In diesem Essay will ich mich mit sexueller Identität und sexueller Orientierung auseinandersetzen. Zunächst ist nochmals zu betonen, dass es sich um zwei verschiedene Dinge handelt. In einem Dating-Portal konnte man wählen zwischen heterosexuell, homosexuell, bisexuell und transsexuell. Das ist schlichtweg Unsinn, denn während die ersten drei Kategorien die sexuelle Orientierung zum Ausdruck bringen, hat Transsexualität etwas mit der sexuellen Identität zu tun. Man sollte deshalb auch besser von Transidentität sprechen und den Begriff Transsexualität vermeiden.
Ich will aber keinen wissenschaftlichen Essay schreiben, sondern gleich subjektiv von mir ausgehen. Ich bin transident oder transgender. Ich weiß, dass ich eine Frau bin, obwohl ich einen männlich konnotierten Körper habe. Ich drücke es so aus: ich habe eine weibliche Seele.
Ich kann nicht genau sagen, was das ist, eine weibliche Seele. Ich weiß einfach, dass ich eine Frau bin und kein Mann. Ich empfinde es so, ganz existenziell. Das hat aber nichts mit irgendwelchen „typisch weiblichen“ Eigenschaften zu tun. Ich bezweifle ehrlich gesagt, ob es überhaupt so etwas gibt, explizit weibliche bzw. männliche Eigenschaften.
Es gibt eine Strömung, die die Existenz von männlich und weiblich als Gegensatzpaar überhaupt in frage stellt. Die Anhänger:innen dieser These bezweifeln entweder, dass es überhaupt sexuelle Identität gibt, oder sie sind der Überzeugung, dass mehr als zwei Identitäten existieren, bis hin zu unendlich vielen. Die radikalste These ist die, dass es so viele sexuelle Identitäten gibt wie Individuen.
Ich kann nicht beurteilen, was davon zutrifft. Ich respektiere einfach, dass es Menschen gibt, die eine nonbinäre oder gar keine sexuelle Identität haben. Dass ich nicht so empfinde bedeutet nicht, dass es das nicht gibt. Wenn jemand das so in sich wahrnimmt, dann existiert es auch.
Ich nehme mich als Frau wahr, nicht als nonbinär oder nongender oder multigender. Ich sehe mich nicht einmal wirklich als transgender. Denn ich empfinde diese Bezeichnung als eine, die mir von außen aufgedrückt wird. Weil andere meinen Körper nicht mit meiner weiblichen Seele in Einklang bringen können, werde ich als Transfrau bezeichnet. Ich empfinde aber meinen Körper als den einer Frau, weil es meiner ist und ich eine Frau bin. Mein „Widerspruch“ zwischen Körper und Seele existiert nur, weil in der Gesellschaft meist die sexuelle Identität auf die Geschlechtsmerkmale eines Körpers reduziert wird.
Ich bin im Einklang mit meinem Körper. Ich mag meinen Körper, und ich habe nie das Gefühl gehabt, an ihm etwas ändern zu wollen. Ich will mich nicht grundsätzlich gegen sogenannte Geschlechtsangleichungen (?) aussprechen, aber ich denke, dass es viel mehr Menschen gäbe, die mit ihrem angeblich „falschen“ Körper klar kämen, wenn der Gesellschaftsdruck nicht so groß wäre. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz ist womöglich die Chance eröffnet worden, dass Menschen generell im Einklang mit ihrem Körper leben können, ohne sich einer Operation zu unterziehen oder Hormone zu nehmen.
Nun zur sexuellen Orientierung. Unabhängig von der Frage, welche sexuelle Identität wir haben, haben wir eine bestimmte sexuelle Orientierung. Das bedeutet, dass unser Begehren sich auf männlich bzw. weiblich konnotierte Körper richtet, oder auch auf beide. Soweit die gängige und in unserem Denken weitgehend fest verankerte Vorstellung.
Ich glaube inzwischen, dass diese Kategorisierung von sexueller Orientierung ein reines Konstrukt ist. Es gibt generell das Bedürfnis nach dem Austausch von Intimitäten, sensuellen wie sexuellen; wobei das Sexuelle nicht zwingend ist, wie die Existenz von sogenannten asexuellen Menschen deutlich macht.
Ich bin der Überzeugung, dass jeder Mensch im Grunde genommen bisexuell ist. Man muss es sich natürlich eingestehen. Wer das tut, wird dennoch feststellen, dass es da gewisse Vorlieben gibt. Bisexuell zu sein bedeutet ja nicht, zwangsläufig mit jedem intim sein zu wollen. Es bedeutet, dass der männlich bzw. weiblich konnotierte Körper nicht zwingend ein Ausschlusskriterium ist.
Nehmen wir mich als Beispiel. Ich habe mich, nicht zuletzt wegen meiner Transidentität, sehr intensiv mit der Frage meiner sexuellen Orientierung beschäftigt. Bis zu meinem 30. Lebensjahr hielt ich mich für einen heterosexuellen Mann. Mit der Erkenntnis, eine Frau zu sein, hielt ich mich für lesbisch. Als ich aber erkannte, dass ich auch (gewisse) Männer anziehend finde, glaubte ich eine heterosexuelle Frau zu sein. Da Frauen für mich dennoch weiter begehrenswert sind, muss ich mich wohl als bisexuell bezeichnen. Warum eigentlich?
Warum überhaupt dieses Einteilen? Ist eine Frau, die zwanzig Jahre nur mit Männern intim war und die eines Tages eine bestimmte andere Frau begehrt, plötzlich zur Lesbe geworden? Ist ein schwuler Mann, der mal mit einer Frau schläft, plötzlich hetero? Kein Mensch ist Hetero oder Homo. Das sind politische Begriffe; sie ergeben sich letztlich aus dem Umstand, dass die Frage der Intimität zur gesellschaftlich moralischen Kategorie erhoben wurde. Wäre es gesellschaftlich belanglos, welcher erwachsene (!) Mensch mit welchem erwachsenen Menschen einvernehmlich intim ist, bräuchte es diese Einteilung in Homo und Hetero gar nicht. Aber auch die Bezeichnung „bisexuell“ wäre dann sinnlos.
Inzwischen bezeichne ich mich selbst nicht mehr als bisexuell. Ich bezeichne mich gar nicht mehr, was meine sexuelle Orientierung betrifft. Ich habe überhaupt keine sexuelle Orientierung. Es gibt einfach bestimmte Menschen, die ich anziehend finde. Mit einigen von denen wünsche ich mir Intimität, mit anderen nicht, obwohl ich sie generell anziehend finde. Sympathie spielt ja auch eine Rolle, und auch andere Dinge; ich könnte z.B. nicht mit starken Raucher:innen oder extrem tätopiercten Menschen intim sein. Und mit denen ich intim sein will, möchte ich keineswegs „alles machen“. Wie alle Menschen habe ich sexuelle Vorlieben und sexuelle Tabus.
Niemand ist gezwungen, an eine naturgegebene „bisexuelle Orientierung“ zu glauben; noch weniger, sich ihr zu öffnen und sie auszuleben. Aber meine Erfahrung ist, dass viele Menschen an dieser (Selbst-)Kategorisierung und somit Einengung leiden. Deshalb mein abschließender Appell: befreit euch von diesen künstlichen Einteilungen, lebt euer Begehren so, wie ihr es empfindet; alles was in der Hinsicht zählt ist ein für alle Beteiligten erfülltes und erfüllendes Intimleben…
*****Mai 2024