ES ERGIBT SICH VON SELBST


Protagonist:innen (alle Ende zwanzig) :

VERA Steindorfer, Künstlerin

MARTIN, ihr Verlobter

SABINE, Angestellte in einem Büro

RITA, ihre Freundin und Kollegin

TOM, der neue Bürobote

THOMAS, Kulturredakteur vom Xer Stadtanzeiger

Die übrigen, im dritten und vierten Akt erwähnten Personen sind in Anzahl und Charakterisierung von Regie und Dramaturgie zu bestimmen, ebenso eventuelle Dialoge zwischen ihnen; letztere können auch mittels Improvisation entwickelt werden.

Auch die genauen Namen von Xer Stadtanzeiger und Cafe Y sollen Regie und Dramaturgie selber bestimmen. So kann zum Beispiel der Ort der Aufführung berücksichtigt werden.


ERSTER AKT

Ein Atelier. Auf einem Tisch steht das Miniaturmodell einer Plastik. Vera Steindorfer steht im Morgenrock reglos im Raum und betrachtet das Modell eindringlich. Plötzlich fegt sie es wütend vom Tisch. Martin, ebenfalls im Morgenrock, tritt auf. Er wirkt sehr verschlafen.

MARTIN Vera, was machst du da?

VERA Ich wüte.

MARTIN Am Sonntag Nachmittag? Vernünftige Menschen schlafen um diese Zeit.

VERA Ich bin aber nicht vernünftig.

MARTIN Das sehe ich. Fegst das schöne Modell vom Tisch.

VERA Schön nennst du das?

MARTIN Gestern hast du es selbst noch so bezeichnet.

VERA Schön habe ich es nicht genannt. Ich sagte gelungen.

MARTIN Ist doch dasselbe, oder?

VERA Von mir aus. Ja, die Figur ist gelungen, ästhetisch gesehen. Aber es fehlt etwas. Die Bedeutung.

MARTIN Die Bedeutung. Die ergibt sich doch von selbst.

VERA So? Dann sag mir, was du in dieser Figur siehst.

MARTIN Nun ja, ich sehe- Ist doch klar, ich sehe- Es ist doch eindeutig-

VERA Siehst du. Ich kann unmöglich eine Figur von mir einweihen lassen, deren Bedeutung nicht einmal die Künstlerin selbst kennt.

MARTIN Aber die Figur ist doch schon auf dem Weg nach X und soll in zwei Wochen eingeweiht werden.

VERA Das muss rückgängig gemacht werden. Ich werde eine neue Figur schaffen. Eine mit Bedeutung.

MARTIN Da wird die Stadt X nicht mitmachen. Sie wird keine neue Figur finanzieren, und den Termin kann man nicht mehr abblasen. Vera, bitte, sei vernünftig.

VERA Dann werde ich nicht zur Einweihung erscheinen.

MARTIN Das wäre ja noch schöner. Stell dir vor, es ist Einweihung eines Kunstwerkes, und die Künstlerin geht nicht hin.

VERA Ich will mich doch nicht blamieren. Wenn man mich nach der Bedeutung fragt.

MARTIN Saug dir was aus den Fingern. Oder sag einfach, dass sich jeder die Bedeutung selber suchen muss.

VERA Diese Antwort ist mir zu billig.

MARTIN Auf jeden Fall fährst du. Wenn du es schon mal geschafft hast, eine deiner Figuren in einem öffentlichen und bedeutsamen Gebäude zu verewigen- Jahrelang hast du nur ein paar kleine Stücke an Kunstliebhaber verscherbelt, und jetzt wo die große Chance da ist, willst du sie wegen eines nichtigen Zweifels wegwerfen. Ich verstehe dich nicht.

VERA Das glaube ich dir sogar. Du siehst immer nur das Materielle, den Geldwert. Aber ein Kunstwerk ist mehr als nur ein Handelsobjekt. Es hat eine tiefere Bedeutung.

MARTIN Und warum sollte dieses hier keine haben, nur weil du sie nicht erkennst? Manchmal erschließt sich die Bedeutung aus der Rezeption eines fremden Betrachters und du sagst dir: Hey, genau das ist es.

