UNSER BÜBCHEN


ERSTES BILD

Vater. Mutter.

Mutter Aus unserem Bübchen wird noch was.

Vater Ich habe neulich mit seinem Chef gesprochen. Unser Bübchen kommt rauf. Und ich habe nichts dazu tun müssen.

Mutter Unser Bübchen. Unser einziges Kind. Als ich ihn zum ersten Mal in meinen Händen hielt, das war der schönste Moment meines Lebens.

Vater Ich bin stolz auf ihn.

Mutter Und wenn er erst heiratet. Das hübsche Ding, das bei deiner Mutter zur Untermiete wohnt, scheint ein Auge auf ihn geworfen zu haben. Sie soll studieren und sehr fleißig sein.

Vater Wirklich hübsch. Ja, sie wäre passend für ihn.

Mutter Sie sollten sich öfter sehen. Warum laden wir sie nicht zum Geburtstag deiner Mutter ein? Sie sorgt sich so rührend um die alte Dame. Sie gehört ja schon fast zur Familie.

Vater Ich denke Mutter hat sie bereits eingeladen. Wo bleibt unser Bübchen eigentlich? Er wollte doch schon längst zu Hause sein.


ZWEITES BILD

Mädchen. Großmutter.

Mädchen Ich glaub, ich liebe ihn.

Großmutter Du glaubst? Das ist allenfalls Verliebtsein. Wenn du dich mal nicht täuschst.

Mädchen Wenn ich ihn schon sehe, schwindelt mir. Ich kann mich auf nichts mehr konzentrieren. Ich kann mich auf gar nichts mehr konzentrieren, seit- O, er ist so männlich, so-

Großmutter Wenn du dich mal nicht täuschst.

Mädchen Liebt er eine andere?

Großmutter Wer weiß.

Mädchen Nein, er ist ein wenig schüchtern. So kommt es mir jedenfalls vor. Männlich und ein wenig schüchtern. Ob er mich deshalb- O wenn er nur etwas Interesse für mich zeigen würde. Großmutter, was soll ich bloß tun?

Großmutter Sprich offen zu ihm. Vor allem sei ehrlich.

Mädchen Er kommt dich so selten besuchen. Ob es an mir liegt?

Großmutter An mir liegt es nicht. Er mag mich sehr.

Mädchen Er ist schüchtern, ja.

Großmutter Wer weiß.


DRITTES BILD

Chef. Freund.

Chef Dieser junge Mann hat Talent, mein Sohn. Er ist der perfekte Mann an meiner Seite. Tadellose Führung und überdurchschnittlich fähig. Ich werde ihm den Posten geben. Sein Vater muss mich erst gar nicht überreden. Die Musterhaftigkeit seines Sohnes spricht für sich. Du solltest ihn kennenlernen.

Freund Ja, Großvater.

Chef Du würdest meiner Meinung sein.

Freund Dessen bin ich überzeugt, Großvater.

Chef Auch du bist sehr begabt, mein Sohn. Aber von ihm könntest du noch etwas lernen. Du bist doch nicht neidisch?

Freund Aber wozu, Großvater? Ich vertraue deiner Menschenkenntnis.

Chef Das ehrt dich, mein Sohn. Bald sollst du ihn kennenlernen. Sein Vater hat uns eingeladen, anlässlich des Geburtstages seiner Mutter. Du wirst bestimmt meiner Meinung sein.

Freund Bestimmt. Mir ist als ob ich es schon sei.

Chef Wie meinst du das? Kennst du ihn etwa bereits?

Freund Nein, natürlich nicht. Ich vertraue nur deiner Menschenkenntnis.


VIERTES BILD

Bübchen. Transvestit.

Transvestit Warum ziehst du dir keine Frauenkleider an?

Bübchen Warum? Ich bin doch keine Frau.

Transvestit was dann?

Bübchen Ein Mann.

Transvestit Ein Mann? Dass ich nicht lache.

Bübchen es gibt Männer und Männer.

Transvestit Und Männer. Bin ich denn keiner? – Was sagen deine Eltern eigentlich dazu?

Bübchen Sie wissen es nicht.

Transvestit Und der Alte, der von deinem Freund?

Bübchen Der erst recht nicht. Er ist doch mein Chef.

Transvestit Dieses Versteckspiel, nein. Ich würde im Mini zur Arbeit erscheinen und mit dem Hintern wackeln. Nur für ihn.

Bübchen Dich würde er gar nicht erst einstellen.

Transvestit Natürlich nicht als Sekretär. Aber als Sekretöse vielleicht? – Sag, gefall ich dir?

Bübchen Du weißt, dass du es nicht tust.

Transvestit Ja. Äußerst schade. Vielleicht habe ich zu viel Rouge aufgetragen? Oder zu wenig? – Deinem Süßen gefall ich.

