Personen:
D1 – Giglio / Cornelio Chiapperi Kostüm Arlecchino
D2 – Giacinta / Brambilla Kostüm Colombina
D3 – Beatrice Kostüm Dottore
D4 – Bescapi / Impresario Kostüm Pantalone
D5 – Celionati / Bastianello de Pistoja Kostüm Brighella
D6 – Signor Pasquale / Abbate Antonio Chiari Kostüm Tartaglia
Der Schauplatz ist das Café greco, bestehend aus elf Tischen mit je drei Stühlen und einer beleuchteten Bühnenfläche von 2x2m. Über der Bar ein Schild, auf dem „Café greco“ steht. Am Rand der Bühne hängt der Rahmen eines Spiegels.
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Wenn die Zuschauer Platz nehmen, sind die Spieler bereits mit bestimmten Aktionen beschäftigt.
Giglio, im Arlecchino-Kostüm, sitzt an einem der Kaffeehaustische und memoriert halblaut Text aus dem Stück.
Giacinta Soardi sitzt im Unterkleid auf einem Stuhl auf der Bühne und bessert das Brambilla-Kostüm aus. Immer wieder legt sie es seufzend beiseite und träumt vor sich hin. Kurz bevor sie zu sprechen beginnt, sticht sie sich mit der imaginären Nadel.
Beatrice, auch im Unterkleid, sammelt die übrigen Kostüme, die auf der Bühne herumliegen, ein und hängt sie ordentlich auf. Ab und zu schaut sie zu Giacinta rüber und schüttelt den Kopf.
Meister Bescapi sitzt an der Bar und trinkt was. Er steht immer mal auf, schaut auf die Bühne, dann auf die Uhr, und deutet seine Ungeduld an, bevor er sich wieder an die Bar setzt.
Signor Pasquale ist hinter dem Tresen.
Celionati steht am Eingang und verteilt Programmzettel.
Giacinta Um alle Welt möcht ich wissen, wer die Glückliche ist, die sich mit diesem Götterkleide schmücken wird.
Beatrice Was kümmert uns das, Giacinta? wir machen die Arbeit und erhalten unser Geld. Aber wahr ist es, Meister Bescapi tat so geheimnisvoll, so seltsam – Nun, eine Prinzessin muss es wenigstens sein, die dieses Kleid trägt und, bin ich auch sonst eben nicht neugierig, so wär mir’s doch lieb, wenn Meister Bescapi mir den Namen sagte, und ich werde ihm morgen schon so lange zusetzen, bis er’s tut.
Giacinta Ach nein, ich will es gar nicht wissen, ich will mir lieber einbilden, keine Sterbliche werde jemals dies Kleid anlegen, sondern ich arbeite an einem geheimnisvollen Feenschmuck. – Fertig!
Sie steht auf und hält das Kleid vor den Körper, mit Blick in den Spiegel.
Beatrice Ei wie schön, ei wie herrlich – wie prächtig! – Mir scheint, als sei das Kleid ganz und gar nach deinem Wuchs geschnitten, als habe Meister Bescapi niemandem anders als dir selbst das Maß dazu genommen.
Giacinta Freilich, bei der Arbeit ist es mir manchmal so vorgekommen, als müsse mir das Kleid passen.
Beatrice Giacinina, Giacinina, du errätst meine Gedanken, ich die deinigen – Mag das Kleid anlegen, wer da will, Prinzessin, Königin, Fee, gleichviel, meine Giacinina muss sich zuerst darin –
Giacinta Nimmermehr –
Beatrice hilft Giacinta in das Kleid zu schlüpfen.
Beatrice Ach wie schön seid Ihr, meine gnädigste Prinzessin!
Giacinta schreitet stolz vor dem Spiegel auf und ab. Parallel tritt Giglio auf. Er geht hinter dem Spiegelrahmen vorbei, bleibt stehen und betrachtet Giacinta. Als Giacinta ihn „im Spiegel“ erblickt, erschrickt sie. Giglio tritt auf die Bühne und beginnt den folgenden Text pathetisch zu sprechen.
Giglio Ha! was seh ich? was seh ich – ist es ein Traum, der mich von neuem täuscht? – Nein! sie ist es selbst, die Göttliche – ich darf es wagen sie anzureden mit kühnen Liebesworten? – Prinzessin – o Prinzessin!
Giacinta Lass die Possen.
Giglio Weiß ich denn nicht, dass du es bist, meine holde Giacinta, aber sage, was bedeutet dieser prächtige Anzug? – In der Tat, noch nie bist du mir so reizend erschienen, ich möchte dich nie anders sehen.
Er packt sie bei der Hüfte, sie entwindet sich ihm.
Giacinta So, also meinem Kleid gilt deine Liebe –
Giglios Erzählung wird pantomimisch mitgespielt.
Giglio Lass dir erzählen, mein süßes Leben, welch ein märchenhafter Traum mir gestern nachts aufging, als ich ganz müde und ermattet von der Rolle des Prinzen Taer, den ich, du weißt es, ebenso die Welt, über alle Maßen vortrefflich spiele, mich auf mein Lager geworfen. Mich dünkte, ich sei noch auf der Bühne und zanke sehr mit dem schmutzigen Geizhals von Impresario, der mir ein paar lumpichte Dukaten Vorschuss hartnäckig verweigerte. Er überhäufte mich mit allerlei dummen Vorwürfen; da wollte ich, um mich besser zu verteidigen, einen schönen Gestus machen, meine Hand traf aber unversehens des Impresario rechte Wange, so dass dabei Klang und Melodie einer derben Ohrfeige herauskam; der Impresario ging ohne weiteres mit einem großen Messer auf mich los, ich wich zurück und dabei fiel meine schöne Prinzenmütze zu Boden. In voller Wut warf sich der Unmensch, der Barbar über sie her und durchstach die Ärmste mit dem Messer, dass sie sich im qualvollen Sterben winselnd zu meinen Füßen krümmte. – Ich wollte – musste die Unglückliche rächen. Das fürstliche Schwert gezückt, drang ich ein auf den ruchlosen Mörder. Der floh aber schnell in ein Haus und drückte vom Balkon herunter Truffaldinos Flinte auf mich ab. Seltsam war es, dass der Blitz des Feuergewehrs stehenblieb und mich anstrahlte wie funkelnde Diamanten. Und so wie sich mehr und mehr der Dampf verlor, gewahrte ich wohl, dass das, was ich für den Blitz von Truffaldinos Flinte gehalten, nichts anders war, als der köstliche Schmuck am Hütlein einer Dame – O all ihr Götter! ihr seligen Himmel allesamt! – eine süße Stimme sprach – nein! sang – nein! hauchte Liebesduft in Klang und Ton – ‚O Giglio – mein Giglio!‘ – Und ich schaute ein Wesen in solch göttlichem Liebreiz, in solch hoher Anmut, dass der sengende Schirokko inbrünstiger Liebe mir durch alle Adern und Nerven fuhr und der Glutstrom erstarrte zur Lava, die dem Vulkan des aufflammenden Herzens entquollen –
Giacinta Ich bin die Prinzessin – Wie? du unterstehst dich von einer andern zu träumen, als von mir? du unterstehst dich in Liebe zu kommen, ein dummes einfältiges Traumbild schauend, das aus Trufialdinos Flinte geschossen?
Sie ohrfeigt ihn. Es entwickelt sich eine burleske Ohrfeigen-Szene. Die endet damit, dass Giglio ihr ein Kästchen hinhält, in dem sich zwei Ringe (aus Schokolade oder Weingummi) befinden. Sie nimmt die Ringe und steckt sie in den Mund.
Giacinta Ich sehe doch, dass du an mich denkst, guter Giglio.
Giglio Nicht geglaubt hätt ich, dass du, mein süßes Leben, so eifersüchtig auf mich sein könntest. Aber du hast recht. Ich bin ganz hübsch von Ansehn, begabt von der Natur mit allerlei angenehmen Talenten; aber mehr als das – ich bin Schauspieler. Der junge Schauspieler, welcher so wie ich, verliebte Prinzen göttlich spielt, mit geziemlichen O und Ach, ist ein wandelnder Roman, eine Intrige auf zwei Beinen, ein Liebeslied mit Lippen zum Küssen, mit Armen zum Umfangen, ein aus dem Einband ins Leben gesprungenes Abenteuer, das der Schönsten vor Augen steht, wenn sie das Buch zugeklappt. Daher kommt es, dass wir unwiderstehlichen Zauber üben an den armen Weibern, die vernarrt sind in alles, was in und an uns ist. Wäschermädchen oder Prinzessin – gleichviel! – Nun sage ich dir, mein holdes Kind, dass, täuschen mich nicht gewisse geheimnisvolle Ahnungen, neckt mich nicht ein böser Spuk, wirklich das Herz der schönsten Prinzessin entbrannt ist in Liebe zu mir. Hat sich das begeben, oder begibt es sich noch, so wirst du, mein schönstes Hoffen, es mir nicht verdenken, wenn ich den Goldschacht, der sich mir auftut, nicht ungenützt lasse, wenn ich dich ein wenig vernachlässige, da doch ein armes Ding von Putzmacherin –
Giacinta hatte mit immer steigender Aufmerksamkeit zugehört, ist dem Giglio immer näher und näher gerückt, verpasst ihm eine letzte saftige Ohrfeige und geht in den Hintergrund, wo die Kostüme sind. Giglio schaut verwundert ins Publikum.
Inzwischen sind auch die anderen Spieler in den Hintergrund getreten und haben sich die Kostüme angezogen.
Musik.
Eine Prozession durch das Café beginnt. Bastianello de Pistoja führt sie an, in Herrschermanier winkend. Es folgt Brambilla, die von zwei Spielern getragen wird und einen langen Netzschleier wie eine Schleppe trägt. Die Nachhut bildet der der dritte Spieler, der der das Ende des Netzschleiers hält. Giglio verfolgt die Prozession erstaunt in gehörigem Abstand.
Musik aus.
Die Spieler setzen sich an freie Plätze im Café. Der Bescapi-Spieler setzt sich wieder an die Bar. Nur der Celionati-Spieler bleibt auf der Bühne.
Celionati Hört – hört, wer eingezogen ist in den Palast Pistoja – hört, hört – jauchzt, jubelt, werft Mützen, Hüte, oder was ihr sonst eben auf dem Kopfe tragen möget, hoch in die Höhe! Euch ist großes Heil widerfahren; denn eingezogen in den Palast Pistoja ist die weltberühmte Prinzessin Brambilla aus dem fernen Äthiopien, ein Wunder an Schönheit und – und ich weiß, dass sie gekommen ist, weil sie glaubt, hier ihren Herzensfreund und Bräutigam, den assyrischen Prinzen Cornelio Chiapperi aufzufinden, der Äthiopien verließ, um sich hier in Lipsia einen Backzahn ausreißen zu lassen, welches ich glücklich vollbrachte! – Seht ihn hier vor Augen!
Celionati holt ein Kästchen hervor, öffnet es, ist im Begriff, etwas herauszuholen, schließt es aber wieder und steckt es wieder weg.
Celionati Seht, ihr Guten, nachdem der assyrische Prinz Cornelio Chiapperi die Operation mit Standhaftigkeit und Sanftmut ausgehalten, kam er sich selbst, er wusste nicht wie, abhanden. – Sucht, Leute, sucht, Leute, den assyrischen Prinzen Cornelio Chiapperi, sucht ihn in euern Stuben, Kammern, Küchen, Kellern, Schränken und Schubladen! – Wer ihn findet und der Prinzessin Brambilla unversehrt wiederbringt, erhält ein Fundgeld von fünfmal hunderttausend Dukaten. So viel hat Prinzessin Brambilla auf seinen Kopf gesetzt, den angenehmen, nicht geringen Inhalt an Verstand und Witz ungerechnet. – Sucht, Leute, sucht! – Aber vermöget ihr den assyrischen Prinzen, Cornelio Chiapperi, zu entdecken, wenn er euch auch vor der Nase steht? – Ja! – vermöget ihr die durchlauchtigste Prinzessin zu erschauen, wenn sie auch dicht vor euch wandelt? – Nein, das vermöget ihr nicht, wenn ihr euch nicht der Brillen bedient, die der weise indische Magier Ruffiamonte selbst geschliffen; und damit will ich euch aus purer Nächstenliebe und Barmherzigkeit aufwarten, insofern ihr die Kohle, den Zaster, die Mäuse, die Piepen, … (weitere Ausdrücke aufzählen!) nicht achtet –
Er holt eine Papierbrille (die dem Programmzettel entspricht) hervor und geht von Tisch zu Tisch, um sie anzubieten. Dabei stellt er fest, dass alle bereits eine Brille (Programmzettel) haben. Bei Giglio angelangt, stellt er fest, dass dieser keine Brille hat und bietet sie ihm an. Giglio lehnt ab.
Celionati Ei, ei, mein guter Giglio, Ihr tut nicht wohl, mir keine magische Brille abzukaufen –
Giglio Geht doch mit Euern Kinderpossen, mit dem wahnsinnigen Zeuge, das Ihr dem Volke aufschwatzt, um Euren nichtswürdigen Kram loszuwerden!
Celionati Hoho, tut nur nicht so stolz, mein junger Herr! Ich wollte, Ihr hättet aus meinem Kram, den nichtswürdig zu nennen Euch beliebt, manch treffliches magisches Mittel, vorzüglich aber denjenigen Talisman, der Euch die Kraft verliehe, ein vortrefflicher, guter, oder wenigstens leidlicher Schauspieler zu sein, da es Euch nun wieder beliebt, zur Zeit gar erbärmlich zu tragieren!
Giglio Was? was? Signor Celionati, Ihr untersteht Euch, mich für einen erbärmlichen Schauspieler zu halten? mich, der ich der Abgott Lipsias bin?
Celionati Püppchen, das bildet Ihr Euch nur ein; es ist kein wahres Wort daran. Ist Euch aber auch manchmal ein besonderer Geist aufgegangen, der Euch manche Rolle gelingen ließ, so werdet Ihr das bisschen Beifall, oder Ruhm, das Ihr dadurch gewannt, heute unwiederbringlich verlieren. Denn seht, Ihr habt Euern Prinzen ganz und gar vergessen, und, steht vielleicht sein Bildnis noch in Euerm Innern, so ist es farblos, stumm und starr geworden, und Ihr vermöget nicht, es ins Leben zu rufen. Euer ganzer Sinn ist erfüllt von einem seltsamen Traumbild, von dem Ihr nun meint, es sei dort in den Palast Pistoja hineingefahren. – Merkt Ihr, dass ich Euer Inneres durchschaue?