VERA Das hast du schön gesagt.

MARTIN Und im Zweifelsfall wird mein alter Schulfreund Thomas eine Bedeutung herausholen , wenn er über die Einweihung schreibt.

VERA Ist das der Supermann vom Xer Stadtanzeiger?

MARTIN Ja, der Kulturredakteur, von dem ich dir erzählt habe. Ich bin mit ihm in eine Klasse gegangen. Ich habe ihn immer bewundert, weil die Mädchen ihm nachliefen.

VERA Du Armer. Für dich hat sich natürlich keine interessiert.

MARTIN Bis Vera Steindorfer in mein Leben trat. Komm, lass uns wieder ins Bett gehen.

VERA Sag mir erst, was dein Freund Thomas für ein Typ ist.

MARTIN Du wirst ihn noch früh genug kennenlernen. Ich habe ihn übrigens gebeten, dich vom Bahnhof abzuholen.

VERA Und wenn der Zug Verspätung hat? Züge haben ja meistens Verspätung.

MARTIN Dann wartet er auf dich im Cafe Y. Das ist leicht zu finden. Von dort wird er dich dann pünktlich und sicher ans Ziel geleiten.

VERA Das ist ja alles richtig gut durchgeplant. Ich staune. Martin, du bist ja ein wahres Organisationstalent.

MARTIN Und das alles mache ich nur für dich, weil ich dich liebe.


ZWEITER AKT

Ein Büro. Sabine sitzt an ihrem Schreibtisch und arbeitet. An einem anderen Schreibtisch sitzt Rita und liest im Xer Stadtanzeiger.

RITA Sabine, hör dir das an. ICH 28 SEHR ATTRAKTIV SUCHE VERSTÄNDNISVOLLEN HUMORVOLLEN UND GUTAUSSEHENDEN MANN UNGEFÄHR IN MEINEM ALTER.

SABINE Was findest du daran so komisch?

RITA Die glaubt doch tatsächlich, dass es verständnisvolle und humorvolle Männer gibt.

SABINE Gibt es die nicht?

RITA Doch, aber keine gutaussehenden. Die glauben nämlich, dass sie das nicht nötig haben.

SABINE Unsinn.

RITA Und dann dieses SEHR ATTRAKTIV. Die so etwas behaupten, sind in Wirklichkeit abgelebte Tussis, die keinen abbekommen haben und sich aus lauter Frust mit einer Kontaktanzeige prostituieren-

SABINE Die Anzeige ist von mir.

RITA Du machst Witze.

SABINE Nein.

RITA Na ja, nicht jede, die eine Kontaktanzeige aufgibt, ist gleich eine abgelebte Prostitussi- Aber mal ehrlich, hast du mit dem SEHR ATTRAKTIV nicht ein klein wenig zu hoch gegriffen?

SABINE Hältst du mich für unattraktiv?

RITA Ich nicht. Aber die Männer stellen sich unter dem Wort ATTRAKTIV etwas anderes vor.

SABINE Wenn ich einem Mann nicht attraktiv genug bin, ist er ja nicht gezwungen, sich ein zweites Mal mit mir zu treffen.

RITA Also ENDZWANZIGERIN MIT NETTEM ÄUSSEREN hätte es auch getan.

SABINE Wenn ich das schreibe, antwortet mir keiner. ATTRAKTIV ist das mindeste was man schreiben muss. Ein bisschen Hochstapeln gehört dazu.

Du hast recht. NETTES ÄUSSERES übersetzen sie wahrscheinlich mit POTTHÄSSLICH- Aber wozu hast du so was nötig? Du lernst auch ohne Anzeige den richtigen Mann kennen. So was ergibt sich von selbst.

SABINE Daran glaube ich nicht mehr. Nach so langer Zeit ohne Beziehung.

RITA Mensch, Sabine, du musst halt ein bisschen aus dir rausgehen, ausgehen, Partys geben und der ganze Scheiß. Pierre habe ich auf meiner letzten Party kennengelernt.

SABINE Er war ein One Night Stand.

RITA Aber dafür ein ziemlich guter.

