig davon angetan. Black.

ABSCHNITT X

Musik. Licht, Abendstimmung. Choreografie: Wir sehen die Frau Doktor in äußerlich wie innerlich zerrüttetem Zustand, wie sie eine Arzneiflasche nach der anderen wegschüttet. Signora Capuzzi redet lautlos und heftig gestikulierend auf sie ein, will, dass sie sie ins Theater begleitet. Die Frau Doktor gibt durch Gesten zu verstehen, dass sie das Theater nie mehr betreten will. Am Ende droht sie damit, der Alten eine Flasche an den Kopf zu werfen. Black.

Musik weiter. Theaterlicht. Bühne und Zuschauerraum bilden wieder das Innere des Teatro Musso. Nicolo steht an der Saaltür. Signora Capuzzi tritt durch die Saaltür auf, gefolgt von Michele, der an Mario gekettet ist. Nicolo begrüßt vor allem Signora Capuzzi überschwänglich und weist den dreien ihre Plätze im Publikum zu.

Tusch. Rosa, gleichzeitig als Formica und als Signora Capuzzi verkleidet, tritt auf und singt die Arie der Capuzzi, wobei sie sie in Gestik und Mimik exakt nachahmt. Gelächter im Publikum (Einige Schauspieler haben sich unter die Zuschauer gemischt). Signora Capuzzi ist begeistert, ruft Bravo, applaudiert, stößt den Nachbarn an, um ihre Begeisterung zu teilen usw.

Plötzlich tritt „die Frau Doktor“ auf : die Darstellerin der Frau Doktor mit Nicolo unter der Kleidung. Sie hält sich die Ohren zu und schreit Formica an. Nicolo spricht im Folgenden, während die Frau Doktor den Mund dazu bewegt.

NICOLO Halten Sie endlich ein mit Ihrem tollen Gekrächze! – Seit wann haben Sie sich das verfluchte Singen angewöhnt, und wo haben Sie die abscheuliche Arie her?

ROSA Ich weiß nicht, was Sie wollen. Es geht ihnen wohl so wie den Bürgerinnen und Bürgern unseres kleinen Städtchens, die keinen Geschmack für wahrhafte Musik haben und die größten Talente unbeachtet lassen. Die Arie ist von der größten jetzt lebenden Komponistin und Virtuosin gesetzt!

Nicolo nennt einige bekannte Komponistinnen, aber bei jedem berühmten Namen schüttelt Rosa verächtlich den Kopf.

ROSA Sie zeigen eine grobe Unwissenheit, da Sie nicht einmal die größte Komponistin der Zeit kennen. Das ist keine andre als– die Signora Capuzzi!

Nicolo bricht in unbändiges Gelächter aus.

NICOLO Was? Die allergrößte, ausgemachteste dumme Trulla, der jemals sich mit Makkaroni gestopft hat, die einherstolziert wie ein sattes Haushuhn nach dem Regenwetter, die knurrige Geizgarke, die alte verliebte Vettel, die mit dem widerlichen Bocksgeschrei, das sie Singen nennt, die Luft in den Straßen unseres kleinen Städtchens verpestet?

ROSA Pah! Nur der Neid spricht aus Ihnen. Und Sie sind gar nicht der Mensch, der die Signora Capuzzi zu beurteilen imstande ist. Sie, Frau Doktor, haben selbst einen starken Beischmack von dem allen, was Sie an der vortrefflichen Signora Capuzzi tadeln.

CAPUZZI (für sich) Gesegneter Formica, ich merke, du hast es darauf abgesehen, meinen Triumph vollständig zu machen, da du den Leuten allen Neid und Undank, mit dem sie mich verfolgen, gehörig in die Nase reibst und ihnen sagst, wer ich bin!

ROSA Aber ich verzeihe Ihnen gnadenreich die beleidigenden Anspielungen auf meine Person. Denn ich selbst bin höchstpersönlich die göttergleiche Signora Capuzzi!

