Am sogenannten Gendern erregen sich derzeit die Gemüter. Worum geht es den Befürworter:innen des Genderns in der Sprache? Sie wünschen sich zunächst eine Sichtbarkeit der Frau im Schriftverkehr und in der Kommunikation. Und dann gibt es eben noch die Menschen, die sich zwischen Mann und Frau befinden, physisch und oder seelisch.
Interessant ist, dass die Kritiker:innen des Genderns meist einfach die Behauptung aufstellen, dass es das Dazwischen nicht gibt. Sie sind sich ihrer Gender-Identität sicher, nehmen sich eindeutig als Mann bzw. Frau wahr und meinen, das müsse für alle gelten. Statt sich mit den Menschen auseinanderzusetzen, bei denen es nicht so eindeutig ist, statt diese zu fragen, wie es in ihnen aussieht, wollen sie ihnen vorschreiben, wie sie zu sein haben.
Die Kritiker:innen stempeln es oft als eine Mode ab. Menschen, die trotz massiven Problemen und Anfeindungen zu ihrer Identität stehen, die es einfacher hätten, wenn sie einfach Mann oder Frau wären statt eine angebliche „Mode“ zu kultivieren, können sich aber nicht täuschen. Sie haben sich mit sich selber auseinandergesetzt, immer wieder, führen einen ewigen Kampf, zu sich selbst zu finden, um einfach sie selbst zu sein.
Und selbst wenn das alles nur eine Illusion wäre: Welchen Schaden hat die Gesellschaft davon, wenn ein geringer und doch repräsentativer Teil der Menschheit sich „einbildete“, nicht in das binäre System zu passen?
Aber ich will das so stehen lassen und auf das Gendern zurückkommen. Warum das Gendern? Um in der gesprochenen und geschriebenen Sprache die gesamte Gesellschaft abzubilden, sichtbar zu machen, dass es nicht nur Männer und Frauen gibt, sondern noch etwas dazwischen.
Nun geht die Kritik aber nicht nur von denen aus, die das Dazwischen leugnen oder denen die Sichtbarkeit der Frau in der Sprache herzlich egal ist. Es gibt diejenigen, die durchaus progressiv denken, aber eine „Verschandlung“ der (deutschen) Sprache befürchten. In dem Punkt bin ich teilweise auf ihrer Seite. Nicht zuletzt, weil Sprache für mich als schriftstellerisch tätiger Mensch von großer Bedeutung ist. Und ich liebe die deutsche Sprache, die meine Muttersprache ist. Ich will mich auch deshalb im weiteren auf die deutsche Sprache konzentrieren, was den Essay betrifft.
Die ganz konservativen Kritiker:innen bringen als Argument an, dass die deutsche Sprache „schon immer so gewesen“ ist, einschließlich der Zusammenfassung gemischt geschlechtlicher Gruppen unter dem männlichen Begriff. In den Ärzten sind die Ärztinnen mit eingeschlossen. Dem ist entgegen zu setzen, dass Sprache sich stetig verändert, und dass das auch notwendig ist. Denn Sprache, die letztlich etwas künstliches, vom Menschen geschaffenes ist, wird im Idealfall der Gesellschaft angepasst, in der wir gerade leben. Früher, als es noch keine Ärztinnen gab, weil dieser Beruf den Männern vorbehalten war, hat man von Ärzten gesprochen, und natürlich nicht nur Männer gemeint, sondern auch gedacht. Heute gibt es auch Ärztinnen, und wenn wir von Ärzten sprechen, meinen wir womöglich auch Ärztinnen, aber wir denken sie nicht mit. Die Aussage Ich gehe zum Arzt mag neutral sein, nicht aber in unseren Köpfen. Dafür sind wir viel zu lange davon geprägt worden, im männlichen Begriff nur den Mann wahrzunehmen. Das gilt natürlich nicht nur für das Wort Arzt, sondern für alle Begriffe dieser Art.
Progressiver denkende Kritiker:innen des Genderns plädieren für das Nennen beider „Geschlechter“. Diese Lösung ist nicht nur umständlich, sie „verschandelt“ auch die Sprache erst recht, und stößt außerdem an ihre Grenzen. Klingt die Aussage Ich gehe zum Arzt oder der Ärztin etwa besser als Ich gehe zur Ärzt:in?