SABINE Rita, ich rede von einer festen Beziehung. One Night Stands hätte ich genug haben können auf deiner letzten Party.

RITA Du warst da?

SABINE Wenn du nicht pausenlos an Pierre geklebt hättest, hättest du mich vielleicht wahrgenommen. Und die Tatsache, dass ich auf deiner Party war, beweist wohl mehr als genug, dass ich nicht nur ausgehe, sondern auch Partys nicht verabscheue.

RITA Aber du gehst nicht aus dir raus.

SABINE Mag sein, aber so bin ich nun mal.Ich hasse es, den extrovertierten Vamp zu mimen, nur-

RITA Ich verstehe was du meinst. Viel Glück bei deiner Partnersuchaktion. Bestimmt ist einer dabei, der zu dir passt.

SABINE Falls überhaupt einer- Ich hol mir einen Kaffe. Soll ich dir einen mitbringen?

RITA Danke, aber ich finde, der Automatenkaffee schmeckt irgendwie beschissen. Ich geh lieber runter in die Kantine.

SABINE Ist doch auch Automatenkaffee dort.

RITA Vielleicht liegts am Plastebecher.

Sabine geht ab. Kurz darauf tritt Tom auf.

TOM Post für die Dame.

RITA Danke, Tom. Leg sie bitte auf den Schreibtisch. Ich bin auf dem Weg zur Kantine.

TOM Mahlzeit.

Rita geht ab. Tom legt die Post auf ihren Schreibtisch. Sein Blick fällt auf die aufgeschlagene Zeitung.

TOM Sie sucht Ihn- Aha- SEHR ATTRAKTIV- Klingt gut. Verständnisvoll? Klar. Humorvoll? Sowieso. Gutaussehend? Will ich meinen. Ungefähr in ihrem Alter? Bingo. Ich bin auch achtundzwanzig. Die soll mich kennenlernen.

Tom setzt sich an Sabines Schreibtisch, nimmt ein Blatt Papier und fängt an zu schreiben.

TOM Sehr geehrte Unbekannte ich ein verständnisvoller humorvoller und gut- sehr gutaussehender Mann im gleichen Alter wie Sie würde mich freuen Ihre Bekanntschaft zu machen wie wärs mit- übermorgen Fragezeichen ich würde so gegen neunzehn Uhr im Cafe Y sein und hoffe dass auch Sie kommen Tomas.

Tom steckt den Brief in ein Kuvert, findet eine Briefmarke und klebt sie drauf. Dann steht er auf, schaut nochmal in die Zeitung und schreibt etwas auf das Kuvert. Als er gerade fertig ist und vom Stuhl aufsteht, tritt Sabine auf, einen Becher Kaffee in der Hand. Als sie Tom erblickt, erschrickt sie und lässt den Kaffee fallen.

TOM Kann ich Ihnen helfen?

SABINE Es geht schon.

TOM Ich wollte Sie nicht erschrecken.

SABINE Ich hatte nicht erwartet, dass hier jemand-

TOM Ich habe die Post gebracht.

SABINE Sind Sie der neue-

TOM Ja. Ach ja, wir kennen uns noch gar nicht-

SABINE Nein, wir sind uns bis jetzt-

TOM Sehr erfreut- Ich muss noch dringend zum-

Tom greift hinter sih, verwechselt aber den Schreibtisch und nimmt statt seines Briefes einen an Rita vom gleichen Format. Er geht hastig ab, auf Sabine statt auf das Kuvert schauend. Sabine sieht ihm geistesabwesend nach und nimmt ebenso geistesabwesend das Kuvert von ihrem Schreibtisch.

SABINE Xer Stadtanzeiger- Meine Chiffrenummer-

Sabine reißt das Kuvert hastig auf und liest Toms Brief.