Bübchen So wenig wie mir.

Transvestit Wenn du dich mal nicht täuschst. – Das pflegte meine Großmutter zu sagen.

Bübchen Lass die Finger von ihm.

Transvestit O wer lässt die Finger nicht von wem? Das solltest du i h m sagen.

Bübchen Du lügst.

Transvestit Euer Gnaden glauben wohl, seit diese schicke Seuche in Mode gekommen ist, ist große Treue angesagt? Er steht auf Weiberwäsche.

Bübchen Mistkerl.

Transvestit Nicht böse werden. Das schadet deinem Teint. – He was tust du da? Das schöne Kleid. Das war das beste Stück aus Mutterns Garderobe.

Bübchen Hau ab, Hurensau.

Transvestit Mamma wirds vermissen, wenns nicht mehr im Schrank hängt. Das war böse. Das wird sich rächen, du, das wird sich bitter rächen. Das versprech ich dir.


FÜNFTES BILD

Bübchen. Großmutter.

Bübchen Zum Geburtstag alle Liebe der Welt, Großmutter.

Großmutter Danke, mein Liebling. Aber ob ich noch mehr Liebe ertragen kann als du mir gibst? – Er kommt heute auch, nicht wahr?

Bübchen Ja, er kommt. Wenn ich uns nur nicht verrate. Wenn ich ihn nur anschaue, muss ich erröten.

Großmutter Du und Verrat? Wenn du dich mal nicht täuschst. Deine Eltern würden auf so etwas nie kommen. Und der alte Löffel auch nicht.

Bübchen Und doch-

Großmutter Ja, eines Tages müssen sie es erfahren. Aber hab Geduld, vielleicht ändern sich die Zeiten. Zu meiner Zeit haben sie Männer wie dich vernichtet. Heute lässt man sie wenigstens am Leben. Morgen vielleicht-

Bübchen Ich glaube nicht an dieses Morgen.

Großmutter Ihr habt keine Wahl. Entschärft die Bombe bevor sie explodiert. Mehr kann ich dazu nicht sagen.


SECHSTES BILD

Bübchen. Mädchen.

Mädchen Schön, dass du gekommen bist.

Bübchen Ist schließlich der Geburtstag meiner Großmutter.

Mädchen Natürlich. Ihr zu Ehren hab ich mein bestes Kleid angezogen. Gefällt es dir?

Bübchen Ich kann das nicht beurteilen.

Mädchen Warum bist du nur so wenig freundlich gegenüber mir? Du brauchst ja nicht sagen, dass du mich magst. Aber wenigstens ein Kompliment könntest du mir machen. Wenns auch nicht ernst gemeint ist.

Bübchen Ich will gern ehrlich sein.

Mädchen Du magst mich nicht. Auch ich will ehrlich sein. Ich mag dich. Sogar sehr. Wenn ich ganz ehrlich bin, dann-

Bübchen Wer sagt dass ich dich nicht mag? Ich mag dich auch, aber muss ich mich deshalb über deine Garderobe auslassen?

Mädchen -liebe ich dich.

Bübchen Nun weine nicht. Ich hab dich doch lieb, kleine Schwester. Wo du meine Großmutter so verwöhnst in ihren letzten Tagen. Sie hat dich auch sehr lieb.

Mädchen Kleine Schwester?

Bübchen Ja, die bist du für mich. Ich weiß, du hättest lieber gehört, dass ich dich meine Braut nenne. Meine Eltern würden es begrüßen. Ich will dir nichts vormachen, weißt du, ich will dich nicht heiraten und ich kann nicht. Ich will überhaupt nicht heiraten. Das heißt-

Mädchen Oh-

Bübchen Ich hab dich wirklich sehr lieb, aber-

Mädchen Ich zerbreche.

Bübchen Wenn ich dir nur erklären könnte-

Mädchen Ich zieh weg.

Bübchen Kannst du nicht trotzdem mit mir sein? Warum müssen wir uns mehr als mögen?

Mädchen Ich verstehe es einfach nicht. Wie kann ich es verstehen?

Bübchen ja, du kannst es nicht verstehen. Du würdest es nicht verstehen. Warum will es nur niemand verstehen?

Mädchen Ich zieh weg.

Bübchen Bleib, kleine Schwester, bitte bleib. Und wenn es nur wegen Großmutter ist. Sie hat nicht mehr viele Tage zu leben.

Mädchen Gut, ich bleibe. Wegen Großmutter. Wegen dir- ?


SIEBTES BILD

Bübchen. Freund.

Freund Ist es nicht komisch? Du und ich und Großvater und deine Eltern vereint an einem Tisch, harmonisierend. Welch eine Ironie.

Bübchen Ob sie Verdacht schöpfen? Lass uns zurückgehen.