Giglio Signor Celionati, Ihr seid in der Tat ein sehr seltsamer Mensch. Es müssen Euch Wunderkräfte zu Gebote stehen, die Euch meine geheimsten Gedanken erraten lassen – Und dann wieder Euer närrisches Tun und Treiben vor dem Publikum – Ich kann das nicht zusammenreimen – doch – gebt mir eine von Euern großen Brillen!
Celionati lacht laut auf.
Celionati Ich weiß es, Signor Fava, Ihr wollt durch meine Brille die Prinzessin Brambilla, Euer Traumbild, schauen; doch das wird Euch zur Stunde nicht gelingen! – Indessen nehmt und versucht’s!
Voll Begier ergreift Giglio die Brille und schaut damit ins Publikum. Er versucht unter den vielen Gesichtern Brambilla zu erkennen, die aber den Netzschleier über sich geworfen hat. Sein Blick bleibt auf dem Impresario hängen, der ihn wiederum entdeckt und wütend aufspringt.
Impresario Alle böse Teufel der Hölle, Euch in den Hals zu jagen! Ihr stürzt mich ins Verderben. In zehn Minuten muss der Vorhang in die Höhe; Ihr habt die erste Szene und Ihr steht hier und gafft, ein aberwitziger Narr, die kahlen Wände des Café greco an!
Giglio will Richtung Bühne, Celionati hält ihn auf.
Celionati Halt einen Augenblick! Signor Giglio, es ist möglich, dass Ihr hier in Kürze Euer Traumbild seht. Aber Ihr wäret ein großer Tor, wenn Ihr Euch in einer schönen Maske herausschniegeln wolltet, das würde Euch um den Anblick der Schönsten bringen. Je abenteuerlicher, je abscheulicher, desto besser! eine tüchtige Nase, die mit Anstand und Seelenruhe meine Brille trägt! denn die dürft Ihr ja nicht vergessen!
Er setzt Giglio eine große imaginäre Nase auf, und darauf die Brille. Komisches Spiel mit anstoßender Nase usw.
Giglio geht durch das Publikum und hält Ausschau nach der Prinzessin. Diese ist immer noch mit dem Netzschleier verhüllt und deshalb für ihn unsichtbar. Als Giglio wieder auf die Bühne geht, steht Beatrice, in ihrem Kostüm, von ihrem Platz auf.
Beatrice Bester Signor, mein teurer, bester Signor!
Giglio bleibt stehen. Beatrice geht zu ihm auf die Bühne. Beatrice hat ebenfalls eine große imaginäre Nase. Komisches Spiel wird zu zweit fortgesetzt.
Beatrice Bester Signor, mein bester Signor! ein glücklicher Tag, der mir das Vergnügen, die Ehre schenkt, Sie zu erblicken! Sollten Sie nicht zu meiner Familie gehören?
Giglio Sosehr mich das entzücken würde, da Sie, mein bester Signor, mir über alle Maßen wohlgefallen, so weiß ich doch nicht, in welcher Art irgendeine Verwandtschaft –
Beatrice O Gott! bester Signor, waren Sie jemals in Assyrien?
Giglio Eine dunkle Erinnerung schwebt mir vor, als sei ich einmal auf der Reise dahin begriffen gewesen, aber nur bis nach –
Beatrice O Gott! so ist es denn wahr? – Diese Nase– mein teuerster Prinz – o mein Cornelio! – Doch ich sehe, Sie erbleichen vor Freude, mich wiedergefunden zu haben – o mein Prinz! nur ein Schlückchen, ein einziges Schlückchen!
Beatrice reicht Giglio eine große imaginäre Flasche. Er trinkt; als er absetzt, fällt sein Blick auf Prinzessin Brambilla, die den Netzschleier halb abgenommen hat. Sie streckt die Arme nach Giglio aus.
Giglio O steige doch nur ganz herauf, dass ich dich erschauen möge in deiner vollen Schönheit!
Beatrice Du hasenfüßiger Geck, wie magst du dich nur für den Prinzen Cornelio ausgeben wollen!
Celionati Geh nach Haus, schlaf aus, du Tölpel!
Giglio Grobian!
Alle Spieler außer der Brambilla kommen auf die Bühne, packen Giglio und tragen ihn gemeinsam weg. Black. Die Spieler verteilen sich im Raum und rufen dann in einer Art Sprechchoreografie „Prinzessin Brambilla!“
Licht. Giglio steht auf der Bühne, setzt mehrmals zu einem tragischen Monolog an, ruft aber jedes Mal stattdessen „Prinzessin Brambilla!“
Impresario (von der Bar) Jetzt reichts! Ihr seid entlassen!
Giglio Ich werde mich des assyrischen Prinzen bemächtigen, so dass ich selbst dann der Prinz sein werde.
Giglio geht von der Bühne, setzt sich an einen der Tische und bestellt bei Signor Pasquale „Spaghetti und Wein“. Dieser bringt ihm imaginäre Speisen, die Giglio mit großem Appetit und gestenreich pantomimisch zu sich nimmt. Als er zahlen will, stellt er fest, dass er kein Geld hat.
Giglio Ich trage zwar zufällig kein Geld bei mir, aber ich werde es ganz gewiss andern Tages bezahlen.
Signor Pasquale sieht Giglio skeptisch an und geht zurück zur Bar. Celionati geht an Giglios Tisch vorüber, schaut ihn höhnisch an und setzt sich dann an einen anderen Tisch.
Giglios Blick fällt auf Giacinta, die ebenfalls an einem der Tische sitzt. Er dreht sich wieder weg und sagt zu sich selbst „Giacinta!“; währenddessen hat Giacinta den Netzschleier über sich geworfen. Als Giglio erneut hinschaut, sieht er sie nicht mehr.
Giglio Giacinta?
Er steht auf und sucht sie, ihren Namen rufend, im ganzen Café.
Signor Pasquale Signor Giglio! – Sagt mir nur, welcher böse Geist Euch treibt, hier eine O- und Achs-Rolle irgendeines läppischen Trauerspiels durchs ganze Café hineinzuwinseln?
Giglio Signor Pasquale, sagt, wo ist Giacinta? – wo ist sie, mein Leben, mein Alles?
Signor Pasquale Signor Giglio, ich weiß, wie es mit Euch steht; ganz Lipsia hat erfahren, wie Ihr von der Bühne abtreten müssen, weil es Euch im Kopfe rappelt – Geht zum Arzt, geht zum Arzt, lasst Euch ein paar Pfund Blut abzapfen, steckt den Kopf ins kalte Wasser!
Giglio Bin ich noch nicht wahnsinnig, so werde ich es, wenn Ihr mir nicht augenblicklich sagt, wo Giacinta geblieben.
Signor Pasquale Macht mir doch nicht weis, Signor Giglio, dass Ihr nicht davon unterrichtet sein solltet, auf welche Weise Giacinta-
Giglio steht auf und packt Signor Pasquale.
Giglio Wo ist Giacinta?
Es entwickelt sich ein grotesker Ringkampf, der sich allmählich auf die Bühne verlagert und bei dem Giglio am Ende unterliegt. Er bleibt liegen.
Die Szenerie verwandelt sich in das Theater, indem die anderen Spieler sich geschäftig für einen Bühnenauftritt vorbereiten.
Giglio kommt zu sich und wundert sich, wo er ist. Alle wuseln um ihn herum, ohne ihn zu beachten. Endlich entdeckt ihn der Impresario und hilft ihm hoch.
Impresario Ihr wundert Euch wohl, Signor Fava, dass Ihr hier alles so ganz anders findet, als damals, da Ihr mich verließet? Gestehen muss ich Euch, dass all die pathetischen Aktionen, mit denen sich sonst mein Theater brüstete, dem Publikum viel Langeweile zu machen begannen, und dass diese Langeweile um so mehr auch mich ergriff, da mein Beutel darüber in den miserablen Zustand wahrer Auszehrung verfiel. Nun hab ich all das tragische Zeug fahrenlassen und mein Theater dem freien Scherz, der anmutigen Neckerei unserer Masken hingegeben und befinde mich wohl dabei.
Giglio Ha! Signor Impresario, gesteht es nur, mein Verlust zerstörte Euer Trauerspiel – Mit dem Fall des Helden fiel auch die Masse, die sein Atem belebte, in ein totes Nichts zusammen?
Impresario Wir wollen das nicht so genau untersuchen! doch Ihr scheint in übler Laune, drum bitte ich Euch, schaut meine Pantomime! Vielleicht heitert Euch das auf, oder Ihr ändert vielleicht Eure Gesinnung und werdet wieder mein, wiewohl auf ganz andere Weise; denn möglich wär es ja, dass – doch setzt Euch nur, setzt Euch!
Giglio setzt sich auf einen freien Platz. Er beobachtet zwei Spieler, die sich gegenseitig was zuflüstern und dabei öfter seinen Namen erwähnen. Er steht von seinem Platz auf und schleicht sich an die Sprechenden heran. Während des Gesprächs reagiert er gestenreich auf das Gesagte. Vor der Stelle mit dem Beutel geht Celionati unbemerkt an ihm vorbei, betrachtet ihn höhnisch und geht weiter.
D6 Ihr habt recht, Ihr habt recht. Der Fava ist schuld daran, dass wir auf diesem Theater keine Trauerspiele mehr sehen. Diese Schuld möchte ich aber keineswegs, wie Ihr, in seinem Abtreten von der Bühne, sondern vielmehr in seinem Auftreten suchen und finden.
D3 Wie meint Ihr das?
D6 Nun, ich für mein Teil habe diesen Fava, unerachtet es ihm nur zu oft gelang, Furore zu erregen, immer für den erbärmlichsten Schauspieler gehalten, den es jemals gab. Machen ein paar blitzende Augen, wohlgestaltete Beine und ein zierlicher Anzug denn den jungen tragischen Helden? In der Tat, wenn der Fava so mit abgemessenen Tänzerschritten vorkam aus dem Grunde des Theaters, wenn er, keinen Mitspieler beachtend, nach den Logen schielte und, in seltsam gezierter Stellung verharrend, den Schönsten Raum gab, ihn zu bewundern, wahrhaftig, dann kam er mir vor, wie ein junger, närrisch bunter Haushahn, der in der Sonne stolz und sich gütlich tut. Und wenn er dann mit verdrehten Augen, mit den Händen die Lüfte durchsägend, bald sich auf den Fußspitzen erhebend, bald wie ein Taschenmesser zusammenklappend, mit hohler Stimme die Verse holpricht und schlecht hertragierte, sagt, welches vernünftigen Menschen Brust konnte dadurch wahrhaft erregt werden?
D3 Mich dünkt, Ihr beurteilt den armen Fava viel zu hart. Wenn Ihr ihn eitel, geziert scheltet, wenn Ihr behauptet, dass er niemals seine Rolle, sondern nur sich selbst spielte, dass er auf eben nicht lobenswerte Weise nach Beifall haschte, so möget Ihr allerdings recht haben; doch war er ein ganz artiges Talent zu nennen, und, dass er zuletzt in tollen Wahnsinn verfiel, das nimmt doch wohl unser Mitleid in Anspruch und zwar um so mehr, als die Anstrengung des Spiels doch wohl die Ursache seines Wahnsinns ist.
D6 Glaubt doch das ja nicht! Möget Ihr es Euch wohl vorstellen, dass Fava wahnsinnig wurde aus purer Liebeseitelkeit? – Er glaubt, dass eine Prinzessin in ihn verliebt ist, der er jetzt nachläuft. – Und dabei ist er aus purer Taugenichtserei verarmt, so dass er heute bei Signor Pasquale die Zeche schuldig bleiben musste, für ein Gericht zäher Spaghetti.
D3 Was sagt Ihr? ist es möglich, dass es solche Tollheiten gibt? – Aber man sollte dem armen Giglio, der uns doch manchen Abend vergnügt hat, etwas zufließen lassen, auf diese und jene Weise. Der Hund von Impresario, dem er manchen Dukaten in die Tasche gespielt, sollte sich seiner annehmen und ihn wenigstens nicht darben lassen.
D6 Ist nicht nötig, denn die Prinzessin Brambilla, die seinen Wahnsinn und seine Not kennt, hat, wie nun Weiber jede Liebestorheit nicht allein verzeihlich, sondern gar hübsch finden und dem Mitleid sich dann nur zu gern hingeben, ihm soeben einen kleinen, mit Dukaten gefüllten Beutel zustecken lassen.
Giglio greift in seine Tasche und fühlt dort etwas darin und erschrickt. Er stürzt sich auf die beiden Sprecher, die inzwischen mitten in der Pantomime sind. Giglio verwandelt sich dadurch in Arlecchino und spielt mit.
Musik.
Pantalone will Colombina erst mit dem Dottore, dann mit Tartaglia verloben, diese weigert sich aber jedesmal und zeigt auf Arlecchino. Pantalone gerät in Wut. Arlecchino und Colombina fliehen, Tartaglia, Dottore und Pantalone setzen ihnen nach. Brighella versucht das Paar zu verstecken, auf dem Weg zum Versteck stoßen sie aber auf das Trio. Arlecchino soll festgenommen werden, Colombina fällt vor Pantalone auf die Knie und bittet für Arlecchino. Währenddessen schleichen Arlecchino und Brighella hinter die drei Rivalen und treten ihnen in den Hintern. Wenn sie sich umdrehen, bekommen sie eine Ohrfeige, mit der sie wieder gedreht werden und erneut in den Hintern getreten werden usw.
Pantalone lässt sich nun ganz erschöpft auf den Stuhl nieder. Die anderen zwei kommen, es folgt eine komische Nummer, bei der immer einer aufsteht, dem anderen den Stuhl anbietet und Pannen wie zu zweit setzen, Stuhl wegziehen u.ä. passiert.
Schließlich geraten die drei dermaßen in Streit, dass sie sich gegenseitig ohrfeigen und treten. Währenddessen schleichen die anderen drei zum Stuhl und machen „Leim“ auf die Sitzfläche. Pantalone hat den Streit gewonnen und setzt sich auf den Stuhl. Arlecchino und Colombina werden vor seinen Augen von Brighella getraut. Wenn der Kuss erfolgt, will Pantalone aufspringen und reißt den Stuhl mit. Das Paar und Brighella fliehen, Pantalone ihnen nach, während Tartaglia und dottore ihm zu helfen versuchen, dabei umfallen u.ä.
Musik aus.