SABINE Verständnis- Humor- SEHR gutaussehend- Übermorgen schon? Gegen neunzehn Uhr im Cafe Y. Und ob ich komme. Tomas- Tomas-


DRITTER AKT

Im Cafe Y. Mehrere Tische, einige frei, einige besetzt. Ein Kellner (oder eine Kellnerin) bedient die Gäste. Irgendwo am Rand sitzt Sabine, dezent elegant gekleidet, und schaut Richtung Eingang. Tom tritt auf, auch er unauffällig aber elegant gekleidet. Wie Sabine Tom erblickt, dreht sie sich schnell weg, in der Hoffnung, er würde sie nicht erkennen. Tom erkennt sie, bewegt sich aber im Glauben, Sabine hätte ihn nicht gesehen, unauffällig von ihr fort und setzt sich an einen Tisch möglichst weit von Sabine entfernt.

Während beide ungeduldig auf ihren Rendezvous-Partner warten, werfen sie sich gegenseitig verstohlene Blicke zu. Schaut der eine weg, schaut der andere zu ihm hin; schaut der andere wieder hin, schaut der eine weg. So bleiben beide bis zum Ende des Aktes in dem Glauben, der jeweils andere hätte ihn nicht bemerkt.

Während der ganzen oben beschriebenen Szene treten vermeintliche Rendezvous-Partner:innen einzeln auf. Tom und Sabine reagieren mit sichtlicher Erregung. Sobald sie feststellen, dass es sich um den falschen bzw. die falsche handelt, ist ihnen Enttäuschung oder aber Erleichterung anzumerken.

Thomas tritt auf. Er bleibt am Eingang stehen und schaut sich mehrmals um. Als sein Blick auf Sabine fällt, hebt sie die Hand ein wenig. Thomas geht zu ihr hin.

THOMAS Xer Stadtanzeiger-

SABINE Tomas?

THOMAS Genau. Verzeihen Sie, dass ich so spät-

SABINE Macht nichts.

THOMAS Können wir gehen?

SABINE Gern. Mir gefällt es hier sowieso nicht.

Thomas legt Geld auf den Tisch. Sie gehen zum Eingang. Tom schaut ihnen hinterher. Vera tritt auf. Thomas rennt sie fast um und geht ohne ein Wort schnell mit Sabine ab. Vera bleibt am Eingang stehen und schaut sich mehrmals um. Als ihr Blick auf Tom fällt, hebt er die Hand ein wenig. Vera geht zu ihm hin.

VERA Verzeihen Sie, sind Sie der Thomas vom Xer Stadtanzeiger?

TOM Ja. Sagen Sie Tom zu mir.

VERA Mein Zug hatte Verspätung. Haben Sie lange warten müssen?

TOM Ich? Nein. Na ja, Hauptsache, Sie sind- Ich hatte schon befürchtet, Sie würden gar nicht kommen.

VERA Mit diesem Gedanken habe ich tatsächlich gespielt.

TOM Lassen Sie mich raten. Sie wollten die Sache am liebsten rückgängig machen.

VERA Ja, tatsächlich- Wissen Sie, es fehlt einfach etwas. Die Bedeutung.

TOM Die ergibt sich von selbst.

VERA Das hat Mart-

TOM Außerdem liegt es an uns, was wir daraus machen.

VERA Ich weiß. Aber ich bin der Meinung, dass ein paar schönmalerische Worte im Xer Stadtanzeiger nicht alles sind.

TOM Natürlich nicht. Aber Worte können manchmal ausschlaggebend sein, wie zum Beispiel das Wort ATTRAKTIV.

VERA ATTRAKTIV ist viel zu hoch gegriffen. Sagen Sie gelungen oder von mir aus schön. Aber solche Worte beschreiben nur das Äußere der Figur.

TOM Aber Ihre Figur beschreiben diese Worte treffend. Sehr treffend. Und ATTRAKTIV ist keineswegs hochgegriffen.

VERA Meinen Sie wirklich?

TOM Ich finde Sie sogar sehr attraktiv. Und damit beschreibe ich bestimmt nicht nur Ihr Äußeres.

VERA Das sagen Sie doch nur, um mich zu beruhigen.

TOM Ich meine es ernst. Stehen Sie ruhig dazu.

VERA Danke, Tom. Sie machen mir Mut. Ich beginne sie wieder zu mögen.

TOM Oh, wenn ich Sie während unseres Gesprächs irgendwie verletzt haben sollte-

VERA Sagen Sie, was Sie denken. Ich mag Ehrlichkeit.

