Personen: Mo. Yvonne. Hans-Peter.
ERSTES BILD
Auf der Bühne befinden sich ein Tisch mit zwei Stühlen und eine Anrichte mit Türen. Auf der Anrichte stehen Medikamentenschachteln und ähnliches.
Mo sitzt am Tisch und schreibt an einem Laptop. Sie liest das Geschriebene und löscht es dann immer wieder. Dabei wird sie zunehmend genervter, was sie durch Laute zum Ausdruck bringt.
Yvonne tritt auf und beobachtet Mo eine Weile.
Y Mo- Schwesterchen-
M Stör mich nicht. Siehst du nicht, dass ich versuche zu schreiben?
Y Das ist nicht zu übersehen. Und noch weniger zu überhören.
M Seit drei Jahren versuche ich nun, ein verdammtes Theaterstück zu schreiben. Ich kriegs einfach nicht hin.
Yvonne schaut auf den Bildschirm.
Y Alice Schwarzer- Du schreibst ein Stück über Alice Schwarzer?
M Ich versuche es.
Y Warum ausgerechnet über-
M Schiller und Shakespeare haben auch historische Tragödien verfasst.
Y Und Moliere ist daran gescheitert. Moliere hat Erfolg gehabt, nachdem er über das schrieb, was er kannte. Du solltest auch über das schreiben, was du kennst.
M Mein Leben ist stinklangweilig.
Y Und warum? Weil du den ganzen Tag vor deinem Laptop hockst, statt dass du hinausgehst und was erlebst. So kannst du es ja zu nichts bringen.
M Ich werde es schon noch zu was bringen. Du wirst schon sehen.
Y Da bin ich aber gespannt. Schau dich doch an. Ungekämmt, ungeschminkt, und immer dieselben hässlichen Klamotten. Am Vormittag holst du tagtäglich den versäumten Schlaf nach. Dein Frühstück besteht aus zwei Litern Kaffee und einem trockenen Croissant, das Mittagessen fällt aus. Den Rest des Tages verbringst du entweder am Laptop oder mit dem Abendessen. Eine Tüte Chips und jede Menge Bier. Ich hoffe, den Tag noch zu erleben, wo du noch vor Mittag ordentlich zurechtgemacht und gut angezogen zum Frühstück erscheinst, was anständiges isst und dann zur Uni gehst.
M Ich war in der Uni.
Y Ja, einmal. Zur Immatrikulation. Ein Wunder, dass man dich immer noch studieren lässt. Weißt du überhaupt, in welchem Semester du bist?
M Im sechsten?
Y Im elften. Hast du überhaupt mal vor, einen Abschluss zu machen?
M Ich weiß nicht. Ich könnte auch jobben gehen und nebenbei schreiben. Und eines Tages führen sie ein Stück von mir auf. In der Mühlstraße oder-
Y Du und jobben. Jeden Job, zu dem du dich aufgerafft hast, bist du doch bald darauf losgeworden, weil du regelmäßig verschlafen hast.
M Den Job als Partyclown nicht.
Y Ach, den hast du noch?
M Nein, aber den bin ich aus einem anderen Grund losgeworden.
Y Das hast du mir gar nicht erzählt.
M Naja, ich bin über meine zu großen Schuhe gestolpert und in eine Gruppe Konversation treibender Partygäste gefallen. Reflexartig suchte meine Hand nach etwas, woran ich mich festhalten konnte. Dummerweise erwischte sie ein Abendkleid, das sich der Gravitationskraft folgend von der es tragenden Dame löste-
Y Nicht mal zum Clown taugst du was. Du bist echt eine Versagerin. Sämtliche Geräte, die du anfasst, funktionieren binnen zehn Sekunden nicht mehr, beim Schwarzfahren lässt du dich immer erwischen-
M Man sagt nicht mehr schwarzfahren-
Y Und eine Freundin hast du auch nicht.
M Noch nicht.
Y Was soll das heißen?
M Naja, was schon. Ich bin verliebt.
Y Im Ernst? Kenne ich sie?
M Nein. Ja. Vom Sehen. Die neue Apothekerhelferin aus der Apotheke an der Ecke. Die kleine mit den kurzen dunklen Haaren.
Y Ach, deshalb die vielen überflüssigen Medikamente, die überall in der Wohnung herumliegen. Ist sie denn auch in dich verliebt?
M Ich weiß nicht.
Y Bist du denn nicht mit ihr ausgegangen?