Black. Applaus und Licht. Giglio sitzt wieder auf seinem Zuschauerplatz, während die anderen Spieler sich auf der Bühne vor dem Publikum verbeugen. Als die Spielerin D2 sich verbeugt, applaudiert Giglio auch und ruft dabei immer wieder „Prinzessin Brambilla!“
Wenn der Applaus vorbei ist, stellt der Raum wieder das Café dar. Der Impresario sitzt wieder an der Bar, Signor Pasquale bedient usw.
Giglio an seinem Zuschauerplatz ist jetzt wieder Gast im Café. Er befühlt seine Tasche, ob das Geld noch drin ist und deutet mimisch an, dass dies der Fall ist.
Giglio Hm! Celionati hat mir das Beutelchen zugesteckt aus großer Gnade und Barmherzigkeit, und ich will ihm die Schuld abtragen, sobald ich auf der Bühne glänzen werde, was mir wohl nicht fehlen kann, da nur der grimmigste Neid, die schonungsloseste Kabale, mich für einen schlechten Schauspieler ausschreien darf!
Er holt den Beutel aus der Tasche und liest darauf „Gedenke deines Traumbilds!“ – Gedankenvoll betrachtete er die Inschrift, als Beatrice plötzlich hinter ihm steht und ihm ins Ohr schreit.
Beatrice Endlich treffe ich dich, du Verräter, du Treuloser, du Ungeheuer von Falschheit und Undank!
Giglio Was wollt Ihr von mir? seid Ihr toll, rasend? – Um aller Heiligen willen, seid Ihr es, Beatrice? – wo ist Giacinta? wo ist das holde, süße Kind? – mein Herz bricht in Liebe und Sehnsucht! wo ist Giacinta?
Beatrice Fragt nur, unseliger, verruchter Mensch! Im Gefängnis sitzt die arme Giacinta und verschmachtet ihr junges Leben und Ihr seid an allem schuld. Denn, hatte sie nicht das Köpfchen voll von Euch, konnte sie die Abendstunde erwarten, so stach sie sich nicht, als sie den Besatz an dem Kleide der Prinzessin Brambilla nähte, in den Finger, so kam der garstige Fleck nicht hinein, so konnte der würdige Meister Bescapi, den die Hölle verschlingen möge, nicht den Ersatz des Schadens von ihr verlangen, konnte sie nicht, da wir das viele Geld, das er verlangte, nicht aufzubringen vermochten, ins Gefängnis stecken lassen. – Ihr hättet Hülfe schaffen können – aber da zog der Herr Schauspieler Taugenichts die Nase zurück –
Giglio Halt! deine Schuld ist es, dass du nicht zu mir ranntest, mir alles sagtest. Mein Leben für die Holde! – Wär es nicht Mitternacht, ich liefe hin zu dem abscheulichen Bescapi – diese Dukaten – mein Mädchen wäre frei in der nächsten Stunde; doch, was Mitternacht? Fort, fort, sie zu retten!
Giglio springt auf. Beatrice lacht ihm höhnisch nach.
Musik.
Der Bescapi-Spieler geht auf die Bühne. Parallel dazu rennt Giglio in Slow Motion durch das ganze Café, bis er endlich auf die Bühne gelangt. Er redet lautlos gestenreich auf Bescapi ein.
Musik aus.
Bescapi Es ist der wahnsinnige Schauspieler, der arme Signor Fava. Packt an, Leute, packt an!
Die anderen vier Spieler kommen auf die Bühne, packen Giglio an Armen und Beinen und halten ihn so, als läge er auf einem unsichtbaren Bett.
Giglio Brambilla – Blutfleck – Bezahlen – Befreiung!
Bescapi Beruhigt Euch doch nur, bester Signor Giglio, lasst die Gespenster fahren, die Euch quälen! In wenigen Augenblicken wird Euch alles ganz anders vorkommen.
Bescapi nimmt die Position von Beatrice ein. Diese holt eine riesige imaginäre Spritze hervor, zieht sie auf und verpasst sie Giglio, der daraufhin in Schlaf fällt. Die Spieler legen Giglio auf die Bühne.
Black. Die anderen Spieler gehen von der Bühne. Spot auf Giglio, der benommen versucht aufzustehen. Er fällt immer wieder hin, was zu einer komischen Nummer ausartet. Schließlich bleibt er liegen.
Er vernimmt ein tiefes Atmen, dann ein leises Flüstern, das endlich zu verständlichen Worten wird. Man sieht den riesenhaften Schatten der Brambilla.
Brambilla Seid Ihr es wirklich, mein teurer Prinz? – und in diesem Zustande? so klein, so klein, dass ich glaube, Ihr hättet Platz in meinem Konfektschächtelchen! – Aber glaubt etwa nicht, dass ich Euch deshalb weniger schätze und achte; weiß ich denn nicht, dass Ihr ein stattlicher liebenswürdiger Herr seid, und, dass ich das alles jetzt nur träume? – Habt doch nur die Güte, Euch morgen mir zu zeigen, geschieht es auch nur als Stimme! – Warft Ihr Eure Augen auf mich arme Magd, so musste es ja eben geschehen, da sonst –
Die weiteren Worte gehen unter in undeutlichem Flüstern. Das Flüstern, das dem Plätschern einer Quelle gleicht, wiegt Giglio in tiefen Schlaf.
Spot aus. Licht, Bescapi steht wieder neben dem liegenden Giglio. Er hilft Giglio hoch, wie eine Reprise des Vorgangs mit dem Impresario.
Bescapi Nicht wahr, Ihr befindet Euch besser, liebster Signor? – Ja, der Himmel führte Euch in Euerm bösen Paroxysmus in mein Haus und erlaubte mir, Euch, den ich für den herrlichsten Schauspieler in Lipsia halte und dessen Verlust uns alle in die tiefste Trauer versetzt hat, einen kleinen Dienst erweisen zu können.
Giglio Signor Bescapi, ich war weder krank, noch wahnsinnig, als ich Euer Haus betrat. Ihr wäret hartherzig genug, meine holde Braut, die arme Giacinta Soardi, ins Gefängnis stecken zu lassen, weil sie Euch ein schönes Kleid, das sie verdorben, nein das sie geheiligt, indem sie aus der Nähnadelstichwunde des zartesten Fingers rosigen Blutes darüber verspritzte, nicht bezahlen konnte. Sagt mir augenblicklich, was Ihr für das Kleid verlangt; ich bezahle die Summe und dann gehen wir hin auf der Stelle und befreien das holde, süße Kind aus dem Gefängnis, in dem sie Eures Geizes halber schmachtet.
Bescapi Wie möget Ihr Euch doch nur solch tolles Zeug einbilden, Signor Giglio? Ich weiß kein Wort von einem Kleide, das mir Giacinta verdorben haben sollte, kein Wort vom Blutfleck, von ins Gefängnis stecken! Ich habe auch niemals ein solches Kleid bei Giacinta in Arbeit gegeben.
Giglio ist vor Verwirrtheit sprachlos und will von der Bühne. Plötzlich steht Celionati vor ihm.
Celionati Ei! Ihr seid doch in der Tat eine recht gute Seele, dass Ihr die Dukaten, die Euch die Gunst des Schicksals zugeworfen, hingeben wolltet für Euer Liebchen, das ja nicht mehr Euer Liebchen ist.
Giglio Ihr seid ein fürchterlicher graulicher Mensch! – Was dringt Ihr ein in mein Leben? was wollt Ihr Euch meines Seins bemächtigen? – Ihr prahlt mit einer Allwissenheit, die Euch vielleicht wenig Mühe kostet – Ihr umringt mich mit Spionen, die jeden meiner Schritte und Tritte belauern – Ihr hetzt alles wider mich auf – Euch verdank ich den Verlust Giacintens, meiner Stelle – mit tausend Künsten –
Celionati Das verlohnte sich der Mühe, die hochwichtige Person des Herrn Exschauspielers Giglio Fava dermaßen einzuhegen! – Doch, mein Sohn Giglio, du bedarfst in der Tat eines Vormundes, der dich auf den rechten Weg leitet, welcher zum Ziele führt –
Giglio Ich bin mündig, und bitte Euch, mein Herr Ciarlatano, mich getrost mir selbst zu überlassen.
Celionati Hoho, nur nicht so trotzig! Wie? wenn ich das Gute, Beste mit dir vorhätte, wenn ich dein höchstes Erdenglück wollte, wenn ich als Mittler stünde zwischen dir und der Prinzessin Brambilla?
Giglio O Giacinta, Giacinta, o ich Unglückseliger habe sie verloren! Gab es einen Tag, der mir schwärzeres Unheil brachte, als der gestrige?
Celionati Nun nun, so ganz unheilbringend war denn doch der Tag nicht. Schon die guten Lehren, die Ihr im Theater erhieltet, konnten Euch sehr heilsam sein. Ihr saht die herrlichste Darstellung, die schon darum die erste in der Welt zu nennen, weil sie das Tiefste ausspricht, ohne der Worte zu bedürfen; dann fandet Ihr die Dukaten in der Tasche, die Euch fehlten –
Giglio Von Euch, von Euch, ich weiß es.
Celionati Wenn das auch wirklich wäre, so ändert das in der Sache nichts; genug, Ihr erhieltet das Gold, stelltet Euch mit Euerm Magen wieder auf guten Fuß, traft glücklich in Bescapis Haus ein, wurdet mit einer Euch sehr nötigen und nützlichen Behandlung bedient und schlieft endlich mit Eurer Geliebten unter einem Dache!
Giglio Was sagt Ihr? mit meiner Geliebten? mit meiner Geliebten unter einem Dache?
Celionati Es ist dem so, schaut nur herauf!
Giglio schaut zum Vorhang, wo er Giacinta erblickt, und hinter ihr Beatrice.
Giglio Giacinta, meine Giacinta, mein süßes Leben!
Giacinta wirft ihm einen verächtlichen Blick herab und „verlässt den Balkon“, ebenso Beatrice.
Giglio Launen! doch das wird sich geben.
Celionati Schwerlich! denn, mein guter Giglio, Ihr wisst wohl nicht, dass zu derselben Zeit, als Ihr der Prinzessin Brambilla nachtrachtetet auf kühne Manier, sich ein hübscher stattlicher Prinz um Eure Donna bewarb und wie es scheint –
Giglio Alle Teufel der Hölle, der kleine Satan, die Beatrice, hat die Arme verkuppelt; aber mit Rattenpulver vergifte ich das heillose Weib, einen Dolch ins Herz stoß ich dem verfluchten Prinzen –
Celionati Unterlasst das alles, guter Giglio, geht fein ruhig nach Hause, und in Kürze sehen wir uns wieder.
Celionati setzt sich an einen freien Platz im Zuschauerraum. Giglio sieht ihm nach, dann dreht er sich zu Bescapi um.
Giglio Verdammter Kuppler!
Bescapi zuckt mit den Schultern und geht an die Seite. Giglio will von der Bühne, als er plötzlich Brambilla unter den Kaffeehausgästen entdeckt. Er setzt sich die Brille auf und erkennt, dass sie es wirklich ist. Er beginnt sie unter pathetischen Gebärden anzusprechen.
Giglio Die holdeste der Feen, die hehrste der Göttinnen wandelt auf der Erde; ein neidisches Wachs verbirgt die siegende Schönheit ihres Antlitzes, aber aus dem Glanz, von dem sie umflossen, schießen tausend Blitze und fahren in die Brust des Alters, der Jugend und alles huldigt der Himmlischen, aufgeflammt in Liebe und Entzücken.
Brambilla Aus welchem hochtrabenden Schauspiele habt Ihr diese schöne Redensart her, mein Herr Pantalon Capitano, oder wer Ihr sonst sein wollen möget?
Giglio Prinzessin –
Brambilla Ihr seid von Sinnen!
Sie wirft sich den Netzschleier über und wird für Giglio wieder unsichtbar.
Giglio Ja, ich bin von Sinnen!
Musik.
Giglio fängt an, wie verrückt zu tanzen und wiederholt dabei das „Ich bin von Sinnen“. Er steigert sich immer mehr in eine Empathie rein. Black.
Licht. Man sieht Giglio auf der Bühne wartend auf und ab gehen. Schließlich geht er suchend durch den Zuschauerraum und ruft wiederholt:
Giglio Prinzessin – Täubchen – Herzkind – ich finde dich doch, ich finde dich doch!
Inzwischen ist Brambilla auf der Bühne aufgetaucht. Sie tanzt begeistert mit einer imaginären Figur. Giglio entdeckt sie, nimmt die Haltung des imaginären Tänzers ein, tritt wieder hinaus, beobachtet versteinert und verwundert, tritt wieder hinein usw. Beim Mittanzen ist Giglio die Leidenschaft zu Brambilla anzusehen.
Schließlich ist Giglio wieder in der Beobachterposition. Celionati tritt zu ihm.
Celionati Das ist die Prinzessin Brambilla, welche mit ihrem Geliebten, dem assyrischen Prinzen, Cornelio Chiapperi, tanzt!
Inzwischen ist Brambilla von der Bühne abgegangen. Giglio geht wieder auf die Bühne und tanzt weiter, diesmal ist seine Tanzpartnerin imaginär.
Giglio Hoho, nur mein Ich ist schuld daran, dass ich meine Braut, die Prinzessin, nicht sehe; ich kann mein Ich nicht durchschauen und mein verdammtes Ich will mir zu Leibe mit gefährlicher Waffe, aber ich spiele und tanze es zu Tod und dann bin ich erst ich, und die Prinzessin ist mein!
Sein Tanz wird immer furioser, bis er hinfällt. Aus allen Ecken verschiedenes Gelächter der anderen Spieler. Sie applaudieren und rufen durcheinander: „Bravo, bravissimo, Signor Giglio!“
Giglio rafft sich auf und eilt schnell von der Bühne. Er sucht im Zuschauerraum nach einem Versteck, setzt sich da und dort hin, springt aber wieder auf usw.
Schließlich gelangt er an den Tisch, an dem D6 (Chiari) sitzt. Giglio will weiter, Chiari packt ihn an der Schulter und nötigt ihn, sich neben ihn zu setzen.
Musik aus.
Chiari Täuscht mich nicht Gang und Stellung, so seid Ihr es, mein werter Signor Giglio Fava?
Giglio Abbate Antonio Chiari!