TOM Ich auch. Darf ich Ihnen etwas sagen, ganz ehrlich?

VERA Bitte.

TOM Sie sind genau so, wie ich Sie mir vorgestellt habe.

VERA Und ich, ehrlich gesagt, habe Sie mir ganz anders vorgestellt.

TOM SEHR gutaussehend vielleicht?

VERA Sie haben Humor.

TOM Sowieso. Wie nennt man Sie eigentlich?

VERA Vera Steindorfer. Ich verwende kein Pseudo-

TOM Oh, Verzeihung. Was wollen Sie trinken, Vera?

VERA Danke, nichts. Ich wäre dafür, so langsam aufzubrechen.

TOM Wie Sie wünschen. Bedienung, ich möchte zahlen. Darf ich Sie noch begleiten?

VERA Sie müssen sogar. Ich bin hier nämlich fremd in dieser Stadt und völlig hilflos.

TOM Wo wollen Sie hin?

VERA Wo auch Sie hinwollen.

TOM Oh-

VERA Ist es weit von hier?

TOM Nein, wir können zu Fuß-

VERA Ich bin ja so aufgeregt.

TOM Und ich erst-

VERA Ich kanns kaum erwarten. Hoffentlich dauert das Drumherum am Anfang nicht so lange. Ich hätte es lieber, wenn sie gleich zur Sache kommen, wenn wir da sind.

TOM Alles klar-


VIERTER AKT

Die Einweihung. Die wesentlich größere aber ansonsten mit dem Modell aus dem ersten Akt identische Figur ist noch verhüllt. Sabine, stark verunsichert, steht neben der Figur, Thomas und eine Menge geladener Gäste in festlicher Kleidung stehen erwartungsvoll schweigend um sie herum. Nach einer aufmunternden Handbewegung von Thomas zieht Sabine die Hülle schließlich herunter. Die Gäste applaudieren, während Vera durch eine Tür (A) auftritt.

THOMAS Sehr geehrte Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Die Künstlerin wird nun etwas zu der Bedeutung ihres Kunstwerkes sagen.

Tom tritt durch Tür A auf, von Vera unbemerkt. Toms und Sabines Blicke treffen sich für einen Augenblick, dann taucht Tom in der Menge unter.

THOMAS Was sehen Sie selbst in dieser Figur?

SABINE Ich sehe einen Menschen, der nicht versteht was um ihn herum geschieht, der sich, wenn er auch von einer großen Menschenmenge umgeben ist, sehr einsam fühlt, einen Menschen, der den Wunsch in sich verspürt, sein Leben mit einem anderen Menschen zu teilen, den er liebt. Ich sehe einen Menschen, der alleine ist und der Halt sucht, bevor er-

Sabine fällt in Ohnmacht. Unruhe entsteht. Thomas und einer der Gäste tragen Sabine durch eine andere Tür (B) hinaus, die übrigen Gäste folgen ihnen.Vera bleibt alleine zurück. Sie geht um ihre Figur herum und betrachtet sie nachdenklich.

VERA Hey, genau das ist es.

Tür B geht auf. Sabine tritt auf, gefolgt von Thomas und dem Gast. Vera versteckt sich.

SABINE Es geht schon wieder. Danke. Aber lassen Sie mich bitte jetzt für einen kurzen Augenblick allein.

Thomas und der Gast gehen durch Tür B ab. Sabine eilt zu Tür A, bleibt aber neben der Figur stehen. Sie betrachtet sie nachdenklich und versucht ihre Haltung nachzuahmen.

Tom tritt durch Tür B auf und beobachtet Sabine. Als Sabine ihn bemerkt, erschrickt sie.

TOM Gut, dass sie keinen Kaffee in der Hand hatten. Wie fühlen Sie sich?

SABINE Es geht schon wieder. Danke.

TOM Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie eine Künstlerin sind.

SABINE Ich auch nicht.

TOM Doch, doch, Sie sind eine. Diese Plastik ist wirklich- Aber was Sie vorhin darüber gesagt haben, hat mich noch mehr-

SABINE Was- Was habe ich denn gesagt?

TOM Sie sehen einen Menschen, der sich sehr einsam fühlt-

SABINE Ja? und was noch?