Freund Warte, noch nicht. – Wie ich dieses Versteckspiel hasse. Warum können wir ihnen nicht sagen, dass wir uns lieben?

Bübchen Weil sie es sich nicht vorstellen können. Und was sie sich nicht vorstellen können, gibt es für sie nicht. – Sie wollen dass ich das Mädchen heirate.

Freund Du wirst doch nicht-

Bübchen Ich habe ihr gesagt, dass ich es nicht kann. Den Grund habe ich nicht genannt. – Was ist das für eine Geschichte mit diesem Transvestiten?

Freund Du glaubst doch nicht- Er stellt mir nach. Ich weiß nicht, wo er mich gesehen hat. Ein ekelhafter Mensch. Sogar meine Adresse hat er herausgefunden.

Bübchen Halt mich fest. Ich habe Angst. Angst, dass alles zwischen uns zusammenbricht. Sag, dass du mich liebst.

Freund Ich liebe dich.

Bübchen Ich wünschte du würdest es in die Welt hinausschreien.

Freund Ich wünschte es mir auch. – Was ist an uns nur so anders?

Bübchen Warum fragst du mich? Frag doch die, die uns zu anderen machen.

Freund Solange sie es nicht wissen, sind wir wie alle. Aber wehe, sie wissen es- Warum nehmen sie das nur so wichtig? Sie messen sich doch selbst nicht an diesen Dingen.

Bübchen Vielleicht tun wir ihnen Unrecht. Entscheidend ist am Ende für sie doch nur, dass du was darstellst und deine Arbeit zufriedenstellend erledigst. Nimm deinen Großvater zum Beispiel. Ich arbeite für ihn, als ginge es um mein Leben. Und er weiß es zu honorieren. Niemand musste ihn überzeugen, dass ich seinen Stellvertreter abgeben könnte. Wenn ich es bin, werde ich ihm alles sagen.

Freund Dann wirst du fallen. Und ich werde für ihn nicht mehr existieren.

Bübchen Vielleicht haben sich die Zeiten geändert- Und eines Tages wird es doch herauskommen. Entschärfen wir die Bombe bevor sie explodiert.

Freund Wenn wir sie auch entschärfen, die Erschütterung wird erfolgen. Die Zeiten ändern sich, ja. Aber auch in den Köpfen?

Bübchen Lass uns zurückgehen.


ACHTES BILD

Chef. Freund.

Chef Du hast dir Zeit gelassen, um ihn kennenzulernen, mein Sohn. Hoffentlich bist du zu dem richtigen Ergebnis gekommen.

Freund Ich hatte es ja schon geahnt, Großvater. Er ist es.

Chef Das freut mich, mein Sohn. Gleich morgen werde ich es ihm feierlich verkünden. Vor der ganzen Belegschaft.

Freund Nicht doch, Großvater. Hat das nicht Zeit- ?

Chef Du zweifelst? Enttäusche mich nicht, mein Sohn.

Freund O Großvater, könnte ich dir nur sagen-

Chef Sprich dich nur aus, mein Sohn.

Freund Ich liebe ihn.

Chef Ich auch, mein Sohn. Das hört sich doch schon wesentlich besser an.

Freund Du verstehst mich nicht-

Chef Ich verstehe dich sehr gut. Er ist fleißig, intelligent, ehrlich- Die geborene Führungskraft.

Freund Aber er ist- Großvater?

Chef Ja, mein Sohn?

Freund Du hast recht.


NEUNTES BILD

Bübchen. Vater. Mutter.

Mutter Bübchen, was ist mit dir?

Bübchen Großmutter-

Vater Jeder muss eben- Sie hat ein ehrliches Leben gelebt.

Mutter Ja, aufrichtig war sie, deine Mutter.

Vater So kurz nach ihrem Geburtstag-

Mutter Aber es kam ja nicht überraschend- Und das arme Ding. Sie hat deine Mutter doch so gern gehabt.

Vater Erst wollte sie wegziehen. Wer weiß weshalb sie geblieben ist.

Bübchen Was schaut ihr mich so an?

Mutter Aber Bübchen, weißt du es denn nicht?

Bübchen Ich werde sie nicht heiraten.

Mutter Bübchen-

Vater Warum nicht? Sie ist doch ansehnlich.

Bübchen Warum nicht, wollt ihr wissen? Weil auch ich ein ehrliches Leben leben will. So wie Großmutter.

Vater Was willst du damit sagen?

Bübchen Ich kann nicht mit einer frau zusammenleben.

Mutter Aber Bübchen, in deiner neuen Stellung kannst du doch unmöglich Junggeselle bleiben. Also wirklich-

Vater Am Ende unterstellt man dir noch- Geradezu peinlich.

Bübchen Was wolltest du sagen, Vater? Dass man mir unterstellen könnte, ich wär- Ich bin es, Vater.