Chiari Gut, dass ich Euch endlich treffe, Signor Giglio! Nun kann ich von Euch selbst alles erfahren, was man mir hin und wieder von Euerm Tun und Treiben zugebröckelt hat und das hinlänglich toll und albern ist. – Sagt, man hat Euch übel mitgespielt, nicht wahr? Der Esel von Impresario jagte Euch vom Theater weg, weil er die Begeisterung, in die Euch meine Trauerspiele setzten, für Wahnsinn hielt, weil Ihr nichts anders mehr sprechen wolltet, als meine Verse? – Es ist arg! – Ihr wisst es, der Unsinnige hat das Trauerspiel ganz aufgegeben und lässt nichts anders auf seiner Bühne darstellen, als die albernen Masken-Pantomimen, die mir in den Tod zuwider sind. – Keines meiner Trauerspiele mag daher der Einfältigste aller Impresarios mehr annehmen, unerachtet ich Euch, Signor Giglio, als ehrlicher Mann versichern darf, dass es mir in meinen meisten Arbeiten gelungen ist, den Zuschauern zu zeigen, was eigentlich ein Trauerspiel heißt. Was die anderen Tragiker betrifft, so versteht es sich von selbst, dass ihr schroffes, hartes Wesen völlig unästhetisch ist und für uns völlig unverdaulich bleibt. Von ihnen wird aber auch wohl nicht mehr die Rede sein, wenn meine Stücke das Publikum über die Stärke, die hinreißende Kraft des wahrhaft Tragischen, das durch den Ausdruck erzeugt wird, belehrt haben werden. – Es ist nur in dem Augenblick fatal, daß kein einziges Theater meine Stücke aufführen will, seitdem Euer vormaliger Impresario, der Bösewicht, umgesattelt hat. – Aber wartet nur, bald wird Euer Impresario auf die Nase fallen samt seinem Arlecchino und Pantalon und Brighella und wie die schnöden Ausgeburten eines niederträchtigen Wahnwitzes alle heißen mögen und dann –
Während Chiari weiterspricht, geht Giglio auf die Bühne und übt sich in pathetischen Gesten.
Chiari Fürwahr, Signor Giglio, Euer Abgang vom Theater hat mir einen Dolchstoß ins Herz gegeben; denn kein Schauspieler auf Erden hat es im Auffassen meiner ganz originellen unerhörten Gedanken so weit gebracht, als Ihr – Doch lasst uns fort aus diesem wüsten Gedränge, das mich betäubt! Kommt mit mir in meine Wohnung! Dort les ich Euch mein neuestes Trauerspiel vor, das Euch in das größte Erstaunen setzen wird, das Ihr jemals empfunden. – Ich hab es Il moro bianco betitelt. Stoßt Euch nicht an die Seltsamkeit des Namens! Er entspricht dem Außerordentlichen, dem Unerhörten des Stücks ganz und gar.
Giglio Ist in dem moro bianco auch eine recht schöne dankbare Rolle enthalten, die ich spielen könnte?
Chiari Hab ich jemals in irgendeinem Trauerspiel andere Rollen gedichtet, als dankbare? – Es ist ein Unglück, dass meine Stücke nicht bis auf die kleinste Rolle von lauter Meistern dargestellt werden können. In dem moro bianco kommt ein Sklave vor, und zwar erst bei dem Beginn der Katastrophe, der die Verse spricht:
‚Ah! giorno di dolori! crudel inganno!
Ah signore infelice, la tua morte
mi fa piangere e subito partire!‘ –
Giglio spricht unter pathetischen Gesten die Worte lautlos mit.
Chiari — dann aber wirklich schnell abgeht und nicht wieder erscheint. Die Rolle ist von geringerm Umfang, ich gestehe es; aber Ihr könnt es mir glauben, Signor Giglio, beinahe ein Menschenalter gehört für den besten Schauspieler dazu, jene Verse in dem Geist vorzutragen, wie ich sie empfangen, wie ich sie gedichtet, wie sie das Publikum bezaubern, hinreißen müssen zum wahnsinnigen Entzücken.
Chiari geht auf die Bühne und lässt Giglio auf dem Stuhl Platz nehmen. Dann holt er ein imaginäres ziemlich dickleibiges Manuskript hervor, blättert umständlich darin und beginnt sehr feierlich: „II moro bianco, tragedia –.“
Mit dem Wort tragedia macht Giglio eine Geste des Tonabstellens. Chiari redet nun lautlos weiter, während Giglio gelangweilt zuhört und dann zum Publikum spricht.
Giglio Die erste Szene begann mit einem langen Monolog irgendeiner wichtigen Person des Stücks, die erst über das Wetter, über die zu hoffende Ergiebigkeit der bevorstehenden Weinlese sprach, dann aber Betrachtungen über das Unzulässige eines Brudermords anstellte. Ich wusste selbst nicht, wie es kam, dass mir des Abbate Verse, die ich sonst für hochherrlich gehalten, heute so läppisch, so albern, so langweilig vorkamen. Ja! – unerachtet der Abbate alles mit der dröhnenden gewaltigen Stimme des übertriebensten Pathos vortrug, so dass die Wände erbebten, so geriet ich doch in einen träumerischen Zustand, in dem mir alles seltsam zu Sinn kam, was mir seit dem Tage begegnet, als der Palast Pistoja den abenteuerlichsten aller Maskenzüge in sich aufnahm. Sich ganz diesen Gedanken überlassend drückte ich mich tief in die Lehne des Sessels, schlug die Arme übereinander und ließ den Kopf tiefer und tiefer sinken auf die Brust.
Er tut letzteres und nickt beinahe ein. Chiari schlägt ihn mit dem imaginären Manuskript. Giglio wacht auf.
Chiari Was? – ich glaube gar. Ihr schlaft? – Ihr wollt meinen moro bianco nicht hören? – Ha, nun verstehe ich alles. Euer Impresario hatte recht, Euch fortzujagen; denn Ihr seid ein miserabler Bursche worden ohne Sinn und Verstand für das Höchste der Poesie. – Wisst Ihr, dass nun Euer Schicksal entschieden ist, dass Ihr niemals mehr Euch erheben könnt aus dem Schlamm, in den Ihr versunken? – Ihr seid über meinem moro bianco eingeschlafen; das ist ein nie zu sühnendes Verbrechen, eine Sünde wider den heiligen Geist. Schert Euch zum Teufel!
Giglio Es gehört ein starkes festes Gemüt dazu, Eure Trauerspiele aufzufassen, was mich aber betrifft, ist mein ganzes Inneres zermalmt und zerknirscht von den zum Teil seltsamen spukhaften, zum Teil unglückseligen Begebenheiten, in die ich seit den letzten Tagen verwickelt. Glaubt es mir, Signor Abbate, ein geheimnisvolles Verhängnis hat mich erfasst. Ich gleiche einer zerschlagenen Zither, die keinen Wohllaut in sich aufzunehmen, keinen Wohllaut aus sich heraus ertönen zu lassen vermag. Wähntet Ihr, dass ich während Eurer herrlichen Verse eingeschlafen, so ist so viel gewiss, dass eine krankhafte, unbezwingliche Schlaftrunkenheit dermaßen mich übernahm, dass selbst die kräftigsten Reden Eures unübertrefflichen weißen Mohren mir matt und langweilig vorkamen.
Chiari Seid Ihr rasend?
Giglio Geratet doch nur nicht in solchen Zorn! Ich ehre Euch ja als den höchsten Meister, dem ich meine ganze Kunst zu verdanken und suche bei Euch Rat und Hülfe. Erlaubt, dass ich Euch alles erzähle, wie es sich mit mir begeben, und steht mir bei in höchster Not! Schafft, dass ich mich in den Sonnenglanz des Ruhms, in dem Euer weißer Mohr aufstrahlen wird, stelle und von dem bösesten aller Fieber genese!
Musik.
Chiari setzt sich und blättert zerstreut in seinem Manuskript, während Giglio lautlos erzählt.
Musik aus.
Chiari Aus allem, was du mir erzählt, mein Sohn Giglio, entnehme ich mit Recht, daß du völlig unschuldig bist. Ich verzeihe dir, und damit du gewahrest, dass meine Großmut, meine Herzensgüte grenzenlos ist, so werde dir durch mich das höchste Glück, das dir auf deiner irdischen Laufbahn begegnen kann! – Nimm hin die Rolle des moro bianco und die glühendste Sehnsucht deines Innern nach dem Höchsten werde gestillt, wenn du ihn spielest! – Doch, o mein Sohn Giglio, du liegst in den Schlingen des Teufels. Eine höllische Kabale gegen das Höchste der Dichtkunst, gegen meine Trauerspiele, gegen mich, will dich nützen als tötendes Werkzeug. – Hast du nie sprechen gehört von dem alten Fürsten Bastianello di Pistoja, der in jenem alten Palast, wo die maskierten Hasenfüße hineingezogen, hauste und der, schon mehrere Jahre sind es her, aus Lipsia spurlos verschwand? – Nun, dieser alte Fürst Bastianello war ein gar närrischer Kauz und auf alberne Art seltsam in allem, was er sprach und begann. So behauptete er aus dem Königsstamm eines fernen unbekannten Landes entsprossen und drei- bis vierhundert Jahre alt zu sein, unerachtet ich den Priester selbst kannte, der ihn hier in Lipsia getauft. – Was soll ich Euch indessen mit dem verrückten Unsinn des Fürsten langweilen und nicht lieber gleich das sagen, was ihn als den gefährlichsten Menschen darstellt? Könnt Ihr es Euch wohl denken, dass der verwünschte Alte es darauf abgesehen hatte, allen guten Geschmack in der Literatur und Kunst zu untergraben? – Könnt Ihr es Euch denken, dass er, was vorzüglich das Theater betrifft, die Masken in Schutz nahm und nur das alte Trauerspiel gelten lassen wollte, dann aber von einer Gattung des Trauerspiels sprach, die nur ein verbranntes Gehirn ausbrüten kann? Eigentlich hab ich niemals recht verstanden, was er wollte; aber es kam beinahe so heraus, als behaupte er, dass die höchste Tragik durch eine besondere Art des Spaßes hervorgebracht werden müsse. Und – nein es ist unglaublich, es ist beinahe unmöglich zu sagen – meine Trauerspiele – – versteht Ihr wohl? – meine Trauerspiele, meinte er, wären ungemein spaßhaft, wiewohl auf andere Weise, indem das tragische Pathos sich darin unwillkürlich selbst parodiere. – Was vermögen alberne Gedanken und Meinungen? Hätte der Fürst sich nur damit begnügt; aber in Tat – in grause Tat ging sein Hass über gegen mich und meine Trauerspiele! – Noch ehe Ihr nach Lipsia gekommen, geschah mir das Entsetzliche. – Das herrlichste meiner Trauerspiele – ich nehme den moro bianco aus – Lo spettro fraterno vendicato, wurde gegeben. Die Schauspieler übertrafen sich selbst; nie hatten sie so den innern Sinn meiner Worte aufgefasst, nie waren sie in Bewegung und Stellung so wahrhaft tragisch gewesen – Lasst es Euch bei dieser Gelegenheit sagen, Signor Giglio, dass, was Eure Gebärden, vorzüglich aber Eure Stellungen betrifft, Ihr noch etwas zurück seid. Signor Zechielli, mein damaliger Tragiker, vermochte mit voneinandergespreizten Beinen, Füße in den Boden gewurzelt feststehend, Arme in die Lüfte erhoben, den Leib so nach und nach herumzudrehen, dass er mit dem Gesicht über den Rücken hinwegschaute und so in Gebärde und Mienenspiel den Zuschauern ein doppelt wirkender Janus erschien. – So was ist vielfältig von der frappantesten Wirkung, muss aber jedesmal angebracht werden, wenn ich vorschreibe: Er beginnt zu verzweifeln! – Schreibt Euch das hinter die Ohren, mein guter Sohn, und gebt Euch Mühe zu verzweifeln, wie Signor Zechielli! Nun! ich komme auf mein spettro fraterno zurück. – Die Vorstellung war die vortrefflichste, die ich jemals sah, und doch brach das Publikum bei jeder Rede meines Helden aus in ein unmäßiges Gelächter. Da ich den Fürsten Pistoja in der Loge erblickte, der dieses Lachen jedesmal intonierte, so hatte es gar keinen Zweifel, dass er es allein war, der, Gott weiß durch welche höllische Ränke und Schwänke, mir diesen fürchterlichen Tort über den Hals zog. Wie froh war ich, als der Fürst aus Lipsia verschwunden! Aber sein Geist lebt fort in dem alten verfluchten Ciarlatano, in dem verrückten Celionati, der, wiewohl vergeblich, schon auf Marionettentheatern meine Trauerspiele lächerlich zu machen versucht hat. Es ist nur zu gewiss, dass auch Fürst Bastianello wieder in Lipsia spukt, denn darauf deutet die tolle Maskerade, die in seinen Palast gezogen. – Euch stellt Celionati nach, um mir zu schaden. Schon gelang es ihm, Euch von den Brettern zu bringen und das Trauerspiel Eures Impresario zu zerstören. Nun sollt Ihr der Kunst ganz und gar abwendig gemacht werden, dadurch, dass man Euch allerlei tolles Zeug, Fantasmata von Prinzessinnen, grotesken Gespenstern und dergleichen in den Kopf setzt. Folgt meinem Rat, Signor Giglio, bleibt fein zu Hause, trinkt mehr Wasser als Wein und studiert mit dem sorglichsten Fleiß meinen moro bianco, den ich Euch mitgeben will! Nur in dem moro bianco ist Trost, ist Ruhe und dann Glück, Ehre und Ruhm für Euch zu suchen und zu finden. – Gehabt Euch wohl, Signor Giglio!
Chiari drückt Giglio das Manuskript in die Hand, verlässt die Bühne und verwandelt sich wieder in den Wirt.
Giglio nimmt an einem der Kaffeehaustische Platz und beginnt, in dem Manuskript zu blättern. Er kann sich aber nicht konzentrieren, sein Blick schweift immer wieder zur Bühne, wo nun Giacinta wieder genauso da sitzt wie in der ersten Szene und an dem Kleid näht. Schließlich legt er das Manuskript weg und steht auf.
Giglio Nein, ich ertrag es nicht länger, ich muss hin zu ihr, zu der Holden. Ich weiß es, sie liebt mich noch, sie muss mich lieben, und aller Launen zum Trotz wird sie es mir nicht verhehlen können, wenn sie mich wiedersieht. Dann werd ich wohl das Fieber los, das der verwünschte Kerl, der Celionati, mir an den Hals gehext, und aus dem tollen Wirrwarr aller Träume und Einbildungen erstehe ich neugeboren, als moro bianco, wie der Phönix aus der Asche! – Gesegneter Abbate Chiari, du hast mich auf den rechten Weg zurückgeleitet.