M Naja-
Y Du hast sie noch nicht einmal gefragt, was? Lass mich raten. Du gehst dreimal täglich in die Apotheke, um sie zu sehen. Und wenn sie fragt, was du willst, sagst du nicht etwa: Darf ichs wagen Sie zu fragen welchen Vornamen Sie tragen? oder Darf ich Sie nach der Arbeit zu einem Gläschen Wein einladen?, sondern lässt dir eine Tüte Hustenpastillen oder ein Abführmittel geben und verkriechst dich mit eingeklemmten Schwanz wieder in- äh-
M Du bist auch nicht besser.
Y Was soll das heißen?
M Ich sage nur Hans-Peter.
Y Was ist mit Hans-Peter?
M Ich wette, du hast noch nicht mit ihm geschlafen.
Y Wie sollte ich? Der weiß nicht einmal , wie eine Frau aussieht, wenn sie nichts anhat. Das Gewagteste, was er sich bisher getraut hat, war ein Kuss auf die Wange.
M Vielleicht ist er schwul.
Y Du spinnst doch. Er ist einfach nur verklemmt. Aber heiraten will er mich.
M Und?
Y Ich heirate doch nicht vor dem Sex. Soll ich mich den Rest meines Lebens mit Küsschen auf die Wange zufrieden geben? Er kommt heute zum Abendessen. Wenn er seinen heutigen Antrag nicht etwas stürmischer angeht, kann er mir gestohlen bleiben.
M Du solltest etwas nachhelfen.
Y Wie meinst du das?
M Na, die Waffen der Frauen.
Y Wenn die was nützen.
M Ich sag dir was. Wenn du Hans-Peter heute noch ins Bett kriegst, will ich-
Y Was?
M Will ich mich von Grund auf ändern. Ich werde früh aufstehen, zur Uni gehen, einen Job durchziehen und so weiter und so weiter.
Y Wunder gegen Wunder? Ich bin einverstanden. Aber bilde dir nicht ein, du könntest mitessen.
M Wo denkst du hin. Ich will ihn doch nicht unnötig verlegen machen. Wann will er denn kommen?
Y Gegen halb acht.
ZWEITES BILD
Derselbe Raum wie im ersten Bild. Der Laptop und die Medikamente sind weg. Der Tisch ist für zwei gedeckt. Eine Uhr schlägt achtmal.
Yvonne, in elegant-verführerischem Aufzug, tritt auf, nervös. Sie betrachtet den Tisch, dann öffnet sie die Tür der Anrichte. Eine Flut von Medikamentenschachteln kommt ihr entgegen. Sie holt eine kleine Blumenvase aus der Anrichte und stopft die Schachteln wieder zurück. Dann stellt sie die Vase auf den Tisch.
Sie tritt zum Wandspiegel (imaginär an der vierten Wand) und überprüft Frisur und Makeup. Es klingelt. Yvonne will abgehen, da hört man Hans-Peter „Guten Abend, Monika“ sagen. Kurz darauf tritt Hans-Peter auf, in Anzug und Krawatte, was seine steife Art noch unterstreicht. Er hält einen übertrieben großen Blumenstrauß im Arm.
Yvonne tritt auf ihn zu, Hans-Peter gibt ihr die Hand und sagt recht förmlich „Guten Abend, Yvonne“. Yvonne hält ihm die Wange hin, Hans-Peter sieht es wegen dem großen Strauß nicht. Überhaupt lässt der Strauß die ganze Begrüßung in unfreiwillige Komik ausarten.
Endlich reicht er ihr den Strauß. Yvonne stellt den Strauß in die Vase, diese kippt um.
H Die Vase ist wohl zu klein?
Y Ja. Macht nichts.
H In der Küche ist sicher eine größere.
Y Das hat Zeit. Krieg ich keinen Kuss?
H Ja, natürlich.
Er gibt Yvonne nach einigem Zögern ungeschickt einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Sein Blick fällt auf die Terrine auf dem Tisch.
H Was gibt es denn?
Y Zwiebelsuppe.
H Fein.
Sie setzen sich. Yvonne füllt die Teller. Sie essen schweigend.
Y Wie war dein Tag?
H 8.45 Uhr Vorlesung zum öffentlichen Recht. 11 Uhr Seminar zum Strafrecht. 13.30 Uhr Mittagessen. 15.15 Uhr Vorlesung zum-
Y Ich meine, ob du was besonderes erlebt hast.
H Was meinst du damit?
Y Ach, nichts.
Sie essen schweigend.
H Du bist böse auf mich.
Y Wie kommst du auf so etwas?
H Du bist mir böse, weil ich eine gute halbe Stunde zu spät gekommen bin.
Y Aber-
H Aber glaube mir, auch wenn ich es dir nicht erzählen kann. Ich hatte einen Grund.
Y Warum kannst du es mir nicht erzählen?
