AGAMEMNON (Aischylos)


Aufbau der Bühne:

Langgezogener Raum, die Zuschauerstühle links und rechts als Begrenzung.

Requisiten:

Kleiderständer

Mit Schaumstoff ausgestopftes Gewand an einem Kleiderbügel

Weißes Tuch mit Schrift: KASSANDRA (durchgestrichen) / KRIEGSBEUTE

BILD 1

Licht auf den Kleiderständer mit dem Gewand daran, der in der Mitte steht.

Spieler A steht am einen Ende der Bühne, Spieler B am anderen.

Sie singen den Agamemnon-Kanon.

BILD 2

Weiter den Kanon singend gehen die Spieler in die Mitte.

Spieler A stellt sich hinter, Spieler B vor den Kleiderständer.

Beide Spieler sprechen synchron Text 1.

Spieler A führt den Ärmel des Kleides und „sticht“ damit rhythmisch in die Brust von Spieler B, der das Tuch vor der Brust hat. Bei jedem Stich ein Geigenstrich.

Spieler B nimmt das Tuch von der Brust, drückt es an sich und wechselt die Position für Bild 3, während er „Iphigenie mein Kind“ leise in Schleife vor sich hinspricht.

BILD 3

Licht auf Spieler B, der auf dem Boden zusammengesunken liegt, ein Tuch über dem Kopf, auf dem KRIEGSBEUTE steht.

Spieler A baut Spieler B nach und nach auf, bis dieser steht. Das Tuch hängt bis zum Boden herab. Spätestens jetzt muß man die Schrift erkennen können.

Spieler A entfernt das Tuch, indem er es nach hinten schlägt. Spieler B gibt ein monotones, langandauerndes Klagegeräusch von sich.

Plötzlich eine ganze Weile Stille. Spieler B bewegt sich nicht, starrt geradeaus.

Spieler B bewegt lautlos die Lippen, während Spieler A Text 6 rezitiert.

Spieler B sackt mit dem Kopf etwas zusammen. Spieler A richtet ihn wieder auf.

Spieler B bewegt lautlos die Lippen, während Spieler A Text 6 rezitiert.

Spieler B macht weiter lautlose Lippenbewegungen, Spieler A bedeckt das Gesicht wieder mit dem Tuch und drückt Spieler B aprupt runter auf den Boden.

Spieler B steht nach einer Weile auf und drapiert das Tuch wie einen Leichensack.

BILD 4

Spieler B reisst das Kleid vom Ständer und schlüpft in die Ärmelschlaufe(n).

Choreografie „Widerstreit Eros vs. Thanatos“. Dazu Geigenmusik.

BILD 5

Spieler B sitzt auf der Kleiderpuppe und schlägt rhythmisch auf sie ein. Spieler A rezitiert mit Pausen dazwischen die Texte 3, 4 und 5 in beliebiger Reihenfolge.

Spieler B schlägt in immer kürzeren Abständen auf die Kleiderpuppe ein. Spieler B spricht Text 5 entsprechend immer schneller in Schleife.

Spieler B sinkt auf die Puppe. Stille.

BILD 6

Spieler A und B gehen zu Geigenmusik wieder an den Stellen, an denen sie im ersten Bild standen. Sie sprechen leise synchron Text 2, dann in Schleife versetzt, dabei immer leiser werdend.

Black.

Texte:

1

Dies erwog Agamemnon,

Des Griechenzugs edler Führer einst und schalt
Nimmermehr des Sehers Wort,
Nein, trug sanft des Missgeschickes Schlag,
Als das Heer Griechenlands fahrtgehemmt,
Heimgesucht von Hungersnot,

Chalkis gegenüber lag,
In Aulis‘ strudelreicher Hafenschlucht.
Vom Srymon hersausend tobte Sturmwind,
Verschlagend, dürr, weckend bittre Saumsal,

Die buchtgefangnen Schiffe hinschmetternd samt dem Tauwerk.
Die Zeit, träg fließend, schien ein endlos
Meer. Argos‘ Volksblüte fing zu welken an.
Und als der Artemis
Zürnen der Seher kundtat,

Als er den Söhnen Atreus‘
Nannte das Heilmittel, an Schmerz peinlicher als selbst der Orkan,
Stießen die Heerfürsten den Stab hart in den Sand und weinten.
Worauf der vieledle König anhob:

O bittres Los, bin ich ungehorsam!
O bittres, soll ich schlachten mein Kind, des Hauses Kleinod,
Und ruchlos mit der Tochter Herzblut

Am Opferherd schänden meine Vaterhand!
O schlimme Doppelwahl!
Flieh ich der Schiffe Heerzug,
Brech ich des Kampfes Bündnis?
Spenden das windstillende Sühnopfer, das jungfräuliche Blut,
Muss ich, das Heer fordert es laut.
Führ es herbei die Rettung!
Als angelegt harten Zwangs Gebiss er,
Und Wechselwind, schnöd, verrucht und gottlos

Im Busen hauchte, da verlor
Der kecke Wagsinn die Bahn der Weisheit.
Denn Raserei lockt der Menschen Herz fort,
Der frevelschwangre Fluch
Grauser Urschuld. So wagt‘ er

Der Tochter Schlachtpriester zu sein,
zum Heil des weibrächenden Kriegs;
das Kind muss Sühnen den Bann der Flotte.
Die Fürsten, zugfertig, schauten herzlos
Der Tochter Flehn, ihren Vateranruf

Und aufgeblühten Jugendreiz.
Der Zeuger hieß, als das Weihgebet schwieg,
Die Priesterschar, gleich der Geiß sie häuptlings
In Schleier eingehüllt
Auf des Herds hohe Schlachtbank
Mit starkem Arm heben,

Und fesseln ihren schönrosigen Mund damit sie
Nimmer das Haus verfluche.
So stand sie sprachlos und starr, festgezäumt.
Zur Erde floss ihres Kleides Safran,

Das Auge traf ihrer Blutopfrer jeden mit dem Pfeil des Mitleids,
Und gleich der Bildsäule prangend, regte sie zum letzten Mal
Die Lippen. Oft sang sie scheu
Daheim im gastreichen Männerfestsaal

Des Vaters; oft pries dereinst laut mit liebfrohem Mund
Die hehre Jungfrau das selige,
Neidwürdige Los des Zeugers.

2

Gar oft erzeugt Frevel, uralter, jungen, in

Menschenleid wild wüstenden

Frevel; stets dann nun, wenn der Entscheidung Stunde brach

Ins Licht: erzeugt der junge

Sich anderen Fluchgeist, unüberwindlichen, heilloser Art:

Trotz, der ins Haus schwärzester Untat Schuld trägt,

Ganz den Erzeugern gleichend.

3

Der ohne weitres, gleich als wär es nur ein Lamm,
Wie viele seiner reichen Herden Pracht ihm bot,
Sein eigen Kind doch, meines Schoßes liebste Frucht,
Ließ schlachten, thrakische Winde zu beschwichtigen.

4

Hat er denn nicht erst arglistige Schuld

Am Hause verübt? Wohl; tat unserm Kind,

Dem aufblühenden Reis, von mir schmerzlich beweint:

Iphigenien er recht, so geschah ihm auch recht!

5

Er, der nicht
gleich mir sich hat erschöpft in Schmerzen,
als er sie säte, so wie ich, die sie gebar!

6

In dunkeln Schleier, wie die neuvermählte Braut,
Birgt nicht das Antlitz länger mein Orakelspruch;

 Ein heller Nordwind, fühl ich, braust er auf und stürmt
Nach Sonnenaufgang, dass er größres Leid als dies
Ans Licht emportreibt., einer wilden Woge gleich!
Nicht länger sprech ich rätselhafte Warnungen.
Seid selber Zeuge, dass ich jene Frevelspur

Vergangner Gräuel Schritt für Schritt aufwittere.
Durch dieses Haus tönt fort und fort der Rachechor
Einstimmig, doch in grausenvoller Harmonie.
Berauscht zu höchster Raserei von Menschenblut,
Und schwer hinauszubannen, tobt und schwelgt am Herd,

Der Fluch-Erinyen schreckenvoller Schwesternbund.
Im Haus gelagert, singt der Schwarm im Jubelsang
Des Stammes Urschuld; zornig dann verfluchen sie
Des Bruders Ehebett, auf den Schänder hart ergrimmt.
Verfehlt ich oder traf ich, wie ein Schütz das Wild?

Sprich, schwatz ich, eine Lugprophetin, bettelhaft?
Bezeug es laut und schwöre, dass mir wohlbekannt
Die alten Frevel, welche dieses Haus verbrach!