Während Giglio Richtung Bühne geht, entfernt sich Giacinta wieder. Giglio, auf der Bühne angelangt, bekommt plötzlich einen Anfall von tragischem Pathos.
Giglio Wie?
(rief er, indem er, den rechten Fuß weit vorschleudernd, mit dem Oberleib zurückfuhr und beide Arme vorstreckte, die Finger voneinanderspreizte, wie ein Gespenst abwehrend.)
Giglio Wie? – wenn sie mich nicht mehr liebte? wenn sie, verlockt von den zauberischen Truggestalten des Orkus vornehmer Welt, berauscht von dem Lethetrank des Vergessens im Aufhören des Gedankens an mich, mich wirklich vergessen? – Wenn ein Nebenbuhler – Entsetzlicher Gedanke, den der schwarze Tartarus gebar aus todesschwangren Klüften! – Ha Verzweiflung – Mord und Tod! – Her mit dir, du lieblicher Freund, der in blutigen Rosengluten alle Schmach sühnend, Ruhe gibt und Trost – und Rache.
Mit den letzten Worten zieht er einen imaginären Dolch, will sich erstechen, steckt ihn aber stattdessen in die Tasche.
Bescapi, der Giglio von seinem Platz im Publikum (oder Bar?) verwundert beobachtet hat, tritt auf die Bühne.
Giglio Wo ist Giacinta?
Bescapi Ich weiß es nicht.
Giglio Aber sie hat hier in Eurem Haus gewohnt.
Bescapi Waas?
Giglio Ich hab sie ja vor wenigen Tagen auf dem Balkon gesehen –
Bescapi Wie ist Euch die neuerliche Behandlung bekommen?
Musik.
Giglio rennt panisch von der Bühne, dreht eine Runde im Publikum und sieht, wie Beatrice von ihrem Platz im Zuschauerraum Richtung Bühne geht. Er folgt ihr.
Giglio Ha, du sollst mein Leitstern sein, dir will ich folgen!
Als Beatrice vor der Bühne ist, dreht sie sich plötzlich um und sieht Giglio. Giacinta hat wieder die Position von vorhin auf der Bühne eingenommen, Bescapi ist wieder an seinem Platz im Publikum.
Musik aus.
Beatrice Ha! mein süßer Herr Taugenichts, lasst Ihr Euch endlich wieder einmal blicken? – Nun, Ihr seid mir ein schöner treuer Liebhaber, der sich herumtreibt an allen Ecken und Orten, wo er nicht hingehört, und sein Mädchen vergisst! – Nun, möget Ihr zusehen, ob Giacintchen noch einige Ohrfeigen für Euch aufbewahrt hat, die Euch den wackligen Kopf zurechtsetzen.
Giglio Warum fopptet Ihr mich mit der alberne Lüge, dass Giacinta im Gefängnis sitze?
Beatrice Davon weiß ich nichts, das habt Ihr Euch alles nur eingebildet, nie hat Giacinta die Stübchen in Signor Bescapis Hause verlassen.
Giglio Es ist nur zu gewiss, entweder liege ich jetzt im Traum, oder ich habe die ganze Zeit über den verwirrtesten Traum geträumt –
Sie betreten die Bühne.
Giacinta Ei, Signor Giglio, wo kommt Ihr auf einmal wieder her? Ich glaubte. Ihr hättet Lipsia längst verlassen?
Giglio wirft sich auf die Knie und ergreift mit einem tragischen: „Meine Giacinta, mein süßes Leben!“ ihre Hände. Plötzlich fühlt er einen tiefen Nadelstich seinen Finger durchbohren, so dass er vor Schmerz in die Höhe fährt und ausruft: „Teufel! Teufel!“ Giacinta lacht.
Giacinta Seht, lieber Signor Giglio, das war etwas für Euer unartiges, ungestümes Betragen. Sonst ist es recht hübsch von Euch, dass Ihr mich besucht; denn bald werdet Ihr mich vielleicht nicht so ohne alle Zeremonie sehen können. Ich erlaube Euch bei mir zu verweilen. Setzt Euch dort auf den Stuhl mir gegenüber und erzählt mir, wie es Euch so lange gegangen, was Ihr für neue schöne Rollen spielt und dergleichen! Ihr wisst, ich höre das gern und wenn Ihr nicht in Euer verdammtes weinerliches Pathos, das Euch der Signor Abbate Chiari angehext hat, verfallt, so hört es sich Euch ganz leidlich zu.
Giglio versucht sich umständlich auf einen imaginären Stuhl zu setzen, bleibt aber am Ende stehen.
Giglio Meine Giacinta, lass uns alle Qual der Trennung vergessen! – Sie sind wiedergekommen, die süßen seligen Stunden des Glücks, der Liebe –
Giacinta Ich weiß nicht, was Ihr für albernes Zeug schwatzt. Ihr sprecht von Qual der Trennung und ich kann Euch versichern, dass ich meinesteils, glaubt ich nämlich in der Tat, dass Ihr Euch von mir trenntet, gar nichts und am wenigsten einige Qual dabei empfunden. Nennt Ihr selige Stunden die, in denen Ihr Euch bemühtet mich zu langweilen, so glaube ich nicht, dass sie jemals wiederkehren werden. Doch im Vertrauen, Signor Giglio, Ihr habt manches, was mir gefällt. Ihr seid mir manchmal gar nicht unlieb gewesen und so will ich Euch gern verstatten, daß Ihr mich künftig, soviel es geschehen darf, sehet, wiewohl die Verhältnisse, die jede Zutraulichkeit hemmend, Entfernung zwischen uns gebieten, Euch einigen Zwang auflegen werden.
Giglio Giacinta! welche sonderbare Reden!
Giacinta Nichts Sonderbares ist hier im Spiel. Setzt Euch nur ruhig hin, guter Giglio! es ist ja doch vielleicht das letzte Mal, dass wir so traulich miteinander sind – Aber auf meine Gnade könnt Ihr immer rechnen; denn, wie gesagt, ich werde Euch nie das Wohlwollen, das ich für Euch gehegt, entziehen.
Beatrice Giacintchen, soll unser kleines Mahl den Gast recht ehren, so ist mir noch etwas Geld vonnöten.
Giacinta Nimm, Beatrice, so viel du bedarfst.
Sie überreicht ihr einen kleinen Beutel, der genauso aussieht, wie der, den Giglio gefunden hatte. Giglio erstarrt, reißt ihn Beatrice aus der Hand und ihn sich dicht vor die Augen.
Giglio Ist es ein Blendwerk der Hölle?
Ganz erschöpft sinkt er in den Stuhl, als er auf dem Beutel die Inschrift liest: „Gedenke deines Traumbildes!„ Beatrice nimmt ihm den Beutel weg.
Beatrice Hoho, Signor Habenichts! Euch setzt wohl solch schöner Anblick ganz in Erstaunen und Verwunderung? – Hört doch die liebliche Musik und ergötzt Euch dran!
Damit schüttelt sie den Beutel, dass das Gold darin erklingt, und verlässt die Bühne. Giacinta setzt wieder an zu nähen. Während des folgenden Gesprächs deckt Beatrice einen der Kaffeehaustische mit imaginären Tellern, Gläsern usw.
Giglio Giacinta, Giacinta! welch grässliches entsetzliches Geheimnis – Sprecht es aus! – sprecht aus meinen Tod!
Giacinta Ihr seid und bleibt der alte. Euch ist es so geläufig geworden über alles in Ekstase zu geraten, dass Ihr umherwandelt, ein stetes langweiliges Trauerspiel mit noch langweiligerem Oh, Ach und Weh! – Es ist hier gar nicht die Rede von grässlichen, entsetzlichen Dingen; ist es Euch aber möglich, artig zu sein und Euch nicht zu gebärden, wie ein halbverrückter Mensch, so möcht ich wohl mancherlei erzählen.
Giglio Sprecht, gebt mir den Tod!
Giacinta Nun, es mag mir ganz so gehen, wie dir. Auch ich habe allerlei hübsche Träume gehabt. Erschrick nicht, mein guter Giglio! aber sehr leicht ist es möglich, dass ich bald dies dürftige Kleid mit einem Purpurmantel, diesen kleinen Schemel mit einem Thron vertausche –
Giglio Himmel und Hölle! Tod und Verderben! So ist es wahr, was jener heuchlerische Bösewicht mir ins Ohr raunte? – Ha! öffne dich, flammenspeiender Abgrund des Orkus! Steigt herauf, schwarzgefiederte Geister des Acheron! – Genug!
Was Giglio sagt, wirkt wie die Replik eines Trauerspiels, was Giacinta zeigt, indem sie den Text leise mitspricht. Zuletzt zieht er den imaginären Dolch, stößt ihn sich in die Brust, sinkt hin, steht wieder auf, klopft sich den Staub ab und wischt sich den Schweiß von der Stirne.
Giglio Nicht wahr, Giacinta, das bewährt den Meister?
Giacinta Allerdings, allerdings. Du hast vortrefflich tragiert, guter Giglio; aber nun wollen wir uns zu Tische setzen.
Beatrice macht eine einladende Gaste zum gedeckten Tisch hin oder schiebt zwei Stühle zurück.
Giglio Ha, der Gast – der Prinz – Wie ist mir? Gott! – ich habe ja nicht Komödie gespielt, ich bin ja wirklich in Verzweiflung geraten – ja in helle tolle Verzweiflung hast du mich gestürzt, treulose Verräterin, Schlange, Basilisk – Krokodil! Aber Rache – Rache!
Er zieht den imaginären Dolch und schwingt ihn in der Luft. Giacinta schlüpft in das Kleid, steht auf und nimmt Giglio beim Arm.
Giacinta Sei kein Hase, guter Giglio! gib dein Mordinstrument der lieben Beatrice und setze dich mit mir zu Tisch; denn am Ende bist du der einzige Gast, den ich erwartet habe.
Giglio lässt sich zum Tisch führen. Sie setzen sich. Giglio isst mit großem Appetit. Giacinta redet inzwischen lautlos auf Giglio ein. Beatrice steht wie eine Dienerin am Tisch und spricht währenddessen ins Publikum.
Beatrice Giacinta fuhr fort ganz ruhig und gemütlich von dem ihr bevorstehenden Glück zu erzählen, und versicherte dem Giglio ein Mal über das andere, dass sie durchaus nicht in übermäßigen Stolz verfallen und Giglios Gesicht ganz und gar vergessen, vielmehr, solle er sich ihr von ferne zeigen, sich ganz gewiss seiner erinnern und ihm manchen Dukaten zufließen lassen werde, so dass es ihm nie an irgendetwas mangeln dürfe. Giglio, dem, als er einige Gläser Wein getrunken, die ganze wunderbare Fabel von der Prinzessin Brambilla wieder in den Kopf gekommen, versicherte dagegen freundlich, dass er Giacintas gute herzliche Gesinnungen hoch zu schätzen wisse; was aber den Stolz und die Dukaten betreffe, so werde er von beiden keinen Gebrauch machen können, da er, Giglio, selbst im Begriff stehe, mit beiden Füßen hineinzuspringen ins Prinzentum. Er erzählte nun, wie ihn bereits die vornehmste und reichste Prinzessin der Welt zu ihrem Ritter erkoren, und, dass er hoffe, noch bei dem Schluss dieses Capriccios als der Gemahl seiner fürstlichen Dame, dem armseligen Leben, das er bis jetzt geführt, auf immer Valet sagen zu können. Giacinta schien über Giglios Glück höchlich erfreut und beide schwatzten nun ganz vergnüglich von der künftigen schönen Zeit der Freude und des Reichtumes.
Giglio Ich möchte nur, dass die Reiche, die wir künftig beherrschen werden, fein aneinandergrenzten, damit wir gute Nachbarschaft halten könnten; aber, irr ich nicht, so liegt das Fürstentum meiner angebeteten Prinzessin über Indien weg, gleich linker Hand um die Erde nach Persien zu.
Giacinta Das ist schlimm, auch ich werde wohl weit fort müssen; denn das Reich meines fürstlichen Gemahls soll dicht bei Bergamo liegen. Doch wird sich das wohl machen lassen, dass wir künftig Nachbarn werden und bleiben –
Beatrice Beide, Giacinta und Giglio, kamen dahin überein, dass ihre künftigen Reiche durchaus in die Gegend von Lipsia verlegt werden müssten.
Giglio Gute Nacht, teure Prinzessin!
Giacinta Wohl zu ruhen, teurer Prinz!
Sie stehen auf, verabschieden sich und gehen auseinander.
Beatrice Und so schieden sie, als der Abend einbrach, friedlich und freundlich auseinander.
Black.
Licht. Giglio steht auf der Bühne. Er setzt die Brille auf und späht ins Publikum. Schließlich reißt er sich die Brille runter und wirft sie weg.
Giglio Fort – fort mit allem tollen Zeuge, fort mit dem wahnsinnigen Celionati! – Was hält mich denn ab, mich sauber anzuputzen, gerade hineinzutreten in den Palast Pistoja, mich der Durchlauchtigsten zu Füßen zu werfen?
Musik.
Er beginnt eine Art Steptanzparodie zu vollführen, wie ein Musical-Darsteller wirkend, und ruft dabei immer mal „Brambilla!“
Plötzlich hält er abrupt inne und schaut an sich herunter, nimmt die Schäbigkeit seines Kostüms wahr. er betastet es und findet den Geldbeutel wieder prall gefüllt.
Giglio Göttliche Brambilla, ja ich gedenke deiner, ich gedenke des holden Traumbildes!
Giglio winkt Bescapi mit dem Geldbeutel zu. Während Bescapi auf dem Weg zur Bühne ist, zieht Giglio sein Kostüm aus. Bescapi betritt die Bühne, Giglio wirft ihm das Kostüm zu, das Bescapi der Beatrice zuwirft. Bescapi nimmt Maß mit einem imaginären Maßband, winkt Beatrice heran, die dasselbe Kostüm wiederbringt. Giglio zieht es an, merkt dann erst, dass es genau dasselbe ist. Giglio regt sich gestenreich darüber auf.
Musik aus.
Bescapi Ach Gott! was ist denn das wieder? Mein bester Signor, ich glaube doch nicht, dass wieder gewisse Anfälle –
Giglio Wollt Ihr mir, Meister Schneider, einen Anzug verkaufen, wie ich ihn wünsche, so ist’s gut; wo nicht, so lasst es bleiben.