H Es ist so schrecklich skandalös. Du wirst dich von mir lossagen.
Y So schlimm?
H Wenn ich es dir erzähle, wirst du mich dennoch liebhaben?
Y Kommt darauf an, was- Ja, natürlich.
H Und wirst du meine Frau werden?
Y Willst du nicht erst einmal erzählen, was vorgefallen ist?
H Also- Ach, ist das peinlich- Ich habe etwas schlimmes getan.
Y Oh-
H Nichts, was dich- Aber es ist zu peinlich-
Y Nun sag schon.
H ich bin, wie sagt man, schwarzgefahren und-
Y Sagt man nicht mehr-
H Und man hat mich sozusagen erwischt.
Y Das ist alles?
H Ich musste eine nicht unbedeutende Summe Schwarzgeld- äh, Strafgeld zahlen und den Rest des Weges zu Fuß-
Y Mein armer Hans-Peter-
Yvonne will ihm über den Kopf streichen.
H Vorsicht, ich habe Pomade aufgelegt.
Er findet eine Packung Heftpflaster, auf der er die ganze Zeit gesessen hat.
H Wo bleibt Monika?
Y In ihrem Zimmer.
H Ist sie krank?
Y Krank? Nein. Nicht direkt.
H Sie sollte mehr an die frische Luft gehen.
Y Sicher. Du, Hans-Peter-
H Die Suppe schmeckt vorzüglich.
Y Ach, nur eine Tütensuppe, mit Wasser aus der Kaffeemaschine aufgebrüht. Ich hätte etwas besseres gemacht, aber der Herd ist kaputt.
H Ich kann ja mal nachsehen.
Y Ach, nicht nötig. Ich habe für morgen die Handwerker bestellt.
H Aber das ist doch Verschwendung guten Geldes.Ich kann doch-
Y Noch etwas Suppe?
H Gern.
Yvonne füllt seufzend seinen Teller. Während Hans-Peter sich intensiv der Suppe widmet, streift Yvonne mit ihrem einen Fuß den Schuh vom anderen Fuß und arbeitet sich mit diesem an Hans-Peters Bein Richtung Mitte vor. Er greift mit erstauntem Gesicht nach seinem Bein und berührt dabei Yvonnes Fuß.
H Ach, du hast einen Schuh verloren. Warte-
Er bückt sich und hebt den Schuh auf. Beim Hochkommen haut er sich den Kopf an der Tischplatte an.
H Ach, ist das peinlich.
Y Halb so schlimm. Nur ein Kratzer. Zum Glück haben wir genug Heftpflaster da.
Sie geht zur Anrichte und öffnet die Tür. Wieder fallen Medikamentenpackungen raus. Yvonne kramt in diesen, findet aber nichts passendes. Hans-Peter hält triumphierend die Packung Heftpflaster hoch.
Yvonne geht zu ihm und klebt ein Pflaster auf seine Stirn. Dann streichelt sie ihn über Wange, Ohr und Kopf.
H Ist da auch was?
Y Nein. – Willst du einen Kaffee?
H Gern.
Mo tritt auf.
M Die Kaffeemaschine ist kaputt.
Schweigen.
M Amüsiert ihr euch?
H Die Suppe war vorzüglich. Wie geht es dir? Du siehst gar nicht gut aus. Du solltest mehr an die frische Luft gehen.
Y Ich mach den Kaffee auf dem- Herd.
H Ich kann ja mal nachsehen.
M Nicht nötig. Morgen kommen die-
Hans-Peter geht ab.
M Was machst du für ein Gesicht? Du willst doch nicht behaupten, dass ich ausgerechnet in dem Moment reingeplatzt bin, in dem ihr im Begriff wart, euch auf dem Esszimmertisch zu lieben.
Y Das kann ich wirklich nicht behaupten. Vor diesem Menschen kann ein Harem nackter Frauen ekstatische Tänze aufführen. Er würde nur sagen: Meine Damen, ziehen Sie sich etwas über, Sie zittern ja vor Kälte.
M Tanz, das ist es. Flotte Musik auflegen, auf Tuchfühlung gehen, und dann-
Y Du hast letzte Woche unserer Stereoanlage den Rest gegeben.
M Das Radio in der Küche funktioniert noch.
Y Und wenn der Moderator dazwischen quatscht, während Hans-Peter sich auf mich stürzen will? – Aber wozu hat man ein Smartphone?
Mo holt ein Smartphone hervor.
M Hab ich mir eben mal von dir ausgeliehen, nachdem mein Laptop den Geist aufgegeben hat.
Yvonne schaut sie vielsagend an. Mo macht ein ebenso vielsagendes Gesicht.