TOM Der den Wunsch in sich verspürt, sein Leben mit einem anderen Menschen zu teilen, den er-

Tom und Sabine sind sich sehr nahe gekommen und eben im Begriff sich zu küssen, da tritt Vera vor.

VERA Sieh mal einer an.

TOM Vera-

VERA Er hat doch noch hierher gefunden. Und schon hat er ein neues Opfer gefunden.

Sabine geht durch Tür A ab. Tom will ihr nachlaufen, aber Vera hält ihn fest und gibt ihm eine Ohrfeige.

VERA Mistkerl. Das ist fürs erste. Ich habe Martin angerufen und ihm erzählt, was Sie mir antun wollten. Er wird Ihnen den Rest geben.

TOM Ich verstehe nicht-

VERA Ich umso besser. Das haben Sie ja toll eingefädelt. Während eine andere meine Figur einweiht und jeder sie für die Künstlerin hält, fährt der saubere Kulturredakteur des Xer Stadtanzeigers und Schulfreund meines zukünftigen Mannes die echte Künstlerin in seine Wohnung und versucht- Aber eines verstehe ich nicht. Wie können Sie glauben, dass das ganze der Öffentlichkeit verborgen bleibt? Sie müssen irrsinnig sein. Sind Sie ein Psychopath?

TOM Nein, ein kleiner Angestellter. Aber ich arbeite weder beim Stadtanzeiger noch bin ich der Schulfreund Ihres- Wie sagten Sie?

VERA Meines zukünftigen Mannes. Martin und ich werden bald heiraten.

TOM Wenn Sie bald heiraten, warum geben Sie Kontaktanzeigen auf?

VERA Wie bitte? Sie sind ja kränker als ich dachte.

TOM Nein, Sie sind es. Jetzt wird mir alles klar. Sie sind schizophren. Sie haben eine harmlose Kontaktanzeige im Xer Stadtanzeiger aufgegeben. Ich falle auf Sie herein und treffe mich mit Ihnen. Sie entpuppen sich als notgeile Nymphomanin. Ich, leider schwach geworden durch Ihr attraktives Äußeres und Ihre Art, einen zu überrumpeln, führe Sie in meine Wohnung und beginne sofort mit dem, was Sie zu wollen vorgaben. Aber plötzlich schaltet sich Ihr zweites Ich ein. Sie halten sich für eine Künstlerin, rennen aus der Wohnung, flüchten in eine Telefonzelle, ich Ihnen nach, nichtsahnend was mit Ihnen los ist, sehe gerade noch wie Sie in ein Taxi steigen. Zum Glück kommt gerade ein zweites vorbei, ich halte es an und verfolge Sie. Wir landen bei der Einweihung einer Plastik, und ausgerechnet meine Kollegin- eine Kollegin von mir ist die Künstlerin, für die Sie sich halten. Ja, Sie sind schizophren. Mal die Künstlerin, mal die Nymphomanin. Was sind Sie jetzt?

VERA Baff.

Vera bleibt wie versteinert neben der Figur stehen. Zufällig nimmt sie dieselbe Haltung ein wie die Figur. Thomas tritt durch Tür B auf.

THOMAS Ist alles in Ordnung, Frau Stein- Was ist mit der Dame?

TOM Sie ist baff.

THOMAS Wo ist unsere Künstlerin?

TOM Gegangen.

Thomas macht ein paar Schritte Richtung Tür A, während ein paar der Gäste neugierig aus Tür B kommen. Tür A geht auf, Martin tritt auf. Thomas geht ihm mit offenen Armen entgegen.

THOMAS Martin-

Martin versetzt Thomas einen Kinnhaken, so dass dieser zusammenbricht. Einige Gäste fangen an zu schreien. Thomas rappelt sich auf und geht auf Martin los. Martin geht in Deckung, der Schlag trifft einen der Gäste. Panik bricht aus, die Gäste flüchten alle durch Tür A. Martin und Thomas prügeln sich weiter. Tom und Vera versuchen, sie auseinanderzubringen. Dabei stoßen sie alle zusammen gegen die Figur. Sie fällt um und zerbricht in Stücke. Die Prügelei endet abrupt. Alle starren auf die Trümmer.