Bescapi Nun, nun, werdet nur nicht böse, Signor Giglio! – Ach, Ihr wisst nicht, wie gut ich es mit Euch meine, ach hättet Ihr nur ein wenig, ein ganz wenig Verstand!
Giglio Was untersteht Ihr Euch, Meister Schneider?
Bescapi Ihr rennt in Euer Verderben, Signor Giglio, und mir tut es leid, dass ich Euch nicht alles wiedersagen kann, was der weise Celionati mir über Euch und Euer bevorstehendes Schicksal erzählt hat.
Giglio Hoho, der weise Signor Celionati, der saubre Herr Marktschreier, der mich verfolgt auf alle mögliche Weise, der mich um mein schönstes Glück betrügen will, weil er mein Talent, mich selbst hasst, weil er sich auflehnt gegen den Ernst höherer Naturen, weil er alles in die alberne Mummerei des hirnlosen Spaßes hineinfoppen möchte! – O mein guter Meister Bescapi, ich weiß alles, der würdige Abbate Chiari hat mir alle Hinterlist entdeckt. Der Abbate ist der herrlichste Mensch, die poetischste Natur die man finden kann; denn für mich hat er den weißen Mohren geschaffen und niemand auf der ganzen weiten Erde, sag ich, kann den weißen Mohren spielen, als ich.
Bescapi Was sagt Ihr? hat der würdige Abbate, den der Himmel recht bald abrufen möge zur Versammlung höherer Naturen, hat er mit seinem Tränenwasser, das er so reichlich ausströmen lässt, einen Mohren weiß gewaschen?
Giglio Ich frage Euch noch einmal, Meister Bescapi, ob Ihr mir für meine vollwichtigen Dukaten einen Anzug, wie ich ihn wünsche, verkaufen wollt, oder nicht?
Bescapi Mit Vergnügen, mit Vergnügen, mein bester Signor Giglio!
Musik.
Giglio zieht sein Kostüm aus und wirft Bescapi das Kostüm zu, das Bescapi der Beatrice zuwirft. Bescapi hält Giglio die Augen zu, winkt Beatrice heran, die dasselbe Kostüm wiederbringt. Giglio öffnet die Augen, ist begeistert, zieht das Kostüm an, betrachtet sich im „Spiegel“, ist zufrieden, nimmt den Beutel und will Geld herausnehmen, wartet aber auf die Nennung des Preises.
Musik aus.
Bescapi Ich kann den Anzug durchaus nicht fortgeben, da derselbe schon für einen fremden Prinzen bestimmt und zwar für den Prinzen Cornelio Chiapperi.
Giglio Wie? – was sagt Ihr? – so ist das Kleid für mich gemacht und keinen andern. Glücklicher Bescapi! – Eben der Prinz Cornelio Chiapperi ist es, der vor Euch steht und bei Euch sein innerstes Wesen, sein Ich vorgefunden!
Giglio will Geld aus dem Beutel nehmen, Bescapi winkt ab.
Bescapi Behaltet Euer Geld, mein hochverehrtester Prinz! – Ihr werdet Eile haben. Euer untertänigster Diener wird schon zu seinem Gelde kommen; vielleicht berichtigt der weiße Mohr die kleine Auslage! – Gott beschütze Euch mein vortrefflicher Fürst!
Giglio wirft Bescapi, der unter Bücklingen die Bühne verlässt, einen stolzen Blick zu, steckt den Beutel ein und probiert anmutige Gesten vor dem Spiegel aus.
Giglio Ich bin total unwiderstehlich!
Plötzlich betrachtet Giglio den Spiegel genauer. Er untersucht ihn, greift hinein, seine Hand geht durch das „Glas“. Er steigt daraufhin durch den Rahmen.
Black. Giglio geht durch den Raum, geleitet von kleinen Lichtern, die die im Raum verteilten anderen Spieler nacheinander aufleuchten lassen. Während des Weges flüstern die anderen Spieler Repliken ihres bisherigen Textes durcheinander.
Am Ende steht er wieder auf der Bühne. Er schaut zum Spiegel und erschrickt vor sich selber. D5 hält einen echten Spiegel an den Spiegelrahmen. Die Stimmen flüstern süßlich dazu: „O Signor Giglio, wie seid Ihr doch so hübsch, so wunderschön!“
Giglio wirft sich vor dem Spiegel in die Brust, erhebt das Haupt, stemmt den linken Arm in die Seite, und ruft, indem er die Rechte erhebt, pathetisch:
Giglio Mut, Giglio, Mut! dein Glück ist dir gewiss, eile es zu erfassen!
Das Licht, das den Spiegel beleuchtet hat, irrt nun umher, so dass Giglio von einem Punkt zum anderen geht, bis das Licht auf dem Vorhang zeigt. Giglio öffnet den Vorhang. Dahinter ist der Netzschleier.
Die anderen Spieler machen Geräusche: Vögel, Tiere usw., erst leise und vereinzelt, dann immer lauter und durcheinander.
Giglio Um tausend Gotteswillen! was ist denn das? Hört doch nur endlich auf mit dem tollen verrückten Zeuge! Seid doch vernünftig, sagt mir doch nur, wo ich die durchlauchtige Prinzessin finde, die hochherrliche Brambilla! Ich bin Giglio Fava, der berühmteste Schauspieler auf der Erde, den die Prinzessin Brambilla liebt und zu hohen Ehren bringen wird – So hört mich doch nur!
Die Geräusche weichen einem Gelächter aus allen Ecken des Raumes. Giglio hält sich die Ohren zu und stolpert Richtung Vorhang. Der Netzschleier löst sich und fällt auf ihn drauf. Giglio kämpft mit dem Netzschleier, versucht sich zu befreien, verwickelt sich immer mehr. Man sieht Brambilla auf dem „Balkon“ stehen. Sie schließt den Vorhang von hinten. Giglio liegt vor dem Vorhang, auf den ein riesiger Käfig (von Celionati aus im Publikum) projieziert wird. Es muss so aussehen, als sei Giglio in dem Käfig gefangen. Endlich kommt er aus dem Netz frei und erkennt, dass er im Käfig sitzt.
Giglio Ist das das geträumte Glück? Verhält es sich so mit dem zarten wunderbaren Geheimnis, das in dem Palast Pistoja verschlossen? – Wo ist Brambilla? – nein, es ist nicht hier, das holde Bild meines sehnsüchtigen Verlangens, meiner Liebesinbrunst! – O Brambilla! – Brambilla! – Und in diesem schnöden Käfig muss ich elendiglich verschmachten und werde nimmermehr den weißen Mohren spielen! – Oh! Oh! – Oh!
Celionati Wer lamentiert denn da so gewaltig?
Giglio Celionati, teurer Signor Celionati, seid Ihr es, den ich dort im Mondschein erblicke? – Ich sitze hier im Bauer, in einem trostlosen Zustande. – Sie haben mich hier eingesperrt, wie einen Vogel! – O Gott! Signor Celionati, Ihr seid ein tugendhafter Mann, der den Nächsten nicht verlässt; Euch stehen wunderbare Kräfte zu Gebote, helft mir, ach helft mir aus meiner verfluchten peinlichen Lage! – O Freiheit, goldne Freiheit, wer schätzt dich mehr, als der, der im Käfig sitzt, sind seine Stäbe auch von Gold?
Celionati lacht laut auf.
Celionati Seht, Giglio, das habt Ihr alles Eurer verfluchten Narrheit, Euern tollen Einbildungen zu verdanken! – Wer heißt Euch in abgeschmackter Mummerei den Palast Pistoja betreten?
Giglio Wie? den schönsten aller Anzüge, den einzigen, in dem ich mich vor der angebeteten Prinzessin würdig zeigen konnte, den nennt Ihr abgeschmackte Mummerei?
Celionati Eben Euer schöner Anzug ist schuld daran, dass man Euch so behandelt hat.
Giglio Aber bin ich denn ein Vogel?
Celionati Allerdings hat man Euch für einen Vogel gehalten und zwar für einen Gelbschnabel!
Giglio O Gott! ich, der Giglio Fava, der berühmte tragische Held, der weiße Mohr! – ich ein Gelbschnabel!
Celionati Nun, Signor Giglio, fasst nur Geduld, schlaft, wenn Ihr könnt, recht sanft und ruhig! Wer weiß, was der kommende Tag Euch Gutes bringt!
Giglio Habt Barmherzigkeit! habt Barmherzigkeit, Signor Celionati, befreit mich aus diesem verfluchten Käfig! Nimmermehr betret ich wieder den verwünschten Palast Pistoja.
Celionati Eigentlich habt Ihr es gar nicht um mich verdient, dass ich mich Eurer annehme, da Ihr alle meine guten Lehren verschmäht und Euch meinem Todfeinde, dem Abbate Chiari, in die Arme werfen wollt, der Euch, Ihr möget es nur wissen, durch schnöde Afterverse, die voll Lug und Trug sind, in dies Unglück gestürzt hat. Doch – Ihr seid eigentlich ein gutes Kind und ich bin ein ehrlicher weichmütiger Narr, das hab ich schon oft bewiesen; darum will ich Euch retten. Ich hoffe dagegen, dass Ihr mir morgen eine neue Brille abkaufen werdet.
Giglio Alles kaufe ich Euch ab, was Ihr wollt; nur Freiheit, Freiheit schafft mir!
Celionati wackelt mit der Lampe, so dass das Schattenbild wankt. Gleichzeitig zieht die Brambilla-Spielerin das Netz hinter den Vorhang. Die Geräusche sind wieder zu hören, diesmal sofort laut und durcheinander.
Celionati Alle Geister! man merkt Eure Flucht, Giglio, macht, dass Ihr fortkommt!
Giglio läuft halb rutschend auf der Stelle, fällt hin, dann Schatten und Geräusche aus. Black, dann Licht. Giglio allein auf der Bühne.
Musik.
Brambilla schreitet langsam auf die Bühne zu. Giglio steht auf, sie tanzen zusammen, dabei sinken sie einander in die Arme. Giglio schließt vor Wonne die Augen, daraufhin Black und Giglios Seufzer „Brambilla!“.
Licht. Brambillas Position hat nun Celionati eingenommen. Giglio öffnet die Augen und erschrickt.
Musik aus.
Celionati Ich weiß nicht, mein bester Prinz, wie Ihr dazu kommt, Euch auf solch grobe Weise täuschen zu lassen, da Ihr doch sonst ein gescheiter vernünftiger Herr seid. Gut nur, dass ich gerade hier stand und Euch in meinen Armen auffing, als die lose Dirne gerade im Begriff stand, Euch, Euern Schwindel benutzend, zu entführen.
Giglio Ich danke Euch recht sehr für Euren guten Willen, bester Signor Celionati; aber was Ihr da sprecht von grober Täuschung, verstehe ich ganz und gar nicht und es tut mir nur leid, dass der fatale Schwindel mich verhinderte, den Tanz mit der holdesten, schönsten aller Prinzessinnen, der mich ganz glücklich gemacht hätte, zu vollenden.
Celionati Was sagt Ihr? – Glaubt Ihr denn wohl, dass das wirklich die Prinzessin Brambilla war, die mit Euch tanzte? – Nein! – Darin liegt eben der schnöde Betrug, dass die Prinzessin Euch eine Person gemeines Standes unterschob, um desto ungestörter anderm Liebeshandel nachhängen zu können.
Giglio Wäre es möglich, dass ich getäuscht werden konnte?
Celionati Bedenkt, dass, wenn Eure Tänzerin wirklich die Prinzessin Brambilla gewesen wäre, wenn Ihr glücklich Euren Tanz beendigt hättet, in demselben Augenblick der große Fürst Bastianello erschienen sein müsste, um Euch mit Eurer hohen Braut einzuführen in Euer Reich.
Giglio Das ist wahr, aber sagt mir, wie alles sich begab, mit wem ich eigentlich tanzte!
Celionati Ihr sollt, Ihr müsst alles erfahren. Doch, ist es Euch recht, so begleite ich Euch in Euern Palast, um dort ruhiger mit Euch, o fürstlicher Herr, reden zu können.
Giglio Seid so gut, mich dorthin zu führen! denn gestehen muss ich Euch, dass mich der Tanz mit der vermeintlichen Prinzessin dermaßen angegriffen hat, dass ich wandle wie im Traum, und in Wahrheit augenblicklich nicht weiß, wo hier in unserm Lipsia mein Palast gelegen.
Celionati Kommt nur mit mir, gnädigster Herr!
Er führt Giglio zum Spiegel. Giglio bleibt stehen.
Giglio Mir ist es, als war ich hier eingesperrt gewesen in ein schnödes Gebauer; darum möcht ich nicht gern wieder hinein. Wär’s möglich, bester Celionati, daß für heute mein Palast anderswo liegen könnte, so würd es mir ganz angenehm sein.
Celionati Euer Palast, gnädigster Herr, kann nun einmal nirgends anders liegen, als eben hier, und es würde gegen allen Anstand laufen, umzukehren in ein fremdes Haus. Ihr dürft, o mein Prinz, nur daran denken, dass alles, was wir treiben und was hier getrieben wird, nicht wahr, sondern ein durchaus erlogenes Capriccio ist und Ihr werdet nicht die mindeste Inkommodität erfahren. Schreiten wir getrost hinein!
Giglio Aber sagt mir, ist denn nicht die Prinzessin Brambilla mit einem zahlreichen Gefolge hier eingezogen?
Celionati Allerdings, doch kann das Euch, der Ihr doch den Palast wenigstens ebenso gut besitzt, wie die Prinzessin, nicht abhalten, ebenfalls einzukehren, geschieht es auch vor der Hand in aller Stille. Ihr werdet Euch bald darin ganz heimatlich befinden.
Celionati schiebt den Giglio zum Spiegel. Giglio steigt etwas ängstlich durch den Rahmen, geht einmal um den Rahmen herum und steht wieder auf der anderen Seite. Er schaut sich um.
Giglio Ha! nun erkenne ich erst, dass ich wirklich in meinem Palast, in meinem fürstlichen Zimmer bin. –Ja! – ich bin in meiner fürstlichen Heimat! – Doch Ihr wolltet mich wegen des Tanzes aus fürchterlicher Täuschung reißen, bester Signor Celionati. Redet, ich bitte, redet! Aber nehmen wir Platz!
Celionati setzt sich auf den Stuhl. Giglio wiederholt die Nummer mit dem imaginären Stuhl, diesmal gibt er aber schneller auf.
Celionati Wisst mein Prinz, dass diejenige Person, die man Euch unterschob statt der Prinzessin, niemand anders ist, als eine artige Putzmacherin, Giacinta Soardi geheißen!