Y Was solls, hat eh keinen Sinn. Dieser Volltrottel will mich nur heiraten, und dann wird er mich in eine Vitrine stellen.
M Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.
Y Gewalt?
M Das ist zu viel gesagt. Nur ein billiger Trick. Leg dich hier auf den Boden und spiel die Ohnmächtige. Das übrige überlass mir.
Y Was hast du vor?
M Vertraue deiner kleinen Schwester. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Er kommt gleich zurück.
Y Und die Wette?
M Hauptsache, ihr werdet glücklich. Ich spiele gerne die Märtyrerin.
Y Und wirst du auch die kleine Apothekerin ansprechen?
M Jaja, ansprechen, Wein trinken und- was du sonst noch willst.
Y Was i c h will?
M Nun leg dich endlich hin.
Yvonne legt sich auf den Boden.
Y Und lass die Finger vom Herd, falls er wieder geht.
Hans-Peter tritt auf.
H Der Herd geht wieder. Die Kaffeemaschine auch.
M Yvonne ist ohnmächtig geworden. Wir müssen sie in ihr Zimmer bringen.
H Wie ist das passiert?
M Das ist doch jetzt unwichtig. Komm, hilf mir.
H Ich rufe den Notarzt an.
Er nimmt das Smartphone und will wählen.
H Tot.
Y Gott sei Dank.
M So schlimm wird es nicht sein.
H Wir probieren es mit einem dieser Medikamente.
Er sucht panisch nach einem passenden Medikament.
M Das Riechsalz steht auf ihrem Nachttisch.
Hans-Peter will ab.
M Wir bringen sie besser gleich rauf.
H Und wenn wir die Treppe hinunter fallen? Dann brechen wir uns alle was und keinem ist gedient.
M Immerhin lohnt es sich dann, den Notarzt zu rufen.
Hans-Peter ohrfeigt Yvonne mehrmals.
H Yvonne, wach auf.
M Spinnst du? Du glaubst doch nicht etwa an diese albernen Hausmittel? Versuch es mit wachküssen.
Hans-Peter küsst Yvonne auf die Wange.
M Auf den Mund.
H Und das hilft?
M Versuchs.
H Nein, mach du.
M Ich hab Mundgeruch.
H Wir tragen sie lieber rauf. Heb du sie mir auf die Schulter.
M Wie du meinst.
Yvonne steht auf, ohne dass Hans-Peter es merkt, und versucht auf seinen Rücken zu klettern. Dabei zieht sie ihn hinunter. Sie purzeln übereinander. Yvonne liegt auf ihm.
H Yvonne?
Y Ja, ich bins.
H Ich kann mich nicht bewegen.
Y Hast du dir was gebrochen, mein Lieber?
H Nein, ich denke nicht.
M Sehr gut.
H Aber es fällt mir schwer alleine hochzukom-
M Noch besser.
Yvonne küsst Hans-Peter auf den Mund.
H Was war das?
Y Ein Kuss.
H Ich bin doch nicht ohnmächtig.
Yvonne küsst ihn richtig lange. Er kommt auf den Geschmack. Mo schaut nervös ins Publikum.
M Du bringst ihn besser in dein Zimmer.
Mo hilft Yvonne auf, diese Hans-Peter. Yvonne und Hans-Peter gehen küssend ab.
M Und bist du nicht willig-
Mo schaut in den Spiegel, richtet sich die Haare und übt die Sätze zu sprechen: „Darf ichs wagen Sie zu fragen welchen Vornamen Sie tragen“ und „Darf ich Sie nach der Arbeit zu einem Gläschen Wein einladen“.
M Was ich mache? Ich studiere- Ich schreibe. Nein, nicht für die Zeitung. Stücke. Theaterstücke. Kennen Sie Moliere?
In ihrem Gesicht ist zu lesen, dass sie einen Einfall hat.
M Moliere. Eine dramatisch-zeitgenössische Historie. Personen: Monika, genannt Mo- Moliere, erfolgreiche Stückeschreiberin und Frühaufsteherin mit Studienabschluss. Yvonne, ihre Schwester. Jean-Pierre, ihr Geliebter.
E N D E
Anmerkung:
Es existiert noch eine frühere Fassung des Stückes. Die wesentlichen Abweichungen sind: a. Das Stück spielt in Frankreich; b. Yvonne hat einen heterosexuellen Bruder namens Marc statt der lesbischen Schwester Mo; Die Version ist sozusagen technisch veraltet, Schreibmaschine statt Laptop usw.
Will jemand das Stück inszenieren, darf er mich gern anschreiben und sich die Erstfassung zusenden lassen…