TOM Vielleicht kann man sie kleben-

VERA Sie sind Thomas-

THOMAS Kennen wir uns?

VERA Flüchtig. Sie haben mich vorhin im Cafe Y beinahe umgerannt und sich nicht einmal entschuldigt.

MARTIN Vera, was redest du noch mit ihm, wo er-

THOMAS Vera?

TOM Vera Steindorfer.

Thomas fällt in ohnmacht. Tom kann ihn gerade noch auffangen.

VERA Er ist unschuldig.

MARTIN Unschuldig? So plötzlich?

VERA Lass uns irgendwo anders hingehen. Da werde ich dir alles erklären.

TOM Dürfte ich an Ihren Erklärungen teilhaben? Ich verstehe immer noch nicht alles-

VERA Alles verstehe ich auch noch nicht. Sie müssen uns noch einiges erzählen.

THOMAS Fahren wir zu mir. Ich verstehe überhaupt nichts mehr.

MARTIN Und die Figur?

VERA Ich werde eine neue schaffen.

MARTIN Eine mit Bedeutung?

VERA Nein. Die ergibt sich von selbst.


FÜNFTER AKT

Das Büro. Rita sitzt an ihrrem Schreibtisch und liest den Xer Stadtanzeiger. Tom tritt auf. Er hat ein Paket in der Hand.

RITA Morgen, Tom. Hast du heute schon Zeitung gelesen?

TOM Nein.

RITA Du wirst auch erwähnt. Eine abgefahrene Geschichte. Hör dir das an-

TOM Nicht nötig. Den Artikel habe ich zu einem Viertel selbst verfasst. Wo ist-

RITA Sabine?

TOM Sabine heißt sie- Ja, Sabine. Ein Paket ist für sie angekommen.

RITA Sie ist krank. Stells auf ihren Schreibtisch.

TOM Was fehlt ihr?

RITA Das Vertrauen zu jeder Sorte von Mann. Du solltest es eigentlich besser wissen als ich.

TOM Ich muss sie sprechen. Sie muss den Artikel lesen und dann-

RITA Sie hat den Artikel gelesen. Trotzdem-

TOM Ich liebe Sabine. Wenn sie hier wäre, ich würde ihr auf der stelle einen Heiratsantrag machen, obwohl ich erst seit einer Minute ihren Namen weiß. Ich würde mich vor ihr hinknien und sie allen Ernstes fragen SABINE WILLST DU MICH ZUM MANNE HABEN. Und wenn sie mich liebt, so wie ich sie liebe, dann wird sie antworten-

Rita ist, während Tom spricht und tatsächlich vor Sabines Schreibtisch in die Knie gegangen ist, heimlich abgegangen. Sabine, die sich seit Beginn des Aktes unter ihrem Schreibtisch versteckt hatte, sitzt mittlerweile dahinter auf ihrem Stuhl.

SABINE Ja, ich will.

Tom bemerkt sie, erschrickt und springt auf.

SABINE Gut, dass du keinen Kaffee in der Hand hattest.

TOM Sabine-

SABINE Ja, ich will. Aber vorher will ich dich erst einmal kennenlernen. Du bist wirklich verständnisvoll?

TOM Klar.

SABINE Humorvoll?

TOM SOwieso.

SABINE Gutaussehend?

TOM Will ich meinen.

SABINE Und ungefähr in meinem Alter?

TOM Genau in deinem Alter. Achtundzwanzig.

Sabine ist während des Verhörs auf den Schreibtisch geklettert und auf den knien die Tischplatte entlang zu Tom gerutscht, so dass ihre Münder auf gleicher Höhe sind. Sie wollen sich küssen, aber das Paket fällt vom Schreibtisch. Der Inhalt zerbricht.

SABINE Was war das?

TOM Ein Geschenk für dich, von Vera Steindorfer. Ich schätze eine Plastik.

SABINE Sie scheint kaputt gegangen zu sein.

TOM Macht nichts. Das wäre nicht die erste, die sie neu erschaffen muss.

Sie werden sich küssen. Ende.