Giglio Ist es möglich? Aber mich dünkt, dies Mädchen hat zum Liebhaber einen miserablen bettelarmen Komödianten, Giglio Fava?
Celionati Allerdings, doch könnt Ihr es Euch wohl denken, dass eben diesem miserablen bettelarmen Komödianten, diesem Theaterprinzen die Prinzessin Brambilla nachläuft auf Stegen und Wegen und eben nur darum Euch die Putzmacherin entgegenstellt, damit Ihr vielleicht gar in tollem wahnsinnigen Missverständnis Euch verlieben in diese und sie abwendig machen sollt dem Theaterhelden?
Giglio Welch ein Gedanke, welch ein frevelicher Gedanke! – Aber glaubt es mir, Celionati, es ist nur ein böser dämonischer Zauber, der alles verwirrt und toll durcheinanderjagt und diesen Zauber zerstöre ich mit diesem Dolch, den ich mit tapfrer Hand führen und jenen Elenden vernichten werde, der sich untersteht, es zu dulden, dass meine Prinzessin ihn liebt.
Celionati Tut das, bester Prinz! Mir selbst ist viel daran gelegen, dass der alberne Mensch je eher, desto besser, aus dem Wege geräumt wird.
Celionati klopft Giglio auf die Schulter, geht hinter den Spiegelrahmen und hält das Spiegelglas hinein. Giglio will von der Bühne gehen und entdeckt im Vorbeigehen sein Spiegelbild.
Giglio Treffe ich dich endlich, verruchter Theaterheld ! – schnöder weißer Mohr! – Nicht entgehen sollst du mir jetzt! – Zieh deinen Dolch, Hasenfuß, verteidige dich, oder ich stoße dir den meinen in den Leib!
Giglio zieht den imaginären Dolch und stößt ihn dem Spiegelbild-Giglio in den Bauch, indem er ihn sich selbst in den Bauch stößt. Während des folgenden Gesprächs zwischen Giacinta und Beatrice, die an einem der Kaffeehaustische sitzen, stirbt Giglio vor sich hin; irgendwann verschwindet er kurz hinter dem Vorhang, wo er sich eine Menge Papierrollen unter das Kostüm steckt, die er beim weiteren Todeskampf nach und nach verliert. Am Ende bricht er auf der Bühne zusammen und bleibt dort inmitten der Papierrollen liegen.
Giacinta Der reiche herrliche Prinz Cornelio Chiapperi liebt mich und will mich heiraten.
Beatrice Celionati geht darauf aus, dir was weiszumachen; denn, hätte es seine Richtigkeit mit der Liebe des Prinzen, so ist gar nicht zu begreifen, warum er nicht schon längst dich, die Geliebte, aufgesucht in ihrer Wohnung, da die Prinzen darin sonst gar nicht so blöde sind. Und dann sind doch auch die paar Dukaten, die Celionati uns zusteckt, durchaus nicht der Freigebigkeit eines Prinzen würdig. Am Ende gibt es gar keinen Prinzen Cornelio Chiapperi; und gibt es auch wirklich einen, so hat ja der alte Celionati selbst dem Publikum verkündigt, dass der assyrische Prinz, Cornelio Chiapperi, nachdem er sich einen Backzahn ausreißen lassen, abhanden gekommen und von seiner Braut, der Prinzessin Brambilla, aufgesucht würde.
Giancinta Siehst du wohl? da hast du den Schlüssel zum ganzen Geheimnis, da hast du die Ursache warum der gute edle Prinz sich so sorglich verbirgt. Da er in Liebe zu mir ganz und gar glüht, fürchtet er die Prinzessin Brambilla und ihre Ansprüche, und kann sich doch nicht entschließen, Lipsia zu verlassen. Bald geht aber ihm, dem teuern Prinzen und mir der goldne Glücksstern auf in voller Klarheit. – Erinnerst du dich wohl eines geckenhaften Komödianten, der mir sonst den Hof machte, eines gewissen Giglio Fava?
Beatrice Dazu gehört eben kein besonderes Gedächtnis, da der arme Giglio, der mir noch immer lieber ist, als ein ungebildeter Prinz, erst vorgestern bei dir gewesen und sich das leckere Mahl, das ich ihm bereitet, wohl schmecken ließ.
Giacinta Willst dus wohl glauben, dass die Prinzessin Brambilla diesem armseligen Schlucker nachläuft? – So hat es Celionati mir versichert. Aber so wie sich der Prinz noch scheut, öffentlich aufzutreten als der meinige, so trägt die Prinzessin noch allerlei Bedenken, ihrer vorigen Liebe zu entsagen und den Komödianten Giglio Fava zu erheben auf ihren Thron. Doch in dem Augenblick, wenn die Prinzessin dem Giglio ihre Hand reicht, empfängt der Prinz hochbeglückt die meinige.
Beatrice Giacinta! was für Torheiten, was für Einbildungen!
Giacinta Und was du davon sagst, dass der Prinz es bis jetzt verschmäht hat, die Geliebte aufzusuchen in ihrem eigenen Kämmerlein, so ist das grundfalsch. Du glaubst es nicht, welcher anmutigen Künste sich der Prinz bedient, um mich unbelauscht zu sehen. Denn du musst wissen, dass mein Prinz nebst andern löblichen Eigenschaften und Kenntnissen, die er besitzt, auch ein großer Zauberer ist. Dass er einmal zur Nacht mich besuchte, so klein, so niedlich, so allerliebst, daß ich ihn hätte aufessen mögen, daran will ich gar nicht denken. – Und du sagst, dass der Prinz karg sei und mich in Armut lasse, unerachtet seiner Liebe? – Aber du meinst vielleicht, nur wenn der Prinz zugegen, sei ich reich; und auch das ist nicht einmal wahr. Sieh, wie in diesem Augenblick, da ich nur von dem Prinzen rede und von seiner Herrlichkeit –
Sie unterbricht, weil sie vom Treiben auf der Bühne abgelenkt wird, das sie aber nicht bewusst wahrnimmt.
Beatrice Giacinta! du bist befangen in argem Wahn. Aber ich sag es, alles ist die Schuld des verrückten Scharlatans, der dir den Prinzen in den Kopf gesetzt und des albernen Schneiders, der dir die tollen Maskenkleider in Arbeit gegeben hat. – Und wenn unser guter Giglio seine Seitensprünge lässt –
Erneute Irritation. An der Stelle könnte Giglio auf der Bühne endgültig zusammengebrochen sein.
Beatrice Du baust Luftschlösser, meine Giacintina und alles, was du mir da vorgeschwatzt hast vom Prinzen und seinen Kunststücken, ist weiter nichts, als der lautgewordene Traum, in den du versunken.
Black.
Musik.
Während diesem wird die Bühne aufgeräumt. Die Spieler intonieren Gelächter in verschiedenen Ecken des Zuschauerraumes.
Giglio sitzt, in tiefe Gedanken versunken, an seinem Kaffeehaus-Stammplatz. Chiari und der Impresario kommen an seinen Tisch und versuchen mit „Signor – Signor – mein bester Signor!“ ihn aus dem Traumzustand zu reißen. Endlich gelingt es Ihnen. Sie setzen sich an den Tisch.
Musik aus.
Chiari Mein bester Signor Giglio, wie kommt es, dass Ihr Euch gar nicht mehr sehen lasset, dass man Euch mühsam aufsuchen muss durch ganz Lipsia? – Seht hier einen reuigen Sünder, den die Kraft, die Macht meines Worts bekehrt hat, der alles Unrecht, das er Euch angetan, wieder gutmachen, der Euch allen Schaden reichlich ersetzen will!
Impresario Ja, Signor Giglio, ich bekenne frei meinen Unverstand, meine Verblendung. – Wie war es möglich, dass ich Euer Genie verkennen, dass ich nur einen Augenblick daran zweifeln konnte, in Euch allein meine ganze Stütze zu finden! – Kehrt zurück zu mir, empfangt auf meinem Theater aufs Neue die Bewunderung, den lauten stürmischen Beifall der Welt!
Giglio Ich weiß nicht, meine Herren, was ihr eigentlich von mir wollt. – Ihr redet mich mit einem fremden Namen an, ihr sprecht von mir ganz unbekannten Dingen – ihr tut, als wäre ich euch bekannt, unerachtet ich mich kaum erinnere, euch jemals in meinem Leben gesehen zu haben!
Impresario Recht tust du, Giglio, mich so schnöde zu behandeln, so zu tun, als ob du mich gar nicht kenntest; denn ein Esel war ich, als ich dich fortjagte von den Brettern. Doch – Giglio! sei nicht unversöhnlich, mein Junge! – Her die Hand!
Chiari Denkt, guter Signor Giglio, an mich, an den weißen Mohren, und dass Ihr denn doch auf andere Weise nicht mehr Ruhm und Ehre einernten könnet, als auf der Bühne dieses wackern Mannes, der den Arlecchino samt seinem ganzen saubern Anhang zum Teufel gejagt, und aufs neue das Glück errungen hat, Trauerspiele von mir zu erhalten und aufzuführen.
Impresario Signor Giglio, Ihr sollt selbst Euer Gehalt bestimmen; ja Ihr sollt selbst nach freier Willkür Euern Anzug zum weißen Mohren wählen und es soll-
Giglio Und ich sage euch, dass alles, was ihr da vorbringt, mir unauflösbares Rätsel ist und bleibt.
Impresario Ha! ich verstehe Euch, Signor Giglio Fava, ich verstehe Euch ganz, ich verstehe Euch ganz; ich weiß nun alles. – Der verfluchte Satan von – nun, ich mag seinen Namen nicht nennen, damit nicht Gift auf meine Lippen komme – der hat Euch gefangen in seinen Netzen, der hält Euch fest in seinen Klauen. – Ihr seid engagiert – Ihr seid engagiert. Aber ha ha ha – zu spät werdet Ihr es bereuen, wenn Ihr bei dem Schuft, bei dem erbärmlichen Schneidermeister, den ein toller Wahnsinn lächerliches Dünkels treibt, wenn Ihr bei dem –
Giglio Ich bitte Euch, bester Signor! geratet nicht in Hitze, bleibet fein gelassen! Ich errate jetzt das ganze Missverständnis. Nicht wahr, Ihr haltet mich für einen Schauspieler, namens Giglio Fava, der, wie ich vernommen, ehemals in Lipsia als ein vortrefflicher Schauspieler geglänzt haben soll, unerachtet er im Grunde niemals was getaugt hat?
Der Abbate und der Impresario starren ihn an, als erblickten sie ein Gespenst.
Giglio Wahrscheinlich waret ihr, meine Herrn, von Lipsia abwesend und kehrtet erst in diesem Augenblick zurück; denn sonst würd es mich wundernehmen, dass ihr das nicht vernommen haben solltet, wovon ganz Lipsia spricht. Leid sollte es mir tun, wenn ich der erste wäre, von dem ihr erfahret, dass jener Schauspieler, Giglio Fava, den ihr sucht und der euch so wert zu sein scheint, gestern im Zweikampf niedergestoßen wurde. – Ich selbst bin nur zu sehr von seinem Tode überzeugt.
Chiari O schön! o schön, o über alle Maßen schön und herrlich! – Also das war der berühmte Schauspieler Giglio Fava, den ein unsinniger fratzenhafter Kerl gestern niederstieß, dass er beide Beine in die Höhe kehrte? Wahrlich, mein bester Signor, Ihr müsst wissen, dass die Leute, als sie den vermeintlichen Leichnam aufheben und forttragen wollten, nur ein hübsches, aus Pappendeckel geformtes Modell in Händen hatten, worüber denn das Publikum ausbrach in ein unmäßiges Gelächter.
Giglio Mir ist unbekannt, inwiefern der tragische Schauspieler Giglio Fava nicht wirklich Fleisch und Blut hatte, sondern nur aus Pappendeckel geformt war; gewiss ist es aber, dass sein ganzes Inneres, bei der Sektion, mit Rollen aus den Trauerspielen eines gewissen Abbate Chiari erfüllt gefunden wurde, und dass die Ärzte nur der schrecklichen Übersättigung, der völligen Zerrüttung aller verdauenden Prinzipe durch den Genuss gänzlich kraft- und saftloser Nährmittel, die Tödlichkeit des Stoßes, den Giglio Fava vom Gegner erhalten, zuschrieben.
Chiari Ha! Giglio Fava! darauf hattet Ihr es abgesehen; Euch verdanke ich allen Skandal! – Wartet – meine Rache soll Euch treffen – zerschmettern –
Celionati steht von einem anderen Tisch, an dem er gesessen hat, auf und unterbricht Chiari durch einen wütenden Blick. Eingeschüchtert gehen Chiari und der Impresario zur Bar, wo sich D6 wieder in Signor Pasquale verwandelt, indem er hinter die Bar geht und den Impresario bedient.
Giglio ist inzwischen zum Tisch Celionatis gegangen und führt ihn in eine von der Bar entfernte Ecke des Cafés.
Giglio Wäret Ihr doch nur früher gekommen, bester Signor Celionati, um mich von zwei Überlästigen zu befreien, die mich durchaus für den Schauspieler Giglio Fava hielten, den ich – ach Ihr wisst es ja! – gestern in meinem unglücklichen Paroxysmus niederstieß, und die mir allerlei abscheuliche Dinge zumuteten. – Sagt mir, bin ich denn wirklich jenem Fava so ähnlich, dass man mich für ihn ansehen kann?
Celionati Zweifelt nicht, gnädigster Herr, dass Ihr, was Eure angenehmen Gesichtszüge betrifft, in der Tat jenem Schauspieler ähnlich genug sehet, und es war daher sehr geraten, Euern Doppeltgänger aus dem Wege zu räumen, welches Ihr sehr geschickt anzufangen wusstet. Was den albernen Abbate Chiari samt seinem Impresario betrifft, so rechnet ganz auf mich, mein Prinz! Ich werde Euch allen Anfechtungen, die Eure vollkommene Genesung aufhalten könnten, zu entziehen wissen. Es ist nichts leichter, als einen Schauspieldirektor mit einem Schauspieldichter dermaßen zu entzweien, dass sie grimmig aufeinander losgehen und im wütenden Kampf einander auffressen, wie jene beiden Löwen, von denen nichts übrigblieb, als die beiden Schweife, die, schreckliches Denkmal verübtes Mords, auf dem Kampfplatz gefunden wurden. – Nehmt Euch doch ja nicht Eure Ähnlichkeit mit dem Trauerspieler aus Pappendeckel zu Herzen! Denn soeben vernehme ich, dass die jungen Leute dort (er weist auf die Zuschauer hin, die an seinem Tisch saßen) ebenfalls glauben. Ihr wäret nun einmal kein anderer, als eben der Giglio Fava.