Nehmen wir einen Beispielsatz: Der Lehrer im allgemeinen hat mit großen Problemen zu kämpfen, wenn sich die Schüler nicht an die Regeln halten. Unter Berücksichtigung des Sichtbarmachens der Frau würde man sagen: Der Lehrer bzw. die Lehrerin im allgemeinen hat mit großen Problemen zu kämpfen, wenn sich die Schülerinnen und Schüler nicht an die Regeln halten.Selbst wenn man der Meinung ist, dass der Satz gut klingt und keineswegs umständlich wirkt, so stelle man sich einen ganzen Text in der Art vor. Dieser wäre in jedem Fall doppelt so lang wie einer mit Sätzen wie Die Lehrer:in im allgemeinen hat mit großen Problemen zu kämpfen, wenn sich die Schüler:innen nicht an die Regeln halten. Und wenn wir nun auch die Menschen „Dazwischen“ berücksichtigen wollen, soll der Satz etwa so lauten: Der Lehrer (M/W/D) im allgemeinen hat mit großen Problemen zu kämpfen, wenn sich die Schüler (M/W/D) nicht an die Regeln halten.Das ist die derzeitige Lösung zur Vermeidung von Sonderzeichen. Klingt ebenso schön (?) wie Ich gehe zum männlichen bzw. weiblichen bzw. zum diversen Arzt. Kommen wir irgendwann dahin? Ich hoffe nicht.
Im übrigen halte ich den Begriff Divers(e) nicht nur für unglücklich, sondern auch diskriminierend. Er bedeutet übersetzt nichts anderes als Sonstige. Wenn es auch nicht zwingend als Werturteil gemeint ist, so klingt es dennoch abwertend. Du bist ein Sonstiger. Es gibt Männer, Frauen und Sonstige. Sehr geehrte Damen und Herren und Sonstige. Darauf muss ich wohl nicht weiter eingehen.
Kehren wir zu den Kritiker:innen zurück. Es gibt auch diejenigen, die sowohl Sprache als etwas sich wandelndes begreifen als auch die Notwendigkeit sehen, dass alle Gender in der Sprache sichtbar sind. Ihre Kritik geht in eine andere Richtung. Sie stören sich zum einen an den sogenannten Sonderzeichen, zum anderen an der Vielfalt solcher, und dem wahllosen Einsatz, der für Konfusion sorgt.
Ich bekenne mich selbst zu dieser Gruppe. Ich fühle mich von diesem willkürlichen Einsatz von Sonderzeichen überfordert. Wenn ich Lehrer*innen lese, oder Lehrer_innen oder selbst Lehrer/innen, dann stört das mein Empfinden für die deutsche Sprache. Auch LehrerInnen ist furchtbar, weil mehr das Innen (Innenraum usw.) assoziiert wird als eine weibliche Endung. Und wo bitte nimmt man beim großen I die Menschen zwischen Mann und Frau wahr?
Mein Favorit ist, wie man beim Lesen meines Essays bereits erkannt hat, die Lösung mit dem Doppelpunkt. Der Doppelpunkt ist kein wirkliches Sonderzeichen, denn er kommt bereits und schon lange in der deutschen Sprache vor. Er wird wahrgenommen, aber drängt sich nicht übermäßig auf. Er ist vergleichsweise unauffällig und fügt sich angenehm in das Schriftbild ein. Zudem macht er das „Dazwischen“ besonders sinnfällig. Er steht buchstäblich zwischen Lehrer und Lehrerin und assoziiert eine unendliche Bandbreite von Gender-Identitäten. Zum einen durch den doppelten Punkt, zum anderen durch die Zwischenstellung. Das Wort Lehrer:innen lässt sich auch als Lehrer:::::innen oder Lehrer::::::::::::::::innen usw. denken.
Vielleicht stören sich manche Kritiker:innen weniger an den Sonderzeichen und mehr an der Betonung des Weiblichen. Die Lehrer:in zu schreiben ist jedoch ein notwendiger und konsequenter Schritt. Die Endung -in ist nun mal weiblich und verlangt den weiblichen Artikel. Die Kritik liegt aber meist woanders. Nicht wenige Männer haben das Gefühl, nicht mehr gemeint zu sein. Bedenken wir aber, dass in dem Wort Lehrer:in bzw. Lehrer:innen sowohl der Lehrer als auch die Lehrerin buchstäblich vorkommt. Im Lehrer dagegen fehlt die Frau. Hinzu kommt, dass die Frauen in der Sprache bisher vernachlässigt wurden oder gar nicht vorkamen. Da ist es recht und billig, wenn sie zur Abwechslung mal „das Sagen haben“. Also, mehr weibliche Artikel und Endungen in der neuen deutschen Sprache, das ist ganz einfach fair.