Mutter Bübchen-

Vater das ist doch unmöglich-

Mutter Schatz, was meint er?

Vater Wenn das herauskommt-

Mutter Schatz-

Vater Reg dich nicht auf, Liebes. Mutters Tod hat ihn ein wenig verwirrt. Es ist nichts. Vielleicht ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt von Heirat zu sprechen.

Mutter es muss ja nicht die sein. Wenn er sie partout nicht will- Es gibt ja noch andere nette und adrette junge Damen.

Vater Lassen wir das Thema.

Mutter Wenn nichts ist, dann ist es ja gut. Mein Bübchen-

Bübchen Großmutter.


ZEHNTES BILD

Bübchen. Mädchen.

Mädchen Großmutter hat es gewusst?

Bübchen Ja. – Du bist der zweite Mensch in meinem Leben, der uns versteht. Großmutter war der erste.

Mädchen Trotzdem liebe ich dich.

Bübchen Weil Großmutter mich liebte?

Mädchen Nicht nur deswegen. Großer Bruder.

Bübchen Kleine Schwester. Willst du wirklich wegziehen?

Mädchen Ja. Aber nicht deinetwegen.Ich habe endlich einen Studienplatz im Ausland erhalten.

Bübchen Das freut mich.

Mädchen Und mich erst. Ich bin ja so neugierig, wie die Menschen dort sind.

Bübchen Sie sind, wie sie überall sind. Mal so und mal so.

Mädchen Und doch sind sie anders.

Bübchen Sie sind nur anders, weil du in ihnen suchst, was nicht an dir ist. Suchst du, was du gemein mit ihnen hast-

Mädchen Jeder Mensch ist anders. Das macht ihn überhaupt erst interessant.

Bübchen Oder wie ein Dramatiker mal sagte: Eines haben die Menschen gemeinsam- Sie sind verschieden.


ELFTES BILD

Vater. Mutter.

Mutter Unser Bübchen. O wie schrecklich. Unser einziges Bübchen. Ausgerechnet er.

Vater O, es gibt sehr viele Männer, die- Wenn es nur nicht herauskommt.

Mutter O wie schrecklich. Als ich ihn zum ersten Mal in meinen Händen hielt-

Vater Wir dürfen es niemandem erzählen. Niemandem.

Mutter Ich wünschte ich hätte ihn nie geboren.

Vater Er würde seine Stellung verlieren.

Mutter Unser einziges Kind.

Vater Und ich war so stolz auf ihn.

Mutter Eigentlich ist er ja ein guter Mensch. So höflich.

Vater So fleißig.

Mutter Und jetzt diese Krankheit.

Vater Das ist keine Krankheit, Liebes, das ist so eine Art Veranlagung.


ZWÖLFTES BILD

Chef. Freund.

Chef Diesen Brief- Hast du ihn gelesen? Eine Unverschämtheit, jemanden so anzuschwärzen.

Freund Du hast recht, Großvater.

Chef Sicherlich war es jemand, der neidisch auf seinen neuen Posten ist.

Freund Sicherlich- Und wenn es nun wahr wäre, Großvater?

Chef Was sagst du da, mein Sohn?

Freund Nun, was würde sich schon ändern? Er wäre derselbe fähige und arbeitsame Mann.

Chef So etwas könnte ich nicht dulden.

Freund Aber wieso nicht? Es wäre doch völlig unerheblich, er wäre-

Chef Pervers. So etwas könnte ich nicht dulden.

Freund -derselbe-

Chef Aber er ist es ja nicht. Eine Intrige, ja, eine Intrige. Das wird es sein.

Freund -fähige und arbeitsame Mann.

Chef Ich würde ihn auf der Stelle entlassen, wenn es wirklich so wäre. Auf der Stelle. So etwas könnte ich nicht dulden.

Freund Ich bin also pervers.

Chef Aber es ist ja nicht so. – was sagtest du, mein Sohn?

Freund Nichts, Großvater. Nichts.


DREIZEHNTES BILD

Bübchen. Freund.

Freund Es wird sich nie ändern.

Bübchen Großmutter-

Freund Sie werden nie verstehen.

Bübchen Großmutter sagte mal-

Freund Es wird sich nie ändern. Ich werde mir das Leben nehmen.

Bübchen Großmutter sagte mal, dass sich die Zeiten ändern. Warum nicht auch in den Köpfen? – Nehmen wir uns das Leben nicht.

Freund Du hast recht. Lassen wir und das Leben nicht nehmen.

Bübchen Wir lieben uns. Gemeinsam werden wir es ertragen.

Freund Ich werde mir das leben nicht nehmen. Eine Tragödie ist es trotzdem.

Bübchen Eine unnötige Tragödie. Aber wenn sich nun doch-

Freund in den Köpfen? Wenn du dich mal nicht täuschst.