Giglio O mein bester Signor Celionati, verratet doch nur um des Himmels willen nicht, wer ich bin! Ihr wisst es ja, warum ich so lange verborgen bleiben muss, bis ich völlig genesen.
Celionati Seid unbesorgt, mein Prinz, ich werde, ohne Euch zu verraten, so viel von Euch sagen, als nötig ist, um die Achtung und Freundschaft jener jungen Leute zu gewinnen, ohne dass es ihnen einfallen darf zu fragen, wes Namens und Standes Ihr seid. Tut fürs erste so, als wenn Ihr uns gar nicht beachtetet! schaut zum Fenster heraus, oder leset Zeitungen, dann könnet Ihr Euch später in unser Gespräch mischen.
Celionati geht zu seinem Platz zurück. Giglio schaut eine Weile aus dem Fenster, später geht er mit einer Zeitung zu seinem Tisch zurück und liest darin.
Signor Pasquale kommt zum Tisch Celionatis.
Pasquale Ist das nicht der bekannte Schauspieler Giglio Fava, der dort zum Fenster hinauslehnt?
Celionati Nein, es ist vielmehr ein junger Fremder von hoher Abkunft.
Ein eingeweihter Zuschauer am Nebentisch mischt sich ein.
Zuschauer Ich kann gar nicht begreifen, wie man eine Ähnlichkeit zwischen jenem Fremden und dem Schauspieler Giglio Fava finden will. Ich muss zugeben, dass Mund, Nase, Stirn, Auge, Wuchs beider sich in der äußern Form gleichen; aber der geistige Ausdruck des Antlitzes, der eigentlich die Ähnlichkeit erst schafft, eben dieser Ausdruck ist zwischen beiden so himmelweit verschieden, dass ich seinerseits den Fremden nie für den Giglio Fava gehalten hätte. Der Fava hat eigentlich ein nichtssagendes Gesicht, wogegen in dem Gesicht des Fremden etwas Seltsames liegt, dessen Bedeutung ich selbst nicht verstehe.
Alle blicken zu Giglio, der noch am Fenster steht.
Celionati Der junge Mann leidet an dem chronischen Dualismus.
Zuschauer An was?
In dem Moment geht Giglio an seinen Platz zurück.
Zuschauer In den übrigens geistreichen Zügen seines Antlitzes liegt doch etwas Ungewisses, Verworrenes, das auf eine gefährliche Krankheit schließen lässt, welche am Ende in einem versteckten Wahnsinn besteht.
Pasquale Ich glaube, dass Ihr, Meister Celionati, mit Euerm chronischen Dualismus nichts anders meint, als jene seltsame Narrheit, in der das eigene Ich sich mit sich selbst entzweit, worüber denn die eigne Persönlichkeit sich nicht mehr festhalten kann.
Celionati Nicht übel, mein Freund! aber dennoch fehlgeschossen. Soll ich euch aber über diese seltsame Krankheit Rechenschaft geben, so fürchte ich beinahe, dass es mir nicht gelingen wird, euch darüber klar und deutlich zu belehren, vorzüglich da ihr keine Ärzte seid, ich mich also jedes Kunstausdrucks enthalten muss. – Nun! – ich will es darauf ankommen lassen, wie es wird und euch zuvörderst bemerklich machen, dass der Dichter, der uns erfand und dem wir, wollen wir wirklich existieren, dienstbar bleiben müssen, uns durchaus für unser Sein und Treiben keine bestimmte Zeit vorgeschrieben hat. Sehr angenehm ist es mir daher, dass ich, ohne einen Anachronismus zu begehen, voraussetzen darf, dass ihr aus den Schriften eines gewissen deutschen, sehr geistreichen Schriftstellers Kunde erhalten habt von dem doppelten Kronprinzen. Eine Prinzessin befand sich – um wieder mit einem dito geistreichen deutschen Schriftsteller zu reden – in andern Umständen, als das Land, nämlich in gesegneten. Das Volk harrte und hoffte auf einen Prinzen; die Prinzessin übertraf aber diese Hoffnung gerade um das Doppelte, indem sie zwei allerliebste Prinzlein gebar, die, Zwillinge, doch ein Einling zu nennen waren, da sie mit den Sitzteilen zusammengewachsen. Unerachtet nun der Hofpoet behauptete, die Natur habe in einem menschlichen Körper nicht Raum genug gefunden für all die Tugenden, die der künftige Thronerbe in sich tragen solle, unerachtet die Minister den über den Doppelsegen etwas betretenen Fürsten damit trösteten, dass vier Hände doch Szepter und Schwert kräftiger handhaben würden, als zwei, so wie überhaupt die ganze Regierungssonate à quatre mains voller und prächtiger klingen würde – ja! – alles dessen unerachtet, fanden sich doch Umstände genug, die manches gerechte Bedenken veranlassten. Fürs erste erregte schon die große Schwierigkeit, ein praktikables und zugleich zierliches Modell zu einem gewissen Stühlchen zu erfinden, die gegründete Besorgnis, wie es künftig mit der schicklichen Form des Throns aussehen würde; ebenso vermochte eine aus Philosophen und Schneidern zusammengesetzte Kommission nur nach dreihundertundfünfundsechzig Sitzungen die bequemste und dabei anmutigste Form der Doppelhosen herauszubringen; was aber das Schlimmste schien, war die gänzliche Verschiedenheit des Sinns, die sich in beiden immer mehr und mehr offenbarte. War der eine Prinz traurig, so war der andere lustig; wollte der eine sitzen, so wollte der andere laufen, genug – nie stimmten ihre Neigungen überein. Und dabei konnte man durchaus nicht behaupten, der eine sei dieser, der andere jener bestimmten Gemütsart; denn in dem Widerspiel eines ewigen Wechsels schien eine Natur hinüberzugehen in die andre, welches wohl daher kommen musste, dass sich, nächst dem körperlichen Zusammenwachsen, auch ein geistiges offenbarte, das eben den größten Zwiespalt verursachte. – Sie dachten nämlich in die Quere, so dass keiner jemals recht wusste, ob er das, was er gedacht, auch wirklich selbst gedacht, oder sein Zwilling; und heißt das nicht Konfusion, so gibt es keine. Nehmt ihr nun an, dass einem Menschen solch ein in die Quere denkender Doppelprinz im Leibe sitzt, als materia peccans, so habt ihr die Krankheit heraus, von der ich rede und deren Wirkung sich vornehmlich dahin äußert, dass der Kranke aus sich selber nicht klug wird.
Bescapi tritt von der Bar zu dem Zeitung lesenden Giglio hin und verbeugt sich.
Bescapi Mein gnädigster Prinz!
Im gesamten Kaffeehaus raunt es durcheinander: „Gnädigster Prinz?“ Giglio wird gewahr, dass alles auf ihn sieht. Verlegen steht er auf.
GiglioMein Geheimnis hat wider meinen Willen der Zufall verraten. Ja, meine Damen und Herren! ich bin wirklich ein Prinz und noch dazu ein unglücklicher; doch glaube ich aber mittels eines erfreulichen Bündnisses mit der schönsten der Prinzessinnen wieder gesund, groß und mächtig zu werden, wie ich es eigentlich sein sollte. Glaubt nicht, dass ich den Mund zu voll nehme, dass ich ein eitler Prahlhans bin! Lasst mich nur erst wieder ein gesunder Prinz sein, so werdet ihr erfahren, wie gut ich es mit euch allen meine. Ich halte Wort so wahr ich der assyrische Prinz Cornelio Chiapperi bin!
Er steht auf und betritt mit stolzer Haltung die Bühne. Brambilla kommt hinter dem Vorhang hervor, tritt ihm entgegen und fasst ihn am Arm.
Brambilla Ja, Ihr seid es, mein Prinz! Euer Gang und die Eures Standes würdige Kleidung – nie truget Ihr eine schönere – haben Euch verraten! – O sagt, warum flieht Ihr mich? – Erkennet Ihr nicht Euer Leben, Euer Hoffen in mir?
Giglio Ich weiß in der Tat nicht recht, wer Ihr seid, schöne Dame! Oder vielmehr ich wage es nicht zu erraten, da ich so oft schnöder Täuschung erlegen. Prinzessinnen verwandelten sich vor meinen Augen in Putzmacherinnen, Komödianten in Pappendeckelfiguren und dennoch hab ich beschlossen, länger keine Illusion und Fantasterei zu ertragen, sondern beide schonungslos zu vernichten, wo ich sie treffe.
Brambilla So macht mit Euch selbst den Anfang! Denn Ihr selbst, mein werter Signor, seid weiter gar nichts als eine Illusion! – Doch nein, geliebter Cornelio, du weißt, welch eine Prinzessin dich liebt, wie sie aus fernen Landen hergezogen ist, dich aufzusuchen, dein zu sein! – Und hast du denn nicht geschworen, mein Ritter zu bleiben? – Sprich Geliebter!
Brambilla will Giglio umarmen, aber er stößt sie von sich.
Giglio Ich widerstehe jedem Zauber und weiß es und bleibe dabei, dass die Prinzessin Brambilla einem miserablen Schauspieler nachläuft.
Brambilla Ha! wagt Ihr es aus diesem Ton mit mir zu sprechen, so will ich Euch nur sagen, dass, wenn Ihr ein trauriger Prinz sein wollt, mir jener Schauspieler, den Ihr erbärmlich nennt und den ich mir, ist er auch zur Zeit auseinandergenommen, immer wieder zusammennähen lassen kann, noch immer viel werter erscheint, als Ihr. Geht doch fein zu Eurer Putzmacherin, zu der kleinen Giacinta Soardi, der Ihr ja sonst, wie ich höre auch nachgelaufen seid und erhebt sie auf Euern Thron, den irgendwo hinzustellen, es Euch noch gänzlich an einem Stückchen Land mangelt!
Brambilla geht rasch Richtung Vorhang. Wenn Giglio weiterspricht, bleibt sie stehen.
Giglio Stolze – Ungetreue! so belohnst du meine innige Liebe? Doch ich weiß mich zu trösten!
Entrüstet schnippt Brambilla mit dem Finger. Daraufhin Black.
Licht. Giglio allein auf der Bühne, in tragischer Pose. Die anderen sitzen im Publikum und reagieren mit Gelächter, während Giglio sein Lamento ausstößt.
Giglio Oh! ich habe die schönste der Prinzessinnen verloren! Finde ich sie gar nicht wieder, werde ich mir in heller Verzweiflung meinen Dolch durch den Leib rennen. Wo ist sie? wo ist sie geblieben, meine holde Braut, mein süßes Leben! – Habe ich darum mir meinen schönsten Backzahn ausreißen lassen von Meister Celionati? bin ich deshalb mir selbst nachgelaufen aus einem Winkel in den andern, um mich aufzufinden? ja! – habe ich darum mich wirklich aufgefunden, um ohne alles Besitztum an Liebe und Lust und gehöriger Länderei ein armseliges Leben hinzuschmachten? Leute! – weiß einer von euch, wo die Prinzessin steckt, so öffne er das Maul und sag es mir und lasse mich nicht hier so lamentieren unnützerweise, oder laufe hin zu der Schönsten und verkünde ihr, dass der treueste aller Ritter, der schmuckste aller Bräutigame hier vor lauter Sehnsucht, vor inbrünstigem Verlangen, hinlänglich wüte, und dass in den Flammen seines Liebesgrimms ganz Lipsia, ein zweites Troja, aufgehen könnte, wenn sie nicht alsbald komme und mit den feuchten Mondesstrahlen ihrer holdseligen Augen die Glut lösche!
Giglio hält inne. Eine Veränderung geht in ihm vor; ein Erkennen, dass er Prinz und Schauspieler zugleich ist, und dass der tragische Pathos das eigentlich Lächerliche ist. Wenn er im Folgenden ein Selbstgespräch führt, so spielt er bewusst zwei Rollen.
Giglio Verrückter Prinz, meint Ihr, dass Euch die Prinzessin Brambilla entgegenkommen soll? Habt Ihr den Palast Pistoja vergessen? —- Ho ho, schweigt, vorwitziger Gelbschnabel! Seid froh, dass Ihr dem Käfig entronnen! —- Leute, schaut mich an und sagt, ob nicht ich der eigentliche bunte Vogel bin, der in Netzen gefangen werden soll?
Gelächter im Publikum. Brambilla wird, wie bei der anfänglichen Prozession auf die Bühne gebracht. Giglio geht vor ihr auf die Knie.
Giglio Dein bin ich, dein bin ich nun ganz und gar.
Brambilla So musste es kommen, unterwerfen musstest du dich mir, der reichen Herrscherin, denn sonst fehlte es dir ja an der eigentlichen Heimat und du bliebst ein miserabler Prinz. Doch schwöre mir jetzt ewige Treue, bei diesem Symbol meiner unumschränkten Regentschaft!
Brambilla, immer noch auf dem „Sitz“, streckt einen Fuß aus.
Giglio Prinzessin, ich schwöre Euch ewige unwandelbare Treue, so wahr ich zu existieren gedenke.
Ihr küsst ihren Fuß / Schuh dreimal. Sowie dies geschehen, erschallt von den anderen Spielern ein lautes, durchdringendes: „Bram-bure bil bal – Alamonsa kikiburva son-ton –! Es wird mehrmals wiederholt und versucht, dass das Publikum irgendwann mitmacht.
Der Netzschleier wird über das Paar geworfen, dann wieder weggezogen. Sie schauen sich an, als erblickten sie sich zum ersten Mal. Sie bezeichnet ihn wechselnd als „Giglio Fava / Liebster Giglio“ und „Prinz Cornelio Chiapperi / Mein teuerster Prinz“, er sie wechselnd als „Giacinta Soardi / Liebste Giacinta“ und „Prinzessin Brambilla / Meine teuerste Prinzessin“. dann umarmen sie sich. Sie wollen sich küssen, da wird der Schleier wieder über sie geworfen.
An der Stelle hätte das Licht ausgehen sollen. Da dies ausbleibt, sagt der Impresario „Black!“ Die anderen Spieler gehen langsam von der Bühne und zur Tür hinaus, wobei sie, als sie selber, die Aufführung kommentieren (Impro). Der Impresario versucht durch Schnippen das Black zu forcieren, das erst kommt, wenn alle anderen zur Tür heraus sind. Ende.