Mein Vorschlag ist also: Ein rein männliches Kollegium sind die Lehrer, ein rein weibliches die Lehrerinnen. Ein gemischtes Kollegium sind die Lehrer:innen, egal ob es sich um Männer und Frauen, Männer bzw. Frauen und sogenannte Diverse (da gilt es sprachlich noch etwas zu finden!) oder um ein ganz gemischtes Kollegium handelt. Spricht man vom Lehrer an sich, sollte man künftig von der Lehrer:in an sich sprechen. Auch Berufswunsch Lehrer:in statt Berufswunsch Lehrer.
Apropos sprechen. Ist das Gendern beim Schreiben noch vergleichsweise unproblematisch, tun sich beim Sprechen Abgründe auf. Ich habe volles Verständnis für all jene, die beim Hören der üblich gewordenen Pause zwischen Lehrer- und
–innen (um bei dem Beispiel zu bleiben) ein ästhetisch akustisches Unbehagen verspüren. Mir geht es genauso. Dabei ist die Lösung so einfach wie konsequent. Meint man Lehrer:innen, so spricht man Lehrerinnen. Ohne Pause. Ja, meine Herren, Sie scheinen da nicht vorzukommen, Sie sind aber ebenso gemeint. Wie gesagt, in den Lehrer:innen bzw. Lehrerinnen steckt auch Lehrer, und warum sollen Sie sich nicht daran gewöhnen müssen, im gemischten Kollegium als die Lehrerinnen mitbezeichnet zu werden? Jahrhunderte lang wurden Frauen unter männlichen Bezeichnungen zusammengefasst; selbst dann oft, wenn es sich um eine reine Gruppe von Frauen handelte.
Auch die Menschen, die sich nonbinär oder zwischen Mann und Frau wahrnehmen, sind beim Sprechen der weiblichen Endung gemeint. Einige von ihnen werden auf diese unsägliche und zungenbrecherische Pause bestehen. Muss das wirklich sein? Die deutsche Sprache ist zu Unrecht als hart und wenig poetisch verschrien; sie ist vielmehr fließend und wunderschön poetisch. Lassen wir ihr ihre Poesie, indem wir sie fließend belassen. Ohne künstliche Pause in den Worten. Ich stelle mir gerade ein Liebesgedicht vor, welches ich der oder dem Geliebten vortrage, und mache solche Pausen zwischen Worten… Nein, das gehört verboten!
Letzteres war nicht ernst gemeint. Warum muss immer alles über Verbote laufen? Ich bin weder für ein Genderverbot noch für Genderzwang. Soll jede:r so schreiben und sprechen wie er will. Den Befürworter:innen des Genderns will ich nahelegen, sich auf den Doppelpunkt beim Schreiben und dem pausenfreien Verwenden der weiblichen Form beim Sprechen zu konzentrieren. Machen möglichst viele das genau so und konsequent, dann setzt sich das im Sprachgebrauch von selber durch. Mit der Zeit gendern selbst die ärgsten Kritiker ganz selbstverständlich – aus Gewohnheit.
Gendern im Schulunterricht? Ja und nein. Kinder und Jugendliche sind in der Regel flexibel im Denken. Für sie können zwei Dinge zugleich richtig sein. Die eine Lehrer:in gendert, die andere nicht. Die Schüler:innen suchen es sich selbst aus, ob sie in ihrem Aufsatz gendern oder nicht. Keine schlechte Note fürs Gendern, aber auch keine fürs Nicht Gendern. Aber gerade im Bildungswesen wäre es hilfreich, wenn man sich auf eine Variante einigt. Wenn nicht der Doppelpunkt, dann eben ein anderes Sonderzeichen. Ich werde mir allerdings die Freiheit nehmen, nur mit Doppelpunkt zu gendern. Und die Freiheit, überhaupt zu gendern, Herr Söder! Das lasse ich mir nicht verbieten.
Überhaupt sollte es, gerade für Schriftsteller:innen, künstlerische Freiheit bleiben zu gendern wie man möchte, oder auch gar nicht zu gendern. Und beginnt bloß nicht, die bisherigen literarischen Werke nachträglich zu gendern; schon gar nicht, wenn sich die Autor:in nicht mehr wehren kann. Literatur ist immer ein Spiegel ihrer Zeit, und es ist Unsinn, sie nachträglich in ein politisch korrektes Korsett zu zwingen. Doch das scheint mir bereits Stoff für einen weiteren Essay zu sein…
*****April 2024