Raunen der Überraschung aus dem Publikum. Gespannte Aufmerksamkeit bei Signora Capuzzi, so dass sie nicht mitbekommt, wie Antonia heimlich Mario von dem inzwischen eingeschlafenen Michele trennt. Sie kettet Michele an Signora Capuzzi und verlässt mit Mario das Theater durch die Saaltür.

ROSA Ich verzeihe Ihnen deshalb, weil heute der glücklichste, freudenvollste Tag meines Lebens ist. Wissen Sie, meine gute Frau Doktor, ich feiere heute noch den segensreichen Hochzeitstag meines lieben Neffen Mario. Ich gebe seine Hand einem braven jungen Mädchen, der vortrefflichsten aller Künstlerinnen, der Antonia Scacciati!

CAPUZZI Das tust du nicht, das tust du nicht, du schurkische halunkische Capuzzi! – Willst du dich um deinen Mario betrügen, du Hündin? – willst du ihn der verdammten Schlampe an den Hals werfen – den süßen Mario, dein Leben – dein Hoffen – dein alles? – Ha, sieh zu – sieh zu – betörte Närrin! sieh zu, dass du wieder zu dir kommst! – Deine Fäuste sollen dich zerbleuen, daß du schon die Hochzeit vergessen wirst!

Signora Capuzzi springt vor Wut auf, wird aber durch die Kette zurückgerissen.

ROSA Alle Teufel dir in den Leib, du verfluchte, unsinnige Capuzzi, du verruchte Geizgarke – alte verliebte Vettel – bunt geputzte Eselin – sich dich vor!

Zwei der Schauspieler kommen, als Antonia und Mario verkleidet, auf die Bühne. Die Capuzzi schaut hinter sich und entdeckt die Abwesenheit der Originale.

ROSA Versuche es einmal, du alter verliebte Äffin, das Glück dieser beiden Leute, die der Himmel selbst für einander bestimmt hat, zu stören!

Die Doubles küssen sich, Die Capuzzi rennt auf die Bühne und schleift dabei Michele mit. Sie reißt das Liebespaar auseinander und entdeckt den Betrug.

CAPUZZI Mario! Mario! – Er ist fort – er ist entflohen – die Spitzbübin Antonia hat ihn mir gestohlen! – Auf – ihnen nach! – Habt die Barmherzigkeit – Leute, sucht mir mein Täubchen – ha, die Schlange!

Signora Capuzzi bricht heulend zusammen. Nicolo hat seine „Verkleidung“ abgelegt und versucht die Capuzzi zu trösten.

Der Gitarrespieler intoniert plötzlich den Hochzeitsmarsch. Mario trägt Antonia, die ein Brautkleid trägt, über die Schwelle der Saaltür.

Die Schauspieler provozieren einen Applaus im Publikum, man gratuliert dem frischgebackenen Ehepaar usw. Währenddessen nimmt Rosa langsam ihre erste Verkleidung ab, beobachtet von Signora Capuzzi. Als sie auch die andere Verkleidung abnimmt und sich von Formica in Rosa verwandelt, entfährt der Capuzzi ein giftiges „Rosa Salvatore!“.

Inzwischen ist die echte Frau Doktor aufgetreten, wankend und mit einer Arzneiflasche in der Hand. Signora Capuzzi will sich auf Rosa stürzen, aber die Frau Doktor kommt dazwischen und wird stattdessen gewürgt. Antonia und Mario reißen die zwei auseinander und beruhigen die Alte.
Schließlich stellen sich alle im Chor auf und singen abschließend zusammen das LIED. Die Übertragung von Karoline von Schlegel mit einbauen:

Je minder ich vom letzten Tag geschieden,

der kurz zu machen pflegt menschliche Wehen,

je mehr seh’ ich die Zeit behende gehen.

Und von der falschen Hoffnung mich gemieden.

Ich sage meinen Sinn: Nicht lang hienieden

wird unser Liebesreden mehr bestehen;

die schwere ird’sche Last will ja zergehen

wie frischer Schnee, dann aber kommt uns Frieden.

Weil fallen wird mit ihr, dies was ich hoffte,

wovon so langes Wähnen mich begleitet,

und Lachen, Weinen, Bangen, Zürnen, Lechzen.

Klar werden wir dann einsehn, wie man ofte

um zweifelhafte Dinge vorwärts schreitet,

und wie wir oftermals vergeblich ächzen.

***
LIED

Quanto piú m’avicino al giorno extremo
che l’umana miseria suol far breve,
piú veggio il tempo andar veloce et leve,
e ‚l mio di lui sperar fallace et scemo.


I‘ dico a‘ miei pensier‘: Non molto andremo
d’amor parlando omai, ché ‚l duro et greve
terreno incarco come frescha neve
si va struggendo; onde noi pace avremo:


perché co llui cadrà quella speranza
che ne fe‘ vaneggiar sí lungamente,
e ‚l riso e ‚l pianto, et la paura et l’ira;


sí vedrem chiaro poi come sovente
per le cose dubbiose altri s’avanza,
et come spesso indarno si sospira.

I‘ dico a‘ miei pensier‘: Non molto andremo
d’amor parlando omai, ché ‚l duro et greve
terreno incarco come frescha neve
si va struggendo; onde noi pace avremo:


perché co llui cadrà quella speranza
che ne fe‘ vaneggiar sí lungamente,
e ‚l riso e ‚l pianto, et la paura et l’ira;


sí vedrem chiaro poi come sovente
per le cose dubbiose altri s’avanza,
et come spesso indarno si sospira.

perché co llui cadrà quella speranza
che ne fe‘ vaneggiar sí lungamente,
e ‚l riso e ‚l pianto, et la paura et l’ira;


sí vedrem chiaro poi come sovente
per le cose dubbiose altri s’avanza,
et come spesso indarno si sospira.

perché co llui cadrà quella speranza
che ne fe‘ vaneggiar sí lungamente,
e ‚l riso e ‚l pianto, et la paura et l’ira;


sí vedrem chiaro poi come sovente
per le cose dubbiose altri s’avanza,
et come spesso indarno si sospira.

**********

Schluss-Lied in konkreter Verteilung (Vorschlag)

Solistin a capella:

Quanto piú m’avicino al giorno extreme

Nur die Frauen:


che l’umana miseria suol far breve,
piú veggio il tempo andar veloce et leve,
e ‚l mio di lui sperar fallace et scemo.

Nur die Männer und Solistin:


I‘ dico a‘ miei pensier‘: Non molto andremo
d’amor parlando omai, ché ‚l duro et greve
terreno incarco come frescha neve
si va struggendo; onde noi pace avremo:

Alle:


perché co llui cadrà quella speranza
che ne fe‘ vaneggiar sí lungamente,
e ‚l riso e ‚l pianto, et la paura et l’ira;


sí vedrem chiaro poi come sovente
per le cose dubbiose altri s’avanza,
et come spesso indarno si sospira.

I‘ dico a‘ miei pensier‘: Non molto andremo
d’amor parlando omai, ché ‚l duro et greve
terreno incarco come frescha neve
si va struggendo; onde noi pace avremo:


perché co llui cadrà quella speranza
che ne fe‘ vaneggiar sí lungamente,
e ‚l riso e ‚l pianto, et la paura et l’ira;


sí vedrem chiaro poi come sovente
per le cose dubbiose altri s’avanza,
et come spesso indarno si sospira.

Ab hier Miklatschen und bewegen (gute Laune):

perché co llui cadrà quella speranza
che ne fe‘ vaneggiar sí lungamente,
e ‚l riso e ‚l pianto, et la paura et l’ira;


sí vedrem chiaro poi come sovente
per le cose dubbiose altri s’avanza,
et come spesso indarno si sospira.

(Mit den letzten Takten in Applausordnung